Dieter Bott redet gerne und viel. Besonders dann, wenn es um sein Lieblingsthema geht, um Fan-Krimskrams, EM-Ramsch oder wie er es nennt: „Den größten Scheiß vom Merchandise“. Und wenn Bott einmal in Fahrt ist, sich über schwarz-rot-goldene Hundeshalsbänder oder sprechende Michael Ballack-Puppen in Rage geredet hat, gibt es für sein Gegenüber kein Zurück mehr, dann stürzen die Worte seiner Satzkaskaden aus seinem Mund wie Lawinen vom Matterhorn.
Dieter Bott, der Adorno-Schüler, tief in 1968 verwurzelt, möchte so etwas wie das schlechte Gewissen der Europameisterschaft sein. Dabei entpuppt sich seine Kritik erst auf den zweiten Blick als solche. Zunächst sieht alles aus wie Klamauk: Bott, der an der Universität Duisburg Vorlesungen über „Soziale Arbeit mit Fußballfans“ hält, sammelt gemeinsam mit seinen Studenten skurrile EM-Devotionalien. Einige davon stellt er aus, doch zugleich, so hofft Bott, immer auch: bloß. „Gesellschaftskritik ist das“, sagt er, „und so spröde und schwammig das auch klingt, diese Art von Kritik muss Spaß machen, sie muss über eine humoristische Ebene angreifen. Sonst erreicht sie niemanden.“
Distanz zum konsumwütigen Fanpulk
Zornig und alt wollte Bott nie werden, und eigentlich, wenn man Dieter Bott so reden hört, ist er es auch nicht. Zumindest sein Zorn war von Anfang an stets mit dieser augenzwinkernden Fußnote versehen. Bereits vor 40 Jahren gründete er das „Anti-Olympische Komitee“, das „Vögeln statt Turnen“ proklamierte und stellte dem professionellen „Wettkampf“, in dem, so meint es jedenfalls die „Kritische Theorie“, ein Sportler nur noch funktionieren muss, und der Fan zum passiven Konsumenten verurteilt ist, ein tägliches „Wettpennen“ entgegen. Das Komitee verstand sich als Alternativentwurf zum Massenspektakel.
Wer Dieter Bott einen Fußballhasser nennt, tut aber ihm Unrecht. Er bezeichnet sich selbst sogar als „Weltmeister“, weil er 1954, im Alter von elf Jahren freudetrunken auf die Straße taumelte und für einen kurzen Moment dachte, er sei Fritz Walter. An dieses Glücksgefühl erinnert er sich als sei es gestern gewesen. Doch in einen blinden Euphoriestrudel, in jenes Eventkarussell der ewig Gutgelaunten wollte Dieter Bott später nie hineinstolpern. Über die Jahre versuchte er die Distanz zum konsumwütigen Fanpulk zu wahren.
Die Idee seine Kritik am Massenevent über Merchandise zu initiieren, kam ihm kurz vor der WM 2006, in jenen Tagen, als jede Schaufenstervitrine mit dicker Fußballglasur überzogen, jedes Produkt, sei es ein Spielauto aus dem Kaugummiautomat, eine Hochzeitstorte der örtlichen Konditorei oder das ganze Eigenwohnheim in Herne-Süd in die Farben Schwarz, Rot und Gold getränkt wurde.
Mit seinen Studenten kürte er damals schon die größten Geschmacksverirrungen. „Ich weiß gar nicht, wann es schlimmer war, vor zwei Jahren oder heute“, sagt Bott nun, und amüsiert sich über ein Deutschland-Shirt, in das ein Audiochip integriert ist, und das in bestimmten Abständen die Nationalhymne erklingen lässt. Kopfschütteln kann Bott auch über eine Torwand für Katzen oder eine Rolle grünes Toilettenpapier, die nach Rasen riecht. Gut verkauft sich nicht alles, weiß Dieter Bott, das Nationalhymnen-Shirt wurde im Preis schon reduziert – von 29,90 auf 24,90 Euro.
„Den ganzen Scheiß in einen großen Sack stopfen“
Doch was passiert mit den ganzen Exponaten jetzt, wo die EM fast vorbei ist? „Eigentlich wollten wir den ganzen Scheiß verbuddeln, bis ihn irgendwann, in 3000 oder 4000 Jahren, die Marsmenschen finden“, sagt Bott und plötzlich ist es zum ersten Mal ruhig, für einen kurzen Moment scheint Dieter Bott zu überlegen, ob seine Idee wirklich so genial ist, ob diese Kritik an der Manipulation des blindwütigen Konsumenten überhaupt auf diese ironische Art transportiert werden kann. Dann aber sprudelt es wieder aus ihm heraus: „Wir werden den ganzen Scheiß nach der EM in einen großen Sack stopfen und mit einem Heißluftballon über Europa fliegen lassen.“
Irgendwo wird er platzen, vielleicht über Kopenhagen, vielleicht in Südfrankreich, vielleicht über dem Berliner Prenzlauer Berg, und dann fallen sie hinaus: die Katzentore, schwarz-rot-goldene Stirnbänder für den Hund, das musizierende T‑Shirt und der Wackel-Dackel mit Löw-Konterfei. Und vielleicht, das hofft jedenfalls Dieter Bott, ergreifen die Leute dann endlich die Flucht, dann, wenn der gesammelte Merchandise auf sie hinab fällt und sich als das entlarvt, was er wirklich ist. Nämlich Müll.