Jonas Hector beendet still und leise seine Nationalmannschaftskarriere. Das ist traurig – und nur verständlich.
Und wie damit umgehen? Lutz Trabalski, der Mann für die Großgewinnabteilung bei Lotto Berlin, rät Gewinnern, sich so viel Normalität wie möglich zu bewahren. Gewinner seien nicht glücklich, sie hätten nur Glück gehabt. Die ganze Glücksarbeit liege noch vor ihnen. Bei all dem Ruhm und all dem Reichtum ist für Profifußballer viel Raum für schlechte Ideen.
Sehr wahrscheinlich haben sich Trabalski und Hector nie kennengelernt. Aber das mit der Normalität hat Hector für sich bewahrt. Auf die Frage, ob er ein bodenständiger Mensch sei, sagte Hector einmal: „Ich versuche einfach, weiter so zu leben, wie ich es in Auersmacher getan habe. Ich versuche, mein Geld zusammenzuhalten und es nicht zu verprassen.“ Dankbar sei er für die Freunde, die ihn nicht darum bitten würden, Hotelrechnungen zu bezahlen, sondern sich am Wochenende aufmachen würden nach Köln, 280 Kilometer hin und nach dem Spiel wieder zurück, nur um ihn zu unterstützen. Die zu Länderspielen fuhren, wenn er spielte. Fast schon erleichtert wirkte Hector, dass er sich für Sportwagen sowieso nicht interessiere und im Dorf noch immer nicht als Pascha gelte. Jonas Hector lebt, wenn man so will, wie er Fußball spielt: „Ich versuche keine Überdinge.”
In Köln wissen sie längst, was sie an ihm haben. Er, der einzige Nationalspieler des Effzeh. Er, der vermutlich noch länger der einzige Nationalspieler des Effzeh geblieben wäre. Er, der nach dem Abstieg 2018 ausreichend Angebote vorliegen hatte, sich aber für einen Verbleib entschied. Das ist ein Kredit, der sich nur schwer verspielen lässt. Über seine Karriere sagt er: „Ich hatte bis heute relativ viel Glück.”
Doch auch dem Ansehen der Nationalmannschaft tat Hector gut. Zwischen all jenen, die mit graffitibesprühten Wolljacken ins Mannschaftshotel reisten und am Abend ihren einstudierten Nachwuchsleistungszentrumsfußball spielten, wetzte Hector verlässlich die linke Seite entlang. Er wirkte auf dem Boden geblieben. Ein Attribut, das beim DFB bekanntlich nur noch selten zu finden ist. Hector wird der Nationalmannschaft fehlen. Und wie gut Hector war, fiel auf, wenn er fehlte. So wie beim WM-Eröffnungsspiel gegen Mexiko.
In einer aufwendig produzierten Dokumentation des 1. FC Köln in Zusammenarbeit mit DAZN aus der vergangenen Saison ist Jonas Hector auf einem Dorfsportplatz zu sehen. Kein Imagefilm, einfach nur ein Besuch bei seinem Heimatverein: SV Auersmacher. Die Fußballblase nennt er während der Aufnahmen ein „Konstrukt”, er freut sich über einen Elfmeter für seinen Heimatverein, dann kauft er zwei Bier. Eins davon trinkt er nach Abpfiff mit seinem Bruder Lucas, mit dem er früher gemeinsam im Saarland kickte.
Aber auch Hectors Leben besteht nicht nur aus Glück – ganz im Gegenteil: Lucas, sein älterer Bruder, ist im Juni dieses Jahres verstorben. Bei einer Radtour sei ihm übel geworden, zuhause habe er sich übergeben, seine Familie fand ihn leblos auf. Zusammen mit Jonas stieg Lucas vor zehn Jahren in die Oberliga auf, gemeinsam gewannen sie das Saarländische Hallenmasters. Zum letzten Saisonspiel gegen Werder Bremen reiste Jonas Hector nicht mehr mit. „Wir haben uns immer gegenseitig zu Höchstleistungen motiviert“, hat Jonas Hector einmal über seinen Bruder gesagt.
In den darauffolgenden Wochen erklärte Jonas Hector im Verein seine Nationalmannschaftskarriere für beendet. Mit 30 Jahren ist er beim 1. FC Köln weiter unantastbar. Auf jeden Fall, hat Jonas Hector einmal gesagt, überwiege in der Rückschau der Vorteil, seine Jugend im gewohnten Umfeld verbracht zu haben, statt frühzeitig in ein Nachwuchsleistungszentrum zu gehen und ein noch besserer Fußballer zu werden. Glücklich sein bedeutet nicht Glück haben. Kicken mit den Jungs halt – was bedeutet da schon die Nationalmannschaft?