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Hans-Peter Fried­rich saß rechts neben der Kanz­lerin. Und wäre alles mit rechten Dingen zuge­gangen, dann hätten die Kameras wäh­rend des Vier­tel­fi­nales der deut­schen Natio­nalelf in Danzig gegen Grie­chen­land bei der EM 2012 auch immer mal wieder den Innen­mi­nister gezeigt, wie er mit der Mann­schaft jubelte, zit­terte und bangte. Statt­dessen war blö­der­weise immer nur die Kanz­lerin zu sehen, wie sie sich nach jedem deut­schen Tor mit dem DFB-Prä­si­denten Wolf­gang Niers­bach abklatschte. Dass der zuneh­mend irri­tiert wirkte ange­sichts der ent­fes­selten Kanz­lerin an seiner Seite: geschenkt. Der Minister jeden­falls wurde eis­kalt raus­ge­schnitten. Blöd gelaufen.

Wie für Fried­rich war die EM 2012 für nahezu alle deut­schen Berufs­po­li­tiker ein kapi­taler Rein­fall. Anstatt sich schon in der Vor­runde gleich dut­zend­weise auf Partei- oder Staats­spesen auf den Ehren­tri­bünen ukrai­ni­scher Sta­dien her­um­zu­treiben und alle paar Stunden völlig über­trie­bene Lobes­hymnen auf die fan­tas­ti­sche Stim­mung im Gast­ge­ber­land“ in die Heimat zu kabeln, wie es spä­tes­tens seit der Welt­meis­ter­schaft 1998 in Frank­reich zu den Usancen der deut­schen Politik gehört, saßen die Volks­ver­treter miss­mutig daheim. Und manch einer wird ins­ge­heim ver­flucht haben, dass er im April 2012 auf einen fah­renden PR-Zug auf­ge­sprungen war, der die Frei­las­sung der inhaf­tierten frü­heren Minis­ter­prä­si­dentin Julia Timo­schenko for­derte und andern­falls den Boy­kott des ukrai­ni­schen Teils der Euro in Aus­sicht stellte. Nun ver­spricht der Ein­satz für weg­ge­sperrte Oppo­si­tio­nelle immer gute Presse, da war es auch egal, dass das Schicksal Timo­schenkos zuvor in Deutsch­land so gut wie nie­manden inter­es­siert hatte. Die meisten der spon­tanen Men­schen­rechtler hätten aber doch wohl lieber die Klappe gehalten, hätten sie geahnt, dass sie mit ihrem wohl­feilen Geplapper tat­säch­lich ihre EM-Teil­nahme gefähr­deten.

Die B‑Promis um Sigmar Gabriel fut­terten die VIP-Schnitt­chen weg

Denn rüh­rend naiv war es zu glauben, der durch­ge­knallte ukrai­ni­sche Prä­si­dent Janu­ko­witsch werde tat­säch­lich seine ärgste Wider­sa­cherin frei­lassen, die er gerade erst in einem müh­se­ligen Schau­pro­zess hatte ein­bunkern lassen, bloß damit ihm hin­terher deut­sche B‑Prominenz wie Sigmar Gabriel die Schnitt­chen am Buffet weg­fut­terte. Tat er natür­lich nicht, und so mussten alle not­ge­drungen daheim­bleiben, als die deut­sche Elf in Charkiw und Lwiw kickte, und durften erst ran, als die Mann­schaft zum Vier­tel­fi­nale end­lich im unbe­las­teten Danzig vor­stellig wurde. Wie sehr die Polit­funk­tio­näre ihre mar­kigen For­de­rungen von vor­ges­tern bereuten, zeigte sich spä­tes­tens vor dem Halb­fi­nale. Da stellte das Kanz­leramt eilends klar, dass Angela Merkel zu einem End­spiel mit deut­scher Betei­li­gung selbst­re­dend auch nach Kiew reisen würde. Für Men­schen­rechte auf TV-Prä­senz zur Prime­time ver­zichten? Merkel war doch nicht ver­rückt.

Das unwür­dige Her­um­ge­eiere der Kanz­lerin mar­kierte den vor­läu­figen Tief­punkt einer lang­jäh­rigen Anbie­de­rung der Politik an den Fuß­ball. Jüngstes Bei­spiel ist der ehe­ma­lige bul­ga­ri­sche Pre­mier­mi­nister Boyko Borisov, der dank ein paar alter Kon­takte dafür gesorgt hat, dass ihn Zweit­li­gist FC Vitosha Bis­tritsa unter Ver­trag genommen hat. Borisov ist 54 Jahre alt und leidet unter zu hohem Blut­druck. Sollte er in dieser Saison tat­säch­lich in der ersten Mann­schaft ein­ge­setzt werden, wäre er der älteste bul­ga­ri­sche Profi aller Zeiten. Herr, schick Weis­heit vom Himmel.

Die erste ernst­hafte Tuch­füh­lung zwi­schen beiden Lagern ist ziem­lich genau auf den 29. Juni 1986 im schwül­heißen Mexiko-City zu datieren. An diesem Tag ver­folgten viele Mil­lionen Men­schen an den Bild­schirmen, wie Bun­des­kanzler Helmut Kohl nach dem ver­lo­renen End­spiel gegen die Argen­ti­nier jeden ein­zelnen Spieler an seinen mas­sigen Körper zog. Der Spiegel“-Journalist Jürgen Lei­ne­mann beschrieb die grau­same Pro­zedur schau­dernd. Selbst den wie­sel­flinken Litt­barski, der mit einer blitz­schnellen Dre­hung bereits halb am Kanzler vorbei ist, holt dessen öffent­liche Hand mit hartem Schul­ter­schlag noch ein.“

Und Keeper Toni Schu­ma­cher notierte später in seinen Erin­ne­rungen Anpfiff“ ange­wi­dert über den Auf­tritt des Kanz­lers: Unfähig zu lächeln, grinste er, gra­tu­lierte uns rein mecha­nisch. Es wurde ope­ret­ten­reif, als er für die Foto­grafen den armen Franz Becken­bauer an den Schul­tern um die Achse drehte, um seine Anwe­sen­heit neben unserem Trainer ver­ewigen zu lassen.“ Und es waren ja nicht nur die erzwun­genen Umar­mungen. Kohl machte auch vor, wie eine deut­sche Dele­ga­tion künftig bei Fuß­ball­spielen ein­zu­reiten hatte, üppig bestückt mit Par­tei­freunden und einigen aus­ge­suchten Geg­nern wie dem omni­prä­senten SPD-Mann Hans-Jürgen Wisch­newski („Wenn der Kanzler ein­lädt, kann man natür­lich nicht Nein sagen!“).

Ade­nauer konnte einen Tor­pfosten nicht von einer Eck­fahne unter­scheiden“
 
1986 war das. All das, was in den Jahr­zehnten zuvor an gegen­sei­tiger Kon­takt­auf­nahme gelaufen war, war im Ver­gleich dazu von voll­endeter Unschuld. Nicht umsonst hatte 1954 beim Finale von Bern kein ein­ziger Minister aus Konrad Ade­nauers Kabi­nett auf der Tri­büne gesessen, vom Regie­rungs­chef selbst ganz zu schweigen, der bekann­ter­maßen Boccia für den deut­lich kul­ti­vier­teren Sport hielt und einen Tor­pfosten nicht von einer Eck­fahne unter­scheiden konnte“, wie die Wochen­zeit­schrift Zeit“ höhnte. 1966, als das Volk wegen des vom Sowjet Bach­ramow gege­benen Wem­bley­tors schäumte, gab Bun­des­prä­si­dent Hein­rich Lübke ganz unpa­trio­tisch zu Pro­to­koll, er habe deut­lich gesehen, wie der Ball im Netz gezap­pelt“ habe. Und noch 1982, beim Finale gegen Ita­lien, hatte Kanzler Helmut Schmidt in Madrid eini­ger­maßen gelang­weilt auf der Tri­büne gesessen und nur hin und wieder ver­legen zum ita­lie­ni­schen Staats­prä­si­denten Per­tini hin­über­ge­grient, der wie ein Gum­mi­ball auf seinem Platz her­um­hüpfte.

Wer damals zum Fuß­ball ging, tat es aus echtem Inter­esse wie Ver­tei­di­gungs­mi­nister Hans Apel, der sein Herz an den FC St. Pauli ver­loren hatte, wie der FDP-Grande Wolf­gang Mischnick, der fleißig bei der Frank­furter Ein­tracht mit­mischte oder wie der frü­here Post­mi­nister Richard Stücklen, der sich schon mal im Pri­vatjet des Her­aus­ge­bers der Pos­tille Quick“ zu den Spielen der WM 1966 nach Eng­land fliegen ließ und zwi­schen­durch auch die direkte Ansprache bei der deut­schen Mann­schaft erprobte. Über­lie­fert ist, dass Stücklen auf dem Weg zu einem Termin nach Däne­mark einen Umweg über Malente machte, wo die deut­sche Natio­nalelf gas­tierte. Stücklen hatte zuvor bei Bun­des­trainer Schön ange­rufen und nach­ge­fragt, ob er vor­bei­kommen dürfe. Grund für die Stipp­vi­site: Er habe einen Trick für die Mann­schaft, den er aber nur auf­zeichnen könne. Schön ließ sich vom Minister die Finte bei Frei­stößen auf­zeichnen und betonte: Das ist ein vor­züg­li­cher Trick, der bisher nur von Eng­län­dern prak­ti­ziert wurde. Ich werde ihn noch ein­üben.“ Man stelle sich eine solche Szene mit Joa­chim Löw und, sagen wir mal, Philipp Rösler vor.

Poli­tiker nölten so lange rum, bis Uns Uwe in Ham­burg blieb

Natür­lich unter­nahmen auch schon damals poli­ti­sche Hin­ter­bänkler unge­lenke Ver­suche, im öffent­li­chen Fuß­ball­dis­kurs mit­zu­mi­schen. So wurde Uwe Seeler schon 1961 um wert­volle Aus­lands­er­fah­rungen gebracht, weil eine unhei­lige Allianz aus Bou­le­vard­me­dien, Hei­mat­tüm­lern und Ham­burger Pro­vinz­po­li­ti­kern gemein­schaft­lich so lange her­um­genölt hatte, bis Seeler den geplanten Wechsel zu Inter Mai­land abblies. Und noch 1978 war es allen Ernstes der CSU-Mann Dionys Jobst, der eine eilige Regie­rungs­in­ter­ven­tion vor­schlug, um den nach Ame­rika ent­flo­henen Franz Becken­bauer recht­zeitig zur WM in Argen­ti­nien nach Deutsch­land zurück­zu­holen, aller­dings ohne dass die deutsch-ame­ri­ka­ni­sche Freund­schaft dadurch Schaden nimmt“, wie Jobst besorgt ein­schränkte. Als Emissär schlug er die All­zweck­waffe Richard Stücklen vor. Der jedoch lehnte dan­kend ab.

Und trotzdem erkannte erst Kohl die ein­ma­ligen Chancen, die der Fuß­ball den Anzug­trä­gern aus Bonn zur Reprä­sen­ta­tion bot. Schließ­lich wusste der Oggers­heimer, dass jeder Poli­tiker gezwungen ist, sich hin und wieder nicht nur als grauer Akten­fresser, son­dern als Mensch zu prä­sen­tieren. Nur des­halb schauen die Volks­ver­treter ja regel­mäßig auf Stadt­teil­festen vorbei und kosten aus hoff­nungslos über­würzten Nica­ragua-Pfannen. Nir­gendwo jedoch können Poli­tiker sich so volksnah geben wie auf den Ehren­tri­bünen der Fuß­ball­sta­dien. Schnell noch den fabrik­neuen Schal umge­hängt, den der Refe­rent in letzter Minute besorgt hat, ab auf den Scha­len­sitz und genau dann den emo­tio­nalen Turbo anwerfen, wenn die Füh­rungs­ka­mera die Tri­büne abschwenkt. Kohl hatte das begriffen und ließ den­noch so manche Chance auf men­schelnde PR sausen.

So ver­stand der Kanzler zwar die deut­sche Kabine ganz selbst­ver­ständ­lich als erwei­terten Kabi­netts­saal, ging mit großer Selbst­ver­ständ­lich­keit in der Umkleide ein und aus und ließ sich nach Siegen auch nicht von nackt her­um­sprin­genden Urvie­chern wie Paul Steiner stören. Er vergaß aber regel­mäßig, einen Foto­grafen mit­zu­nehmen, so dass das Erstaunen groß war, als auf dem jüngst auf­ge­tauchten Video, das Sepp Maier über den WM-Tri­umph 1990 gedreht hatte, wäh­rend der Fei­er­lich­keiten in der Kabine auch der lin­kisch mit Papp­be­cher her­um­pros­tende Kohl durchs Bild lief. Wie man hin­gegen das eigene Vor­dringen ins letzte Refu­gium der Natio­nalelf optimal zu eigenen PR-Zwe­cken nutzt, bewies gut zwanzig Jahre später Kohls Nach­nach­fol­gerin Angela Merkel, die nach dem Ber­liner Heim­spiel gegen die Türkei plötz­lich mit großer Entou­rage in der Kabine auf­tauchte und den halb­nackten Mit­tel­feld­mann Mesut Özil zu einem spon­tanen Inte­gra­ti­ons­gipfel nötigte, natür­lich mit nichts­sa­gendem Gruß­wort im Dampf der Duschen und aus­gie­bigem Hän­de­schüt­teln von Kicker und Kanz­lerin für den Foto­grafen.

Schröder und Stoiber unter­bra­chen die Kabi­netts­sitz­zungen für WM-Spiele

Zwi­schen Kohl und Merkel lagen gut zwei Jahr­zehnte, in denen vor allem zwei Poli­tiker die Bezie­hungen zwi­schen dem Fuß­ball und der Politik nach­haltig rui­nierten. Bun­des­kanzler Ger­hard Schröder und sein Her­aus­for­derer Edmund Stoiber nutzten näm­lich die fata­ler­weise zeit­gleich 2002 statt­fin­denden Groß­ereig­nisse Welt­meis­ter­schaft und Bun­des­tags­wahl­kampf, um sich zwang­haft als hun­dert­fünf­zig­pro­zen­tige Fans der deut­schen Elf zu geben. Schröder und Stoiber unter­bra­chen gleich rei­hen­weise Kabi­netts­sit­zungen und Wahl­kampf­ver­an­stal­tungen, um in großer Runde die Spiele in Asien zu ver­folgen. Das ging oft schief. Als Michael Bal­lack im Vier­tel­fi­nale gegen Korea traf, hatte sich Stoiber gerade mit Par­tei­freunden ver­plau­dert und wollte trotzdem den war­tenden Kame­ra­leuten Jubel­bilder prä­sen­tieren. Also sprang der bay­ri­sche Minis­ter­prä­si­dent ein­fach eine halbe Minute später auf und jubelte einsam vor sich hin, die anderen hatten sich der­weil schon wieder hin­ge­setzt. Noch pein­li­cher geriet eine prak­ti­sche Übung. Auf einem Som­mer­fest war Stoiber von eupho­ri­sierten Par­tei­freunden gebeten worden, doch einmal einen Ball auf ein extra auf­ge­stelltes Tor zu schießen. Der Minis­ter­prä­si­dent zim­merte die Kugel in gewöhn­li­chen Halb­schuhen wuchtig auf den Kasten und schoss dabei, wohl irr­tüm­lich, eine neben dem Tor war­tende ältere Frau um. Die blu­tete stark, erholte sich aller­dings schnell wieder und ver­si­cherte jedem unge­fragt, sie werde natür­lich trotzdem Stoiber wählen.

Kon­kur­rent Schröder konnte sich an derlei Miss­ge­schi­cken nicht son­der­lich erfreuen, denn auch die Fuß­ball­be­geis­te­rung des Kanz­lers hatte etwas arg Ange­ranztes. Dafür hatte Schröder einmal zu oft von den eigenen Stür­mer­tagen beim TuS Talle geschwärmt, einmal zu oft vor den Haupt­stadt­jour­na­listen die Elf von Bern auf­ge­zählt und einen Bun­des­li­ga­klub zu viel genannt, dem angeb­lich sein Herz gehöre. Wahl­weise hatte sich Schröder als fana­ti­scher Fan von Energie Cottbus, Han­nover 96 oder Borussia Dort­mund gezeigt. Die Life­style-Illus­trierte Maxim“ verlor dar­aufhin den Über­blick und schrieb in ihrer Bun­des­liga-Vor­schau kur­zer­hand bei jedem Verein in der Rubrik Größter Fan“ nur einen Namen: Ger­hard Schröder“.

Zum Show­down der fuß­bal­le­ri­schen Ada­beis kam es dann beim WM-Finale 2002 in Yoko­hama. Schröder, der sich mit dem Bun­des­prä­si­denten in der pro­to­kol­la­risch steifen Ehren­loge lang­weilen musste, hatte das Nach­sehen gegen­über seinem Her­aus­for­derer, den ein glück­li­cher Zufall neben Bra­si­liens Idol Pelé plat­ziert hatte. Der war zwar die kom­plette WM hin­durch vor­nehm­lich als Wer­be­figur für eine merk­wür­dige Erek­ti­ons­hilfe auf­fällig geworden. Stoiber kuschelte den­noch dankbar. Klarer Vor­teil Her­aus­for­derer.

Kahn ein echter Münchner?

Was letzt­lich aber auch egal war, denn das Volk hatte sich längst müde gesehen und gehört an den immer neuen Ana­lo­gien, die die Büch­sen­spanner aller Par­teien zwi­schen Fuß­ball und Politik gesehen haben wollten. Der frü­here Ver­kehrs­mi­nister Klimmt hatte sich nur mühsam das Lachen ver­kneifen können, als er im SFB ver­kün­dete, Schröder sei doch ganz ein­deutig die poli­ti­sche Ent­spre­chung zu Rudi Völler, schließ­lich kämen beide über den Kampf zum Spiel. CDU-Gegen­spieler Wolf­gang Bos­bach behalf sich ange­sichts sol­cher schlüs­siger Ver­gleiche damit, dass er sei­ner­seits Oliver Kahn für die Union rekla­mierte, weil dieser ein Münchner sei wie Edmund Stoiber. Nun war und ist Kahn streng­ge­nommen ein Karls­ruher, aber auf derlei Fein­heiten wurde in diesem Sta­dium des Wahl­kampfs ohnehin keine Rück­sicht mehr genommen.

Also drei Jahre später Angela Merkel ins Kanz­leramt einzog, wäre das eigent­lich ein for­mi­da­bler Zeit­punkt gewesen, um die neu­ro­ti­sche Bezie­hung zwi­schen beiden Sphären wieder auf­zu­lösen. Merkel war näm­lich zunächst fuß­bal­le­risch völlig unbe­lastet. Weder war sie in ihrer Jugend in schlecht­sit­zenden Baum­woll­tri­kots über Dorf­sport­plätze gerannt, noch hatte sie später in einer der berüch­tigten Par­la­ments­mann­schaften gekickt wie wei­land Oskar Lafon­taine oder auch Joschka Fischer, der in der alter­na­tiven Truppe Grüne Tulpe“ vor­nehm­lich dadurch Auf­sehen erregt hatte, dass er statt der Gegen­spieler lieber seinen mit­ki­ckenden Intimus Hubert Klei­nert anschrie und häu­fige Abseits­stel­lungen mit dem schil­lernden Argu­ment ent­schul­digte: Ich bin so schnell, dass mich die Schieds­richter immer im Abseits sehen!“

Merkel hätte also ohne Pro­bleme wie wei­land Ade­nauer dem Boc­cia­spiel ihre ganze Auf­merk­sam­keit schenken können, statt­dessen ent­schloss auch sie sich zum Ritt auf der fuß­bal­le­ri­schen Welle. Der Sün­den­fall der Kanz­lerin datiert vom 15. März 2006. Ange­sichts mauer Test­spiel­ergeb­nisse vor der anste­henden WM im eigenen Lande hatte Merkel es offenbar mit der Angst zu tun bekommen, schon nach der Vor­runde nur noch bei Spielen mit ita­lie­ni­scher oder fran­zö­si­scher Betei­li­gung zuschauen zu dürfen und hatte des­halb das Orga­ni­sa­ti­ons­ko­mitee und die sport­liche Lei­tung der Natio­nalelf zum Gipfel ins Kanz­leramt gebeten. Das Niveau der Dis­kus­sion zwi­schen den staat­li­chen Wür­den­trä­gern und den Sport­funk­tio­nären dürfte sich bei kühlen Getränken etwa auf Nor­mal­null ein­ge­pen­delt haben. Indiz dafür war das win­del­weiche Fazit der Regie­rungs­chefin: Ich bin über­zeugt, dass Jürgen Klins­mann und sein Team auf dem rich­tigen Weg sind.“ Die Befürch­tung, auch die fach­lich unbe­leckte Merkel werde dem übli­chen Tri­bü­nen­tou­rismus frönen, bewahr­hei­teten sich. Kein deut­sches Spiel bei der WM, bei dem die Merkel nicht das Blazer tra­gende Mas­kott­chen der deut­schen Elf mimte und pene­trant ihre wech­selnden Begleiter abklatschte. Dass sie zwi­schen den Tur­nieren flugs auch noch die Bun­des­liga für sich ent­deckte und sich Energie Cottbus, dem letzten ver­blie­benen Ost­klub in der ersten Liga, als selbst­re­dend bei­trags­freies Ehren­mit­glied andiente, passte da nur ins Bild. Zur Strafe für die kleb­rige Liaison stieg Cottbus dann auch post­wen­dend ab. Seither ist es um die angeb­liche Her­zens­be­zie­hung zwi­schen dem Zweit­li­ga­klub und der Kanz­lerin min­des­tens so still geworden wie um die Bemü­hungen der Regie­rungs­chefin um Julia Timo­schenko – das war die inhaf­tierte ukrai­ni­sche Oppo­si­tio­nelle, die Älteren werden sich erin­nern.

Kohl, Schröder, Stoiber und Merkel, die vier Haupt­ver­ant­wort­li­chen dafür, dass inzwi­schen jeder Pro­vinz­po­li­tiker unge­straft mit Meta­phern aus dem Fuß­ball­be­reich um sich werfen darf. In jeder zweiten Pres­se­er­klä­rung aus bun­des­deut­schen Par­la­menten kra­keelt es Grobes Foul“, gern auch in der Nach­spiel­zeit“, was so ein­falls­reich ist wie die ewigen Fuß­ball­ver­gleiche, mit denen Franz Mün­te­fe­ring in seiner Zeit als SPD-Spit­zen­mann die Öffent­lich­keit mürbe schoss („Wir sind in der 80. Minute, und es steht 0:2.“). Es geht noch schlimmer. Als der übel beleu­mun­dete Hähn­chen­lie­fe­rant Wie­senhof“ als neuer Sponsor von Werder Bremen ver­kündet wurde, lief beim grünen Bun­des­tags­ab­ge­ord­neten Fried­rich Osten­dorff die Meta­phern­ma­schine heiß: Mas­sen­tier­hal­tung bei Wie­senhof, das bedeutet unfaires Spiel auf engstem Raum“.

Die Sportart Boccia wird uns immer sym­pa­thi­scher.

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Hin­weis: Dieser Text erschien in seiner Urfas­sung bereits im Sommer 2012 und wurde aus aktu­ellem Anlass zum Teil auf­ge­frischt.