Nach dem Fehlstart herrscht große Aufregung um den FC Schalke. Verein und Mannschaft ächzen unter einer Erwartungshaltung, die sie selbst geschürt haben. Doch trotz aller Probleme besteht Anlass zur Hoffnung für die Königsblauen.
Es waren ziemlich große Backsteine, die durchs Schalker Glashaus flogen. Torwart Timo Hildebrand sagte nach der 1:2‑Niederlage bei Hannover 96 über Schiedsrichter Bastian Dankert: „Man muss sich überlegen, ob so jemand dem Druck in der Bundesliga gewachsen ist.“ Doch die dringlichere Frage derzeit lautet, ob die Spieler des S04 ihrerseits dem Druck gewachsen sind.
Seit einem Jahr liefert die Mannschaft teils lethargische und einfallslose Auftritte, wenn sie in der Favoritenrolle ist. Das war nicht nur zu Beginn dieser Saison so, sondern auch beim Champions League-Achtelfinale gegen Galatasaray im März. Gleichzeitig dreht sie auf, wenn nicht viel von ihr erwartet wird. Das war gegen Borussia Dortmund oder Arsenal in der vergangenen Saison zu sehen, aber auch am vergangenen Samstag, als zehn Schalker gegen elf Hannoveraner beinahe einen Zwei-Tore-Rückstand aufholten.
Peitsche in der Galeere
Der Druck auf Schalke – die Verantwortlichen führen ihn beharrlich auf das angespannte Umfeld, die Erwartungshaltung der Fans und die geifernden Medien im Ruhrgebiet zurück. Ganz so, als würden sie auf Schalke unter Peitschenhieben in der Galeere rudern, während links und rechts die Vereine in Aida-Kreuzfahrtschiffen vorbei schippern. Dabei ist die Erwartungshaltung hausgemacht: Zuletzt peilte Jermaine Jones die Meisterschaft an, Horst Heldt räsonierte über ein neues Tattoo beim Titelgewinn und Clemens Tönnies ließ sich zu der Behauptung hinreißen, Schalke befinde sich auf Augenhöhe mit dem BVB. Das musste dazu führen, dass im Misserfolgsfall die Öffentlichkeit an diese Worte erinnern würde wie an nicht eingelöste Wahlversprechen.
Gerade beim Wetteifern mit dem weit enteilten BVB verhob sich Schalke. Nach der Vertragsverlängerung mit Julian Draxler gab es nicht nur den einen oder anderen verbalen Affront gegen den an Draxler interessierten Nachbarn. Nein, Schalke ließ gar einen Transporter mit der Botschaft am Dortmunder Stadion vorbeifahren, darauf ein Bild des Jungstars und der Spruch: „Julian Draxler: Mit Stolz und Leidenschaft bis 2018“. Der 19 Jährige scheint derzeit grenzenlos überfrachtet mit den Rollen als Identifikationsfigur, Aushängeschild, Regisseur und Wortführer.
Der Mannschaft fehlt nicht nur deshalb die Balance. Erfahrene Spieler wie Jones, Fuchs und Hildebrand sind umstritten, junge und neue Akteure müssen in ihre Rolle wachsen, durchaus veranlagte wie Matip und Neustädter hadern mit sich selbst. Auf den heutzutage so wichtigen Positionen außen in der Viererkette und vor der Abwehr hapert es bei Schalke. Und als wäre der Jenga-Turm nicht wacklig genug, werden durch Verletzungen weitere Bausteine herausgezogen. Die Platzverweise deuten zudem auf eine Nervenschwäche im Team hin.
Manager Horst Heldt befindet sich im Zwiespalt zwischen wirtschaftlicher Konsolidierung und ambitionierter Einkaufspolitik. So wurde er zum „Leih- und Klausel-König“ – mit dem Risiko, sich selbst wie im Fall Michel Bastos im Kleingedruckten zu verheddern. Und Trainer Jens Keller droht das Berti-Vogts-Syndrom, nämlich trotz fachlichem Gütesiegel vieler Experten am eigenen Auftreten zu scheitern. Vermisst wird aber weiterhin die klare Linie des Trainers.
Eine Übergangssaison?
Dennoch: Diese Mannschaft hat Potenzial. Die Zugänge Christian Clemens (drei Millionen Euro), Leon Goretzka (für wohl vier Millionen) und Adam Szalai (Schalke zahlt zwar acht Millionen, allerdings in Raten) sind gleichwohl gelobte wie beachtete Transfers. Zudem rückt die Jugend auf, im Hinspiel gegen Saloniki startete Schalke mit vier Spielern aus dem eigenen Nachwuchs. Was fehlt, sind Routiniers, die das Tempo und den Druck drosseln. Die „jungen Wilden“ des VfB Stuttgart hatten seinerzeit Zvonimir Soldo – und einen gewissen Horst Heldt.
Außerdem brauchen die Youngster Zeit. Es scheint, als befinde sich das Team in einer Übergangsphase oder ‑saison, bis die einzelnen Teile zueinander passen. Heute in der Quali zur Champions League geht es um viel Prestige und Geld. Für die nähere Zukunft muss Schalke statt blinder Attacke vor allem eins lernen: Auf Zeit zu spielen. Auf dem Platz und daneben.