Am Abend spielt Rot-Weiss Essen im DFB-Pokal-Achtelfinale. Wir haben den Klub, der eigentlich immer scheitert, vor einem Jahr begleitet. Die Geschichte einer bizarren Saison.
Nun, zumindest das ist im Sommer 2019 nicht wirklich anders. Dass aber die Fans auf einmal trotzdem den Eindruck haben, dass sich etwas bewegt, liegt daran, dass die Neuen diesmal vielleicht ein wenig prominenter sind als die, die sich sonst nach Essen verirren. Auch daran, dass der neue Trainer zuvor in der Bundesliga gearbeitet hat. Und nicht zuletzt daran, dass da plötzlich jemand aus ihren Reihen ist, der sein Geld in den Verein stecken will.
Zwei Tage vor dem Saisonauftakt gegen die U23 von Borussia Dortmund sitzt dieser Mann in einer Loge des Essener Stadions und sagt: „Ich habe die Mittel und Möglichkeiten, meinen Lieblingsverein nach vorne zu bringen. Und ich habe mir gesagt: Bevor da jemand anderes kommt und es schlimm wird, biete ich mich halt an.“ Es ist nicht gerade das, was Geldgeber im Fußball normalerweise sagen, und tatsächlich ist dieser Sascha Peljhan anders, als man sich einen klassischen Investor vorstellt. Der 42-Jährige stammt aus einer Essener Arbeiterfamilie und strahlt weder das Aalglatte eines Lars Windhorst noch den patriarchalischen Herrschaftsanspruch eines Dietmar Hopp aus. Seine Millionen hat er mit dem Modeunternehmen Naketano gemacht, das er und sein Partner 2018 trotz florierender Geschäfte von einem auf den anderen Tag einfach dichtgemacht haben. Seitdem ist er weitgehend Privatier. Und bei Rot-Weiss Essen seit Jahren Dauerkartenbesitzer.
Das klingt auf jeden Fall eher nach „Schäng“ Löring als nach Didi Mateschitz, doch während es den Mäzenen alter Schule ja oft darum ging, sich im Lichte ihrer Popularität zu sonnen, wirkt Peljhan schüchtern, fast scheu. Bevor er antwortet, blickt er oft rüber zum neben ihm sitzenden Essener Vereinschef Marcus Uhlig: Darf ich das sagen? Uhlig, ehemaliger Geschäftsführer von Arminia Bielefeld, aber ein Kindheitsfan von Rot-Weiss Essen, ist sich des Minenfelds bewusst, in dem sich Peljhans Engagement bewegt. „Einfach irgendeinen Investor ranzuholen, wird in Essen nicht funktionieren“, sagt er. „Weil dies ein besonderer Verein ist, in dem es bestimmte Werte zu respektieren gilt.“
Aber so wie zuletzt konnte es ja auch nicht weitergehen. Marcus Uhlig ist seit Ende 2017 bei Rot-Weiss Essen, sein Vorgänger Michael Welling hat den zuvor an seiner Nostalgiefixiertheit fast erstickten Verein saniert und modernisiert, aber sportlich nicht wirklich weitergebracht. Auf Peljhan ist Uhlig gestoßen, als er nach seinem Amtsantritt die Klubsponsoren, auch die kleineren, abtelefoniert hat. Beide blieben in Kontakt und vereinbarten im Frühjahr 2019 den größeren Einstieg des Unternehmers. Glaubt man ihnen, funktioniert Peljhans Engagement nach dem Prinzip eines Fallschirms. RWE investiert verstärkt in die Mannschaft, in der Hoffnung, damit auch höhere Einnahmen zu generieren. Sollte dies nicht gelingen, gleicht Peljhan die Verluste aus. Ob ihm bewusst sei, dass man im Fußball oft einen fürchterlich langen Atem benötige? Dass Sascha Peljhan nicht viel spricht, heißt nicht, dass er nicht pointiert formulieren kann. „Naketano gab es 14 Jahre“, sagt er knapp. „Davon waren nur die letzten sechs Jahre erfolgreich.“ Frage beantwortet?
Peljhans Einstieg war aber nicht die einzige Veränderung bei Rot-Weiss Essen, stattdessen gab es im vergangenen Sommer „einen kompletten Neustart“, wie Uhlig es nennt. Vom Regionalliga-Konkurrenten Rot-Weiß Oberhausen warb RWE den erst 33-jährigen Sportdirektor Jörn Nowak ab, der dort mit wenig Geld eine erfolgreiche Mannschaft aufgebaut hatte. Für noch mehr Aufsehen sorgte allerdings die Verpflichtung von Christian Titz als Cheftrainer, schließlich hatte der zuvor beim Hamburger SV in der ersten und zweiten Liga gearbeitet. Da sah mancher Essener gleich wieder längst vergangene Bundesligazeiten am Horizont aufscheinen, zumal Titz mit seinem Konzept des hoch stehenden Torwarts für die Sorte Herzinfarktfußball steht, von der alle annahmen, dass sie perfekt an die stets emotional aufgeladene Hafenstraße passen würde.
Fehlten nur noch die Fußballer dazu, und so saßen Nowak, Uhlig und das Trainerteam in jenen Sommerwochen oft 16 Stunden am Tag zusammen, schauten Videos, diskutierten über buchstäblich Hunderte von Namen und holten Spieler zeitweise im Stundentakt – sei es der kantige Innenverteidiger Alexander Hahn vom FC Homburg, der erfahrene Defensiv-Allrounder Marco Kehl-Gomez, der talentierte Amara Condé, der in Kiel bereits zweitklassig gespielt hatte, dazu erprobte Offensivkräfte wie Dennis Grote und Oguzhan Kefkir. Zusammen mit verbliebenen Korsettstangen wie Kevin Grund, Daniel Heber und Enzo Wirtz bildeten sie nun ein Team, das in Essen echte Vorfreude weckte.