Für Diego Maradona gab es Regeln nur, um sie zu brechen. Auf dem Platz und auch im Leben. Sein alter Trainer César Luis Menotti erklärt, warum ihn das zum Fußballgott machte.
Andere große Fußballer hören irgendwann auf und gehen nach Hause. Diego nicht. Er machte immer weiter. Und da begann sein wirklicher Kampf. Denn als er die Macht des Balls an seinem Fuß verlor, wurde er angreifbar. Ich sagte ihm einmal, dass er der Jesse James des Fußballs sei. Der Ball an seinem Fuß war für ihn wie für Jesse James die Pistole in der Hand. Und in dem einen Moment, in dem Jesse James die Pistole aus der Hand legte, haben sie ihn erschossen. Ich sagte ihm: „Wenn du mit dem Fußballspielen aufhörst, wirst auch du verwundbar sein.“
Aber Diego ist ein guter Kämpfer, er ist stark, ein Überlebenskünstler. Man muss sich nur daran erinnern, wie dick er war, so dick, dass er fast gestorben wäre, und dann sah er plötzlich wieder aus wie mit 30 und moderierte eine Fernsehshow. Und zwar erfolgreich! Ich habe das Gefühl, dass er sich mittlerweile weit entfernt hat von den Dingen, die ihm schaden. Und ich bin sehr glücklich, dass er das alles überlebt hat.
Ein Rebell war Diego eigentlich nie. Aber wenn einer aus einem Armenviertel kommt, von ganz unten, und so weit nach oben aufsteigt, dann gibt ihm das ein Gefühl von Allmächtigkeit. Diego hatte das Gefühl, dass er alles sagen konnte, was er wollte. Seit der WM 1986 hielten auch die Fans Diego für einen, der aufsässig ist, der sich nicht zähmen lässt, der für die Gerechtigkeit kämpft. Sie glaubten, er vertrete ihre Forderungen, ihre Rechte. Aber sie haben sich getäuscht: Diego hat immer nur für sich gekämpft. Es waren seine persönlichen Kämpfe. Mit einem revolutionären Führer hat er nichts gemein.
Natürlich sieht er sich selbst als Rebell, spätestens nachdem ihn die FIFA von der WM 1994 in den USA ausgeschlossen hatte. Die USA verboten ihm danach auch lange Zeit die Einreise, wegen seiner Drogenprobleme. Vielleicht fühlt er sich deswegen so zu Che Guevara, Fidel Castro und Hugo Chavez hingezogen: Die Feinde der USA sind seine Freunde. Sie erscheinen ihm in seiner Welt wie Robin Hoods, wie Legenden, die politische Analyse interessiert ihn dabei wenig. Er handelt nun mal rein intuitiv.
Im Grunde ist das das einzig Rebellische an Diego: dass er intuitiv handelt, nicht rational. Er schert sich nicht um Konventionen. Er war sich immer darin treu, heute dies zu tun und morgen das Gegenteil. Diego kann heute die Präsidentin kritisieren und sie nächste Woche herzlich umarmen und mit ihr einen Kaffee trinken. Am einen Tag trifft er sich mit Fidel Castro, am nächsten hängt er mit der Schickeria im noblen Badeort Punte del Este ab; erst besucht er ein Armenviertel, dann fliegt er mit Hugo Chavez nach Mar del Plata. Er hat einfach immer das gemacht, wozu er gerade Lust hatte.
Es ist schwierig zu sagen, wer und wie Diego Armando Maradona eigentlich ist. Ich glaube, den authentischen Diego gab es nur auf dem Fußballplatz. Abseits des Platzes jedoch legte er sich eine Persönlichkeit zu, er wurde zu einem Schauspieler seines eigenen Lebens. Seine Suchtprobleme etwa zeigte er so öffentlich, als würde er sie nur spielen. Als er nach Kuba reiste, war er ein Schauspieler der Revolution. Als Nationaltrainer Argentiniens setzte er ein Trainergesicht auf, wie einstudiert für eine Rolle. Aber für mich ist das nicht der Diego, den ich kenne. Für mich ist Diego der Fußballer, der auf dem Platz so genial war. Über den keiner seiner Mitspieler etwas Negatives sagen würde, weil er immer solidarisch war, seine Kameraden verteidigt hat.
Diego ist kein Typ für ein wohlgeordnetes Leben. Da ist immer irgendein Konflikt, jetzt gerade ist, so schreibt es die hiesige Klatschpresse, seine Exfreundin schwanger und er hat sich angeblich von ihr getrennt, weil er kein Kind mehr will. Sein Leben gleicht in gewisser Weise einem unentwirrbaren, wüsten Durcheinander. Es ist ein Leben, das man nicht richtig versteht. Er könnte hier in Argentinien trainieren, aber er treibt sich irgendwo in Arabien rum oder was weiß ich wo. Aber es ist sein Leben. Er lebt so.
Und wer sind wir, dass wir das in Frage stellen?