Mit Manchester City hat Pep Guardiola den schlechtesten Saisonstart seiner Trainerkarriere hingelegt. Der FC Liverpool ist bereits auf neun Punkte davongezogen. Die Gründe dafür sinf vielfältig.
Sonntag, etwa 19 Uhr Ortszeit in Liverpool. Manchester City musste sich soeben dem FC Liverpool mit 1:3 geschlagen geben. Die Medienvertreter versammeln sich in einem Raum an der Anfield Road zur Pressekonferenz. Die Journalisten legen ihre Diktiergeräte und Handys auf den Tisch. Dort sitzt bereits Pep Guardiola. Nachdem er vor wenigen Minuten noch aufgebrachter als sonst die Coachingzone beackerte, scheint er plötzlich in sich gekehrt. Er verschränkt die Arme und starrt ins Nichts. Die Falten auf seiner Stirn wirken noch tiefer als sonst. Wir können nur erahnen, was dem 48-Jährigen in diesem stillen Moment durch den kahlen Kopf geht.
Womöglich versucht er zu verstehen, wie der Rückstand seiner Spitzenmannschaft auf den Vorjahresvizemeister Liverpool auf ganze neun Punkte anwachsen konnte. Dabei gibt es dafür eine ganze Reihe von Gründen.
Abgang mit Folgen
Die Ursachenanalyse beginnt im Sommer, kurz nachdem Manchester City den FC Liverpool im letzten Moment noch eingeholt und schließlich mit einem Punkt Vorsprung den Premier-League-Titel verteidigt hatte. Vincent Kompany, nach einem Jahrzehnt als Kapitän der personifizierte Cityzen schlechthin, verließ den Klub in Richtung Heimat, nach Anderlecht. So schwer sein Abgang als Anführer und Aushängeschild wiegt, so verschmerzbar schien er aus sportlicher Sicht. Immerhin war der Belgier bereits 33 Jahre alt und aufgrund zahlreicher Verletzungen immer seltener in der Startelf zu finden. Dass Pep Guardiola in den letzten vier Spielen der Saison 2018/2019, als es für Manchester City im Kopf-an-Kopf-Rennen mit Liverpool um jeden Punkt ging, dennoch plötzlich auf Kompany setzte, war allerdings ein Warnsignal. Bezeichnend, nicht nur für die Qualität des ehemaligen Hamburgers, sondern vor allem dafür, dass der spanische Trainer wohl nicht vollends mit den anderen Innenverteidigern John Stones und Nicolas Otamendi zufrieden war. Dennoch sollten die beiden für die aktuelle Spielzeit neben Aymeric Laporte zwei Drittel des Innenverteidigerkontingents bilden.
Fragliche Prioritäten
Manchester City hatte sich nämlich nicht sonderlich um einen Nachfolger für Kompany bemüht. Zwischenzeitlich bestand Interesse an Leicesters Abwehrkante Harry Maguire. Anfang August aber entschieden sich die Skyblues gegen eine Verpflichtung und überließen den 80 Millionen Euro teuren Engländer Stadtrivale Manchester United. Damals sagte Guardiola auf einer Pressekonferenz: „Harry Maguire ist ein sehr starker Verteidiger. Wir hatten auch Interesse an ihm, konnten den Transfer aber finanziell nicht bewerkstelligen. Manchester United dagegen schon. Gratulation dazu.“ Auch ein Scheichklub wie Manchester City hat finanzielle Limits. Und die 70 Millionen Euro teure Verpflichtung von João Cancelo, einem weiteren offensivhungrigen Rechtsverteidiger, der lediglich als Alternative zu Kyle Walker dienen sollte, hatte scheinbar Vorrang. Bereits nach vier Spieltagen passierte dann, was passieren musste. Aymeric Laporte, laut Guardiola der „unglaublichste Verteidiger der letzten Saison“, verletzte sich beim 4:0‑Erfolg gegen Brighton & Hove Albion schwer am Knie. Während sich der sündhaft teure João Cancelo also mit den Ersatzbänken Englands vertraut machte, standen für die kommenden sechs Monate, mindesten aber bis zum Wintertransferfenster, lediglich Stones und Otamendi in der Innenverteidigung zur Verfügung.
Defensive Probleme
Diese Kombination sollte bereits im nächsten Spiel gegen Norwich City die Chance erhalten, Laporte vergessen zu machen. Das Gegenteil trat ein. Der schlaksige Engländer und der argentinische Bruder Leichtfuß erwiesen sich als Schwachstelle. Das Duo ließ jegliche Abstimmung vermissen, konnte die Verteidigungslinie nicht halten und lud den Aufsteiger durch Leichtsinnsfehler sowie Defiziten im Aufbauspiel, der Paradedisziplin des verletzten Laporte, zu insgesamt drei Gegentoren ein. Manchester City verlor mit 2:3, es war die erste Saisonniederlage. Auch als Fernandinho, der mit seinen 34 Jahren eher im Stile einer Alterszeit sporadisch im Mittelfeld zum Einsatz kommen sollte, für den angeschlagenen Stones in die Innenverteidigung rückte, wurde es nicht besser. Nur zwei Wochen später wurde ManCity zuhause gegen Wolverhampton eiskalt ausgekontert und verlor mit 0:2. Die Defensivleistung der Guardiola-Elf trug durch den Abgang der Konstante Kompany, den Ausfall Laportes sowie die Anpassungsschwierigkeiten des neuen Sechsers Rodri erheblichen Schaden davon. Ließ Manchester City in der vergangenen Saison nur 0,61 Gegentore pro Spiel zu, sind es in dieser Spielzeit nach zwölf Spieltagen 1,08.
Fehlende Effizienz
Doch obwohl die defensiven Umstände Pep Guardiolas Sorgenfalten sicherlich vergrößerten, hatte er seine Mannschaft offensiv eigentlich soweit eingestellt, um das kompensieren zu können. Kevin De Bruyne, der der wohl kreativste Rotschopf seit Pippi Langstrumpf, dirigiert einen Angriff, der Unmengen an Chancen kreiert: So kommen er und seine Mannschaftskollegen auf ganze 3,13 expected Goals (xG) pro Partie. Aufgrund der erspielten Torchancen müsste City also in jedem Spiel mindestens drei Tore erzielen. Das ist der höchste Wert, seit Guardiola München für Manchester verließ und ein ganzes expected Goal pro Spiel mehr als der zweitplatzierte in dieser Kategorie vorzuweisen hat, der FC Liverpool (2,03 xG). Doch obwohl es die 35 Tore (Ligahöchstwert) nicht vermuten lassen, mangelt es den Cityzens 2019/2020 erheblich an Effizienz. Als einziges Team der Top-Four schießen sie weniger Tore als sie statistisch müssten (insgesamt 2,58 weniger als der xG-Wert). „Wir sprechen immer über die Defensive, aber es ist auch vorne (…). Du kannst nicht die Tore hergeben, wie wir es diese Saison getan haben“, erkannte Guardiola auf einer Pressekonferenz Ende Oktober. Gegen Tottenham erzielte ManCity trotz unfassbaren 30:3 Schüssen und 3,20 xG nur zwei Treffer, während die Spurs aus quasi Nichts, nämlich 0,07 xG, nach Toren gleichzogen. Auch die Niederlagen gegen Norwich (nach xG 2,34 zu 1,74) und Wolverhampton (1,62 zu 1,19 xG) hätten bei entsprechender Effizienz Siege sein können, ja müssen.
Portion Pech
Hinzu kommt eine gewisse Portion „Pech“. Das bezieht sich zum Beispiel auf einige zweifelhafte Entscheidungen des Video Assistent Referees, etwa als das vermeintliche Siegtor gegen Tottenham wegen eines angeblichen Offensivfouls aberkannt wurde. Der Klub hat laut Telegraph mittlerweile sogar schriftlich Bedenken bezüglich des technischen Hilfsmittel geäußert. Das Pech klebt aber auch Sergio Agüero und seinen Offensivkollegen regelrecht an den Füßen, wie sonst der Ball bei einer herrlichen Passstafette in der gegnerischen Hälfte. Ganze elf Mal traf Manchester City bisher die Latte oder den Pfosten, sechs Mal mehr als jedes andere Team der Liga.
Rote Konstanz
All diese Probleme führen dazu, dass die vergangenen Monate für Pep Guardiola den schlechtesten Saisonstart seiner Trainerkarriere bedeuten. Nie zuvor konnte eine seiner Mannschaften nach zwölf Spieltagen in einer europäischen Topliga weniger Punkten vorweisen.Doch diese Tatsache dürfte nicht die einzige sein, die ihm Kopfzerbrechen bedeutet. Denn mit dem FC Liverpool steht ihm nun bereits das zweite Jahr in Folge ein unglaublich konstanter und vor allem effizienter Konkurrent gegenüber, der einfach nicht patzen will. Die herausragende Verteidigung um Abwehrgigant Virgil Van Dijk lässt die wenigsten Gelegenheiten der Liga zu und hält die Mannschaft somit stets im Spiel. Vorne werden die Chancen nicht nur konsequent genutzt, sondern vor allem in den entscheidenden Momenten. Ob über die attackierenden Duracellhäschen auf den Außenverteidigerpositionen, nach geschickt ausgetüftelten Standards oder durch die Geniestreiche eines Mohamed Salah oder Sadio Mané – im Gegensatz zu ManCity erzielen die Reds die Tore, die sie brauchen, um zu gewinnen, egal wann und wie. Sechs Punkte hat der FC Liverpool schon durch Tore nach der 85. Minute geholt – die meisten der Liga – und soagr bereits drei Spiele gewonnen, die sie gemäß xG eigentlich hätten verlieren müssen.
Schwer zu schlucken
Eines dieser Spiele war an jenem Sonntag, als die rote Welle der Effizienz auch über Manchester City schwappte und Pep Guardiola all das gnadenlos zum Vorschein spülte, was in dieser Saison so schief läuft. Er hatte Pech, dass es nach fünf Minuten keinen Handelfmeter für sein Team gab, die nächste suspekte Entscheidung. Er musste mit ansehen, wie seine geschwächte Abwehrkette im Gegenzug und bereits aus den ersten zwei Schüssen der Reds zwei Tore kassierte, aus lediglich 0,18 xG. Er verfolgte ein Spiel, in dem seine Mannschaft bereits zum zwölften Mal in dieser Saison mehr Ballbesitz, mehr Pässe im Angriffsdrittel und mehr expected Goals als der Gegner vorzuweisen hatte. Am Ende aber blieben der nächste Pfostentreffer, nur ein Tor und die dritte Niederlage. Das 3:1 war ein Ergebnis, das sich die Mannschaft von Jürgen Klopp mit der guten alten „Vollgasveranstaltung“ und einer Menge Kaltschnäuzigkeit verdiente.
Es war aber aber auch ein Ergebnis, das aufgrund der Entstehung für Pep Guardiola nur schwer zu schlucken war, so wie die mittlerweile neun Punkte Rückstand auf den FC Liverpool. Womöglich war es all das, das dem Trainer in der stillen Minute vor der Pressekonferenz so durch den Kopf ging.