Jorginho, seit der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika, bei der Sie an der Seite von Dunga die Seleção betreuten, ist es ruhig um Sie geworden. Sind Sie überhaupt noch im Fußballgeschäft aktiv?
Jorginho: Unsere Niederlage im WM-Viertelfinale gegen Holland war sehr bitter. Nach der Weltmeisterschaft und einem kurzen Intermezzo bei Goiás (einem brasilianischen Verein, d. Red.), habe ich mir erstmal eine Auszeit genommen und bin durch Deutschland gereist. Seit März diesen Jahres bin ich wieder in meiner Heimat beim Erstligisten Figueirense FC als Trainer tätig.
Sie waren vergangenes Jahr in Deutschland?
Jorginho: Durch meine Zeit in Leverkusen und München habe ich noch viele Freunde in Deutschland. Mit Heiko Herrlich, meinem ehemaligen Zimmernachbar, verbindet mich bis heute eine intensive Freundschaft. Und Bruno Labbadia, den ich bei Bayern kennenlernte, habe ich erst kürzlich in Stuttgart besucht. Außerdem erkundigen sich gelegentlich Bundesligatrainer bei mir über brasilianische Spieler.
Zum Beispiel?
Jorginho: 2007 suchte Felix Magath einen Stürmer für den VfL Wolfsburg und interessierte sich bei mir nach Nilmar und Grafite. Beide sind hervorragende Fußballer, aber auf Grund seines besseren Kopfballspiels und seiner Robustheit, empfahl ich ihm Grafite für den deutschen Fußball. Das war ja letztlich kein so schlechter Tip.
Apropos Wolfsburg – kürzlich sorgte Ihr Landsmann Diego durch seine Disziplinlosigkeit für einen Skandal. Wieso fällt Fußballern aus Brasilien die Integration in Deutschland häufig so schwer?
Jorginho: Viele brasilianische Fußballer wollen den Lebensstil, den sie aus ihrer Heimat kennen, auch in Deutschland fortführen. Sie bleiben unter sich, lernen die Sprache kaum, und zeigen wenig Interesse an der deutschen Kultur. Dieses Verhalten isoliert sie und verursacht Konflikte. Ein Fußballer der sich nicht wohl fühlt, kann auch keine gute Leistung abrufen.
Sie hingegen sollen bereits nach wenigen Monaten deutscher als Ihre deutschen Kollegen gewesen sein. Was war Ihr Geheimnis?
Jorginho: Als ich im September 1989 nach Leverkusen kam, versuchte ich schnell die deutsche Sprache zu erlernen, um mit meinen neuen Mitspielern zu reden. Dieser Tatendrang sorgte in der Mannschaft häufig für Gelächter: Dass man nach dem Essen „Mahlzeit“ und nicht „Halbzeit“ sagt, verrieten mir die Jungs erst nach Wochen. Außerdem begann ich nach einer Eingewöhnungsphase das deutsche Essen und sogar das eisige Wetter zu lieben. Wie oft sehne ich mich heute in Brasilien danach, auf dem Marienplatz zu sitzen und ein Erdbeerkuchen zu essen oder im Winter einen Schneespaziergang zu machen!
Jorginho – Die Karriere des brasilianischen Weltmeisters in der Bilderstrecke!
Als Sie 1989 in die Bundesliga wechselten, waren Sie nach Tita erst der zweite Brasilianer, der je bei Bayer Leverkusen gespielt hatte – wie kam der Kontakt damals zustande?
Jorginho: Ende der Achtziger spielte ich bei Flamengo und war Kapitän der brasilianischen Nationalmannschaft. Im Juni 1989 besiegten wir Portugal in einem Freundschaftsspiel mit 4:0. An diesem Tag war das Leverkusener Trainergespann Jürgen Gelsdorf und Peter Herrmann im Maracanã, um Bernardo (wechselte 1991 zu Bayern München – Anm. d. Red.) zu beobachten. Aber als sie mich spielen sahen, änderten sie wohl ihre Meinung, denn ein paar Wochen später saß Manager Reiner Calmund auf meinem Sofa und überzeugte mich nach Deutschland zu wechseln.
Bekanntermaßen holten Sie zwischen 1989 und 1992 mit Bayer Leverkusen keine Titel. Entschieden Sie sich deswegen für einen Wechsel zu Bayern München?
In Leverkusen fehlte mir irgendwie die Siegermentalität im Verein. Bei Flamengo war ich es gewohnt, jedes Jahr um die Meisterschaft zu spielen, und bei Bayer feierte man schon den Einzug in den UEFA-Cup als großen Erfolg. Mich aber zog es in die Champions-League, ich wollte mich mit den ganz großen Klubs des europäischen Fußballs messen! Nachdem Leverkusen mir im Vorjahr einen Wechsel zu Juventus Turin verweigert hatte, ging man 1992 meinem Wunsch nach und ließ mich nach München ziehen.
Bayern München vollzog vor der Saison 1992/1993 einen großen Umbruch und verpflichtete zahlreiche Spieler. Lothar Matthäus kehrte aus Italien zurück.
In München war ich nur noch einer unter vielen und musste mich wieder neu beweisen. Mal abgesehen von Lothar Matthäus, der Deutschland 1990 zur Weltmeisterschaft geführt hatte und im Team hohes Ansehen genoss, waren wir aber eine sehr ausgeglichene Mannschaft.
Wie war Ihr persönliches Verhältnis zu Lothar Matthäus?
Lothar ist einer der besten Spieler, mit denen ich während meiner langen Karriere spielen durfte. Kaum einer konnte so präzise Pässe schlagen und gegnerische Angriffe erahnen wie er. Leider fiel er des Öfteren neben dem Platz durch Starallüren und Skandale negativ auf. Er nahm auch keine Hilfe an.
Das müssen Sie genauer erklären.
Ich bin sehr religiös und gründete während meiner Zeit beim FC Bayern eine christliche Gemeinde. Ich lud viele Mitspieler ein, mit uns zu beten und Gott näherzukommen. Lothar Matthäus schlug die Einladung jedes Mal aus. Sehr schade, denn ich denke, der Glaube zu Gott würde ihm helfen und sein Leben erleichtern.
Jorginho, warum waren Sie eigentlich noch nie als Trainer in Deutschland aktiv?
Über meinen Berater habe ich vor einiger Zeit von einer vermeintlichen Offerte des 1. FC Köln gehört, wo man mich offenbar als Nachfolger von Zvonimir Soldo holen wollte. Ein konkretes Angebot lag allerdings zu keinem Zeitpunkt vor. Ich bin aber davon überzeugt, dass entweder Dunga oder ich in näherer Zukunft als erster brasilianischer Trainer in Deutschland arbeiten werden.
Sie waren fast 20 Jahre als Profifußballer aktiv. Welcher Trainer hat Sie in dieser Zeit am meisten beeindruckt?
Ganz klar, Franz Beckenbauer, mit dem ich 1994 bei Bayern München die Meisterschaft feierte. Er hielt nicht lange Reden über taktisches Verhalten oder komplizierte Laufwege, sondern brachte die Dinge irgendwie immer direkt auf den Punkt. Und für eine solche Gabe sind Fußballer immer sehr dankbar.