Während fast alle Bundesligavereine ihre Ticketpreise erhöhen, verschenkt Darmstadt 98 Dauerkarten an Bedürftige. Ein wichtiges Zeichen in Zeiten der Turbokommerzialisierung.
Fußballprofis reden gerne in Phrasen. Besonders oft verkünden sie, dass „man niemals vergessen darf, wo man herkommt“. Dann richten sie ihre Sonnenbrillen, die in etwa so teuer sind wie eine mittelgroße Eigentumswohnung, und fahren mit ihren Camouflage-Ferraris davon.
Auf einige Spieler oder Vereine passt dieser Satz aber tatsächlich. Etwa Darmstadt 98. Der Klub war über mehrere Jahre in der Versenkung verschwunden. Die Fans hielten dem Klub trotzdem die Treue, sogar in Oberligazeiten kamen oft über 5000 Zuschauer zu den Heimspielen. Auch nach der Rückkehr in die Bundesliga machten die „Lilien“ nie auf dicke Hose. Im Gegenteil. Sie wirkten, so weit das im Bundesliga-Disney-Land möglich war, immer noch wie ein Klub, den man früher die „Feierabendfußballer vom Böllenfalltor“ nannte. Ein Verein aus einer anderen Fußball-Epoche.
Eine Selbstverständlichkeit?
Diese Woche konnte man eine Meldung lesen, die sich ebenfalls wie eine Nachricht aus einer anderen Zeit las: „Darmstadt 98 verschenkt Dauerkarten an einkommensschwache Menschen.“ Die Aktion lief schon in der vergangenen Saison, und die Einnahmeausfälle wurden nicht auf Kosten der zahlenden Fans wieder reingeholt, sie blieben einfach: Einnahmeausfälle.
Lilien-Präsident Rüdiger Fritsch sieht die Aktion als „eine Selbstverständlichkeit“ an, und das ehrt ihn. Aber ist es das wirklich: eine Selbstverständlichkeit?
Vielleicht hilft zur Einordnung ein kurzer Rückblick auf die vergangenen Monaten, in denen Fußballfans allerhand aushalten mussten. Erst Anastacia beim letzten Spiel der Bayern, dann Helene Fischer beim DFB-Pokal-Finale, schließlich die Black-Eyed-Peas-Aerobic-Show beim Champions-League-Endspiel. Zwischendruch turnte auch noch Hasan Ismaik durchs Löwen-Gehege, dann wurde der Videobeweis-Schiedsrichter eingeführt, und Regel-Hüter diskutierten über eine Reduzierung der Spielzeit auf 60 Nettominuten.
Demnächst freuen wir uns auf: eine chinesische U20-Nationalelf in der Regionalliga-Südwest, „T€DI“ als Ärmelsponsor bei Hertha BSC und Montagsspiele in der Bundesliga. Ach, wer übrigens weiterhin alle Spiele der Bundesliga sehen möchte, braucht ab sofort die Abos von zwei Bezahlsendern.
Die Sorge der Fußballfans
Neulich befragte die Initiative „FC PlayFair! Verein für Integrität im Profifußball“ 17.000 Fußballfans zur Fußballkommerzialisierung in Deutschland. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer gab an, sich „sich früher oder später vom Profifußball abzuwenden, sollte er sich weiterhin so entwickeln“. 87 Prozent der Befragten gaben außerdem an, dass der Profibetrieb aufpassen müsse, sich nicht noch weiter vom Fan zu entfernen.
Aber jetzt wird die Kuh erst einmal weiter gemolken, denn sie gibt so viel Milch wie nie zuvor. Vor einer Woche wurde publik, dass die Hälfte aller Bundesligaklubs ihre Dauerkartenpreise erhöht haben. Es ist die alte Geschichte von Angebot und Nachfrage, und auch wenn das Interesse am Fußball gefühlt abnehmen mag, die Zahlen sprechen eine andere Sprache: 2016/17 verzeichnete die Bundesliga wieder einen Zuschauerrekord.
Also geht man in die Vollen: Hannover 96 und der VfB Stuttgart, die zwei Aufsteiger, lassen ihre Fans am meisten draufzahlen. Die teuerste Dauerkarte für das Niedersachsenstadion kostet über 26 Prozent mehr als letzte Saison. Die teuerste Dauerkarte gibt es hingegen beim HSV (806,70 Euro), der letzte Saison mal wieder mit Ach und Krach die Klasse hielt.
Gegenüber der „Hamburger Morgenpost“ begründete der Verein die hohen Preise damit, dass jedes Ticket eine Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs beinhaltet. Halleluja. Oder in den Worten von DFL-Geschäftsführer Christian Seifert: „Es gibt keine Anzeichen, dass sich dieser positive Zustand in absehbarer Zeit grundlegend ändern könnte.“
So geht es also weiter mit voll Karacho über die Autobahn der vermeintlichen Fußballträume. Bis die Protagonisten irgendwann alles gegen die Wand fahren. Oder wir in der Kurve stehen und auf etwas hinunterblicken, das in seinen schlechteren Momenten so aussieht, wie sich Unternehmer aus den USA oder Saudi-Arabien Fußball vorstellen. Und in seinen besseren Momenten wie etwas, das immerhin eine Sache imitiert, die wir früher mal Fußball nannten.
Eine Selbstverständlichkeit also? Dauerkarten verschenken in einem auf unbedingte Profitmaximierung ausgelegten Betrieb? Es wäre schön, wenn es so wäre. Und schön wäre es auch, wenn sich andere Unternehmen ein Beispiel an Darmstadt 98 nehmen würden und einkommensschwächeren Menschen Tickets gratis oder vergünstigt zur Verfügung stellen. Konzertveranstalter, Kinobetreiber, Freizeitparks, Fluggesellschaften, die Deutsche Bahn oder die „Berliner Verkehrsbetriebe“. Aber oft ist das natürlich schwer möglich, denn irgendwoher muss ja das Geld für Werbekampagnen herkommen, die sich „Weil wir dich lieben“ nennen.