Wir bauen unsere Seite für dich um. Klicke hier für mehr Informationen.

Seite 3: Berühmtheit durch das Ritual

All diese Ange­wohn­heiten sind natür­lich völlig normal und wären kaum der Rede wert, hätte Chris Has­tings nicht noch ein wirk­lich unge­wöhn­li­ches Ritual, mit dem er unter seinen Freunden eine gewisse Berühmt­heit erlangt hat. Vor einem Aus­wärts­spiel besucht er den Fan­shop des Geg­ners und kauft dort den kleinsten oder bil­ligsten Gegen­stand. Früher han­delte es sich oft um Magnete für den Kühl­schrank“, sagt er. Das Dumme daran war, dass die Tür unseres Kühl­schranks nicht magne­tisch ist. Ich musste also eine Metall­platte in der Küche anbringen, um all die Dinger auf­zu­hängen. Das wurde irgend­wann unprak­tisch. Seither kaufe ich But­tons.“

Ich darf keinen Button dop­pelt haben“

Die lassen sich zwar leichter im Haus unter­bringen (Chris steckt sie alle an einen Rovers-Schal), aber damit sind die Pro­bleme noch nicht gelöst. Ich darf keinen Button dop­pelt haben, muss also jedes Mal einen anderen kaufen“, erklärt Chris. Von Car­l­isle United habe ich inzwi­schen schon eine rich­tige Samm­lung.“ Manchmal, wenn ihre Mann­schaft trotz dieser Maß­nahmen als Ver­lierer vom Platz geht, statten Chris und seine Freunde dem Fan­shop nach dem Spiel noch einen Kon­troll­be­such ab – nur um zu über­prüfen, ob die Nie­der­lage viel­leicht damit zu tun hat, dass sie einen Gegen­stand über­sehen haben, der noch kleiner ist als ein Button.

Das Detail mit den Magneten und der Tür weist auf ein Pro­blem hin, das viele Fans kennen: Beson­ders aus­ge­ar­bei­tete Rituale sind beson­ders mächtig – aber auf die Dauer auch beson­ders anstren­gend. Ein anschau­li­ches Bei­spiel dafür lie­fert der Inder Krish­nendu Biswas aus Kal­kutta. Seit dem Tag im Dezember 2004, als Steven Ger­rard den FC Liver­pool mit einem fan­tas­ti­schen Drop­kick gegen Olym­piakos Piräus ins Ach­tel­fi­nale der Cham­pions League schoss, liebt Krish­nendu die Reds über alles – hat sie aber noch nie im Sta­dion spielen sehen. Dafür ver­passt er keine ein­zige Partie am Fern­seher. Und lange Zeit folgte er dabei einem dif­fi­zilen Pro­to­koll. Ich saß immer in einem bestimmten Sessel, und zwar genau in einem 45-Grad-Winkel zum Bild­schirm“, beginnt er seine Auf­zäh­lung. Meine Beine mussten immer auf das Tor gerichtet sein, auf das Liver­pool spielt. In der rechten Hand hielt ich mein Handy. Links von mir, auf einem Tisch, lag die Fern­be­die­nung.“ 

Jürgen Klopp hat mir enorm dabei geholfen.“ 

In exakt dieser Hal­tung ver­folgte Biswas fast 200 Spiele des FC Liver­pool. Ob es Mus­kel­krämpfe waren, die ihn dazu zwangen, einige Ele­mente auf­zu­geben oder ob es viel­leicht mit Ger­rards berühmtem Aus­rut­scher zu tun hat, der 2014 die Meis­ter­schaft kos­tete, lässt Krish­nendu im Unge­wissen. Er sagt nur: Das mit den Beinen mache ich immer noch. Den Rest des Rituals habe ich abge­schwächt. Es war eine schwie­rige Ent­schei­dung, aber Jürgen Klopp hat mir enorm dabei geholfen.“ 

In Argen­ti­nien sind solche Rituale oder Beschwö­rungen so all­ge­gen­wärtig, dass es ein eigenes Wort für sie gibt – cábalas“, abge­leitet von der jüdi­schen Geheim­lehre Kab­bala. Es ist zum Bei­spiel ein offenes Geheimnis, dass vor zwei Jahren die ent­schei­denden Spiele des Racing Club alle vom selben Reporter kom­men­tiert wurden, weil der Sohn der dama­ligen Staats­prä­si­dentin glaubte, das bringe seinem Klub Glück. Er behielt recht, denn das Team holte erst zum zweiten Mal in den ver­gan­genen 50 Jahren den Titel. 

Manchmal ist es ein­fach nur wichtig, über­haupt ein Zere­mo­niell zu haben

Doch nicht immer geht es bei Ritualen darum, dass sie auch wirk­lich Erfolg zei­tigen. Manchmal ist es ein­fach nur wichtig, über­haupt ein regel­mä­ßiges Zere­mo­niell zu haben. So hängen Fans des spa­ni­schen Klubs FC Gra­nada am Zaun hinter dem Tor Knob­lauch auf, um böse Geister abzu­wehren, wäh­rend Anhänger von Osa­suna Pam­plona im Sommer der Jung­frau von Aralar Opfer dar­brachten. Beide Klubs ste­cken der­zeit im Tabel­len­keller – doch die Fans glauben wei­terhin an ihre cábalas“.

So hält man es auch in Darm­stadt. Seit einiger Zeit findet dort jedes Abschluss­trai­ning der Lilien unter den vier wach­samen Augen von Karin Hohlen und ihrem Zwerg­pudel Leni statt. Die beiden sorgen dafür, dass sich keine Spione des kom­menden Geg­ners aufs Gelände schlei­chen, um die Taktik der 98er aus­zu­kund­schaften. Noch wich­tiger aber ist inzwi­schen, dass einer der Spieler nach dem Ende des Trai­nings den Hund strei­chelt. Das Ganze geht auf Mit­tel­feld­spieler Hanno Beh­rens zurück. Bei einem Test­spiel gegen einen Ama­teur­verein vor knapp drei Jahren bemerkte Beh­rens die damals vier Monate alte Leni hinter der Ersatz­bank und nahm sie auf den Arm. Ich glaube, da wurde seine Liebe zu Leni geboren“, sagt Frau­chen Karin, die als Tages­mutter in Darm­stadt arbeitet. 

Das Ritual brachte ihm seine ersten zwei Bun­des­li­ga­tore ein

Diese Gefühle wurden erwi­dert, denn fortan wei­gerte sich der Pudel, das Gelände zu ver­lassen, solange er nicht von Beh­rens lieb­kost worden war. Auch Flo­rian Jung­wirth, der ein großer Hun­de­freund ist, wollte sie auf den Arm nehmen“, sagt Karin, aber Leni war auf Hanno fixiert.“ So und nicht anders begann Darm­stadts Erfolgs­ge­schichte.

Im Sommer schien sie abrupt zu enden. Natür­lich nicht etwa, weil Trainer Dirk Schuster den Klub ver­ließ, son­dern weil Beh­rens nach Nürn­berg wech­selte. Zum Glück fand sich wil­liger Ersatz: Neu­zu­gang Laszlo Klein­heisler akzep­tierte Leni sogleich als Talisman (unter anderem, weil beide den glei­chen Rot­stich im Haar haben) und auch der von Hof­fen­heim aus­ge­lie­hene Antonio Colak strei­chelt den Zwerg­pudel gerne – schließ­lich brachte ihm dieses Ritual im Oktober seine ersten beiden Bun­des­li­ga­tore ein. Für viele Spieler gehört Leni ein­fach zum Abschluss­trai­ning dazu“, sagt Karin Hohlen. Ob noch einmal so eine Liebe wie zu Hanno ent­steht, das weiß ich nicht, aber sie zieht mich immer in Rich­tung Klein­heisler und Colak.“ Zwar steht Darm­stadt im Moment nicht ganz so gut dar wie noch vor Jah­res­frist, doch am Böl­len­falltor ist die Hoff­nung groß, dass dank Leni der Abstiegs­kampf auch diesmal ein gutes Ende nimmt.