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Junge, wenn du nochmal so eine Scheiße spielst, dann kommst du ins Internet rein! In ne Auk­tion! Mit einer Mark Start­geld!“ oder Es gibt eines, das noch größer ist als eure Chancen. Und das ist euer Unver­mögen!“, so trö­tete es Anfang der 2000er aus den Boxen vom Com­puter meines älteren Bru­ders. Die cho­le­ri­schen Wut­aus­brüche waren Teil der in den 90er-Jahren populär gewor­denen Fuß­ball­ma­nager-Simu­la­tion Anstoss. Aller­dings hatte Anstoss, das von Ascaron ent­wi­ckelt worden war, bereits zum Zeit­punkt der Jahr­tau­send­wende keine Zukunft mehr: Elec­tronic Arts aus Kanada arbei­tete mit Hoch­druck an einer neuen Manager-Simu­la­tion für den PC und schnappte Ascaron zu diesem Zweck das Genie hinter der Anstoss-Reihe, den Game-Desi­gner Gerald Köhler, weg.

Köhler war also 2000 zum Kon­kur­renten EA gewech­selt und die Anstoss-Reihe verlor in den danach erschei­nenden Fort­set­zungen zuneh­mend ihren beson­deren Charme. Viele Fans der ersten Anstoss-Spiele wandten sich ab. Die Pro­duk­tion des Kult­spiels wurde 2006 schließ­lich ein­ge­stellt. Als Ascaron drei Jahre später insol­vent ging, war die Hoff­nung der Fans auf eine Neu­auf­lage der alten Spiele end­gültig geplatzt. Vor­erst. 

Denn jetzt, knapp 14 Jahre nach der Ein­stel­lung von Anstoss, wurde das Come­back des Spiels ver­kündet. Logi­scher­weise nicht von Ascaron, dafür aber von Kalypso Media, einer Firma mit Sitz in Worms (gemeint ist die Stadt Worms, nicht das Video­spiel!). Das neue Manager-Spiel von Kalypso Media soll vom Spiel­erlebnis an Anstoss 3 ange­lehnt sein, den Namen Anstoss 2022 tragen und im Jahr 2021 erscheinen.

Hering Bremen, lebens­lang grün-weiß!

Ich, Jahr­gang 1993, bin Anfang der 2000er als kleiner Junge das erste Mal mit Anstoss in Berüh­rung gekommen, als mein Bruder das Spiel mit nach Hause brachte. Er hatte es aller­dings nicht gekauft, nein, er hatte es gefunden. Im Garten unserer Groß­el­tern. Unbe­schä­digt und ori­gi­nal­ver­packt. Jemand musste es ent­weder ver­loren haben, was unwahr­schein­lich ist, oder es bewusst weg­ge­schmissen haben – warum auch immer. Mein Bruder beför­derte die CD in das Lauf­werk seines Win­dows-98-PC und dann, nach einer geschla­genen Stunde des War­tens, war das Spiel end­lich instal­liert. Was ich in diesem Augen­blick noch nicht wusste: Mein Leben sollte sich von diesem Tag an radikal ver­än­dern.

Schon vorher hatte ich manchmal auf seinem Com­puter das gebrannte FIFA 99 gespielt, das dank des noch nicht vor­han­denen Kopier­schutzes alle Kinder in unserer Nach­bar­schaft zockten. Die täg­liche Spiel­zeit wurde von meiner Mutter auf maximal eine Stunde regle­men­tiert, ansonsten drohte sie damit, den Ste­cker des Com­pu­ters zu ziehen. Bei Anstoss sollte sie dieses Zeit­limit in den nach­fol­genden Jahren nicht mehr durch­drü­cken können.

Stun­den­lang saß ich mit meinem Bruder vor dem Rechner. Meis­tens spielten wir zu zweit im Mul­ti­play­er­modus. Im Hoch­sommer auch gerne mal ober­kör­per­frei und in Bade­hose. Eines konnte uns Anstoss aber nicht bieten: Ori­gi­nal­li­zenzen. Statt mit Werder Bremen mussten wir mit Hering Bremen Vor­lieb nehmen, aus der Ein­tracht wurde Zwie­tracht Frank­furt. Was für die Ver­eine galt, galt auch für die Spieler. Aus Oliver Kahn wurde Oliver Huhn, Hasan Sali­ha­midzic hieß Hasan Peli­ha­midzic und Bixente Liza­razus Nach­name lau­tete Moza­razu. Des­halb ver­brachten wir viel Zeit im Editor des Spiels, um mit­hilfe des Kicker-Son­der­hefts die ori­gi­nalen Ver­eins- und Spie­ler­namen zu erstellen.

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Moza­razu, Peli­ha­midzic und Huhn feiern die Deut­sche Meis­ter­schaft 1999.

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Mit der Frau des Prä­si­denten in der Besen­kammer

Zwar gab es beim Fuß­ball Manager von EA alle Ori­gi­nal­daten, aber den unver­gleich­li­chen Humor, den es bei Anstoss gegeben hatte, fehlte mir. Bei Anstoss pas­sierten die abson­der­lichsten Dinge: Mal wurde mein Kapitän beim Mari­huana-Konsum über­führt, mal verlor ein Spieler Moral­punkte, weil er einen unehe­li­chen Sohn in die Welt gesetzt hatte und nun monat­lich Ali­mente für seinen Spröss­ling ent­richten musste, mal erkrankte ein Ersatz­spieler an BSE und ein anderes Mal wurde ich vom Verein vor die Tür gesetzt, weil ich mich auf der Weih­nachts­feier mit der Frau des Prä­si­denten in der Besen­kammer ver­gnügt haben soll. Wir saßen lachend vor dem PC.

Es wurde das Toi­let­ten­pa­pier aus der Geschäfts­stelle geklaut, Aliens ent­führten den Co-Trainer oder der Top­star des Teams wurde beim Urlaub auf dem Bau­ernhof von einer wild­ge­wor­denen Kuh über den Haufen gerannt. Und wenn es bei meinem Verein mal nicht so gut lief, war es mir mög­lich, den Schieds­richter zu bestechen, meine Mann­schaft zu einem Arzt mit dem omi­nösen Namen Dr. chem. Do Ping zu schi­cken oder den Spie­lern mit Sätzen wie Wollt ihr mich ver­ar­schen oder was? So’n Schrott hier zusammen zu spielen? Ne, das mach ich nicht mit! Ihr könnt euch selber ver­ar­schen! Doof­köppe!“ Feuer unterm Aller­wer­testen zu machen.

Finale ver­loren? Neu laden!

Beson­ders stolz war ich auf eine Kar­riere als Manager der FC Schalke 05 Ama­teure, denen ich bis ins Jahr 2103 die Treue hielt und mit ihnen alle Tro­phäen gewann, die man so gewinnen konnte. An Tak­tik­kniffe wie eine Fal­sche Neun, Tiki-Taka oder Gegen­pres­sing war damals noch gar nicht zu denken, statt­dessen ließ ich klas­sisch mit Libero spielen. Viel­leicht sollte sich der FC Schalke im realen Leben ein Bei­spiel daran nehmen, um auch mal die Meis­ter­schale in den Himmel zu recken. Weston McPonnie oder Ozan Tobak als Libero? Das klingt doch erfolg­ver­spre­chend.

Zuge­geben: Damals ging nicht alles mit rechten Dingen zu, denn ich bediente mich eines Tricks“, den Kri­tiker wohl als Cheat bezeichnen würden: Als ich mein Sta­dion aus­baute und des­halb mit zwei Mil­li­arden D‑Mark in die Miesen ging, hatte ich plötz­lich ein Plus von zwei Mil­li­arden D‑Mark auf dem Ver­eins­konto. Mit dieser hor­renden Summe war es natür­lich nicht son­der­lich schwierig, die besten Spieler der Welt in den Ruhr­pott zu locken und einen Titel nach dem anderen ein­zu­sam­meln. Und wenn doch mal ein Euro­pa­po­kal­fi­nale ver­loren ging, wurde es selbst­ver­ständ­lich neu­ge­laden. Meine harte Arbeit und mein Zeit­auf­wand mussten ja schließ­lich auch belohnt werden.

2006 kam das letzte Anstoss-Spiel raus, 2013 ging der Manager von EA in Rente. 2018 sicherte sich der von SEGA pro­du­zierte Foot­ball Manager die Lizenzen für die Bun­des­liga und nimmt seitdem die Mono­pol­stel­lung auf dem deut­schen Markt ein. Auch ich besorgte mir den Foot­ball Manager, war mit der Kom­ple­xität und tak­ti­schen Tiefe des Spiels aber über­for­dert und vom opti­schen Design ent­täuscht. Klar, das Spiel lie­fert eine unfassbar große Daten­bank und ist ver­mut­lich sehr viel rea­lis­ti­scher als alle anderen Manager-Simu­la­tionen zuvor, aber ich möchte beim Zocken vor allem eines haben: Spaß und Emo­tio­na­lität.

Ich schaue mit einem ver­klärten Blick auf Anstoss. Natür­lich hatte das Spiel seine Schwä­chen und war vor allem tech­nisch nicht aus­ge­reift: Erin­nert sei an die vielen Bugs, die das Spiel häufig abstürzen ließen. Sicher­lich schwingt bei meiner retro­spek­tiven Betrach­tung des Spiels diese ‚„Früher war alles besser“-Nostalgie mit, aber würde nicht jeder gerne nochmal zurück in seine Kind­heit reisen?

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Nicht nur die Hobby-Manager vor dem PC hatten Spaß, son­dern auch Reiner Cal­mund und Rudi Assauer.

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Anstoss löste in mir eine vorher nicht gekannte Fas­zi­na­tion aus. Als kleiner Junge habe ich meine Mana­ger­kar­riere als Lebens­pro­jekt begriffen, habe mich meinem Verein und meinen Spie­lern gegen­über ver­ant­wort­lich gefühlt, habe so getan, als würde ich gerade eine Pres­se­kon­fe­renz abhalten und nachts sogar davon geträumt. Ich fühlte mich wie Rudi Assauer und Reiner Cal­mund. Nur ein paar Kilo leichter und ohne Zigarre in der Hand. Außen­ste­hende, die Anstoss nie gespielt haben, werden mich für ver­rückt erklären. Wenn sie aber ehr­lich sind, werden sie merken, dass auch sie in ihrer Kind­heit für etwas brannten, auf das Dritte ledig­lich mit einem Schul­ter­zu­cken oder einem Kopf­schüt­teln reagierten. Takes­hi’s Castle, ein Arsch­ge­weih, SSV Ulm. Sowas halt.

Für mich und alle anderen Fans der alten Anstoss-Spiele könnte ein Stück Kind­heit (oder Jugend) im kom­menden Jahr also wie­der­kehren. Ich hoffe es zumin­dest und lege jedem ein­ge­fleischten Hob­by­ma­nager ans Herz, der Neu­erschei­nung von Kalypso Media eine Chance zu geben. Oder um es mal mit dem Worten einer Anstoss-Halb­zeit­an­sprache aus­zu­drü­cken: Anstoss 2022 wird ein abso­luter Pflicht­kauf, ihr lauf­faulen Turn­beu­tel­träger!