Graham Potter, Trainer von Dortmunds Gegner Chelsea, probierte sich vor ein paar Jahren noch als Hobby-Sänger in der schwedischen Prärie. Nämlich beim Östersunds FK, wo er seine Spieler zur Kultur zwang. Wir statten ihm damals einen Besuch ab.
Das hat auch mit der isolierten Lage der Stadt und dem Klima zu tun, das auf potentielle neue Spieler, vor allem in den höheren Ligen, nicht eben magnetisch wirkt. „Östersund ist eine Winterstadt, das ist nicht für jeden etwas“, sagt Bobo Sollander, und der muss es wissen. Der 31-Jährige ist in Östersund geboren und einer von zwei Spielern des aktuellen Kaders, die den ganzen Weg aus der vierten Liga mitgegangen sind.
„Wenn mal ein bisschen Schnee liegt, fragen die Engländer im Team immer gleich, ob das Training ausfällt. Dabei denken wir frühestens darüber nach, wenn ein Meter liegt.“ Seit zwei Wochen liegt sein linker Arm in Gips, weil er sich in einem Spiel den Ellenbogen ausgekugelt hat, doch schon in ein paar Tagen will er wieder angreifen. Bobo ist ein großer kräftiger Kerl, der sein ganzes Leben hier gelebt hat und von den rauen Bedingungen dieses Ortes geprägt ist, laut Lasse Landin „der Traum jedes Trainers“: willig, unerschrocken und stets mit vollem Einsatz dabei.
In jeder neuen Liga wird vermutet, dass sie eine Nummer zu groß für ihn sei, in jeder belehrt er die Leute eines Besseren. Beim ÖFK ist er der Lokalheld und Publikumsliebling, Karin Wahléns Tochter hat sogar ihren Goldfisch nach ihm benannt. So einer hat vor wenigen Dingen Angst, außer …
Ohne Kultur kein Erfolg
„Morgen“, sagt Bobo Sollander, während er auf einem Fitnessrad am Spielfeldrand in die Pedale tritt und seinen Kollegen beim Training zusieht. „Morgen werde ich nervöser sein als vor meinem ersten Spiel in der Allsvenskan.“ Er wird bei einem Stück solo singen, „Die Mauer“ von der schwedischen Punkband Ebba Grön. „Das Lied handelt übrigens von deiner Stadt.“
Aber macht es denn Sinn, sich auf der Bühne fast vor Angst in die Hose zu machen, wenn man gleichzeitig auf dem Fußballplatz dem nachgehen könnte, was man doch am besten beherrscht? Sollander hält inne und sieht einen an, als hätte man etwas Entscheidendes nicht verstanden: „Die Erfolge der letzten Jahre wären ohne das Kulturprojekt nicht möglich gewesen.“
Östersunds FK oder Bon Jovi?
Gegen Mittag versammelt sich der gesamte Östersunds FK in einer riesigen Messehalle in der Nähe des Flughafens, zehn Kilometer vor den Toren der Stadt. Dies wird ihr Zuhause für die nächsten sieben Stunden sein, so steht es im Zeitplan, den Kulturcoach Karin Wahlén an alle verschickt hat: „Gesangsprobe, 14 bis 21 Uhr.“
Bis jetzt haben sie in der Innenstadt geprobt, aber nun geht es ans Eingemachte. Hierhin werden morgen die Massen strömen, um zu hören, was Spieler, Trainer und Mitarbeiter in den letzten sechs Monaten erarbeitet haben. „Oh mein Gott, ist die groß“, stöhnt Rachel, die Frau des englischen Cheftrainers Graham Potter, mit Blick auf die gewaltige Bühne.
In der Tat könnten dort auch problemlos Bon Jovi auftreten, wie überhaupt die meist leerstehende Halle in eine amtliche Arena verwandelt worden ist: In der Mitte ist der Saal dicht bestuhlt, an den Seiten ragen Stahlrohrtribünen auf. Nach dem Erfolg der Tanzshow vom letzten Jahr, als 450 Menschen das Theater der Stadt bis auf den letzten Platz füllten, hat Vereinsboss Daniel Kindberg gehörig aufgerüstet.