Kaum zu fassen, was manche Fans veranstalten, um den Fußballgott gnädig zu stimmen.
Vorsichtig umfasst Ryan Gibson sein rechtes Auge – das mit dem Logo des FC Bayern München – und drückt es aus der Höhle. Es ist recht früh am Morgen im Hooligans, einer Sportsbar in Charlotte, South Carolina, doch gleich tritt am anderen Ende der Welt Ryans Lieblingsklub gegen Hoffenheim an und der Amerikaner muss noch einiges erledigen, bevor er bereit für das Spiel ist.
So, jetzt kann’s losgehen“
„FC Bayern – forever number one“, beginnt Ryan zu singen, während er ein weißes Tuch herausholt, um damit sein Glasauge zu polieren. „Es fühlt sich zwar für die Finger ganz glatt an“, erklärt er dem fragenden Betrachter, „aber wenn man es einsetzt, meint man, es wäre aus Schmirgelpapier.“ Vor acht Monaten verlor der 33-Jährige sein natürliches Auge durch eine seltene Krebserkrankung. Seither hat er das Glasauge mit dem handgemalten FCB-Wappen – und ein neues Fanritual.
Gibson wischt 25 Mal von rechts nach links über das Auge, einmal für jede Bundesligameisterschaft der Bayern. Danach poliert er es 18 Mal in die andere Richtung (für die Siege im DFB-Pokal) und putzt zum Abschluss die Rückseite fünfmal (für die Erfolge im Pokal der Landesmeister und der Champions League). „Mia san mia!“, ruft er, während er die Prothese zurück in die Augenhöhle setzt. Dann grinst er und sagt: „So, jetzt kann’s losgehen.“
Seit er das Glasauge poliert, ist seine Mannschaft unbesiegt
Ryans Ritual mag etwas kompliziert sein, aber es ist erfolgreich. Nach der Operation trug er zunächst eine Augenklappe mit dem FCB-Logo – prompt schieden die Bayern in der Champions League aus. Seit er das Glasauge hat und es vor jedem Spiel poliert, ist seine Mannschaft unbesiegt. Auch eine gute Hoffenheimer Elf, die früh in Führung geht, kann die Magie des Rituals nicht brechen, die Partie endet 1:1.
In Italien gibt es die abergläubischsten Fans
Wer nicht glaubt, dass es da einen Zusammenhang gibt, der kann sich zwar als rationalen, aufgeklärten Menschen bezeichnen, aber der ist dann eben auch kein Fußballfan. Im Jahre 2008 ergab eine Studie der Kreditkartenfirma MBNA, dass allein in Großbritannien zwei Millionen Erwachsene ganz bestimmte Rituale haben, die ihrem Verein Glück bringen sollen. Und vor einem Jahr führte Master Card eine europaweite Untersuchung durch, laut der in Italien die abergläubischsten Fans leben: Nicht weniger als 73 Prozent der Tifosi gaben an, dass sie eine spezielle Angewohnheit haben oder zumindest einen Talisman bei sich tragen, wenn ihre Mannschaft spielt.
Warum es ausgerechnet Geldinstitute sind, die so etwas von den Menschen wissen wollen, muss vorerst unbeantwortet bleiben. Ganz sicher lässt sich nur sagen, dass der Aberglaube nicht an der italienischen Grenze haltmacht. Auch in der Bundesliga findet man ausgefeilte Rituale und seltsame Glücksbringer, selbst bei einem derart bodenständigen Verein wie Borussia Mönchengladbach. So folgen manche Fans der Fohlen auf dem Weg zum Stadion solch komplexen Kulthandlungen, dass man sich wundert, wie sie es überhaupt rechtzeitig zum Anpfiff auf ihren Platz schaffen. „Auf meinem Fußmarsch zum Stadion durch den Stadtteil Hehn komme ich an der ansässigen Kirche vorbei“, beginnt Thomas Fritsche von den „Herzblutfohlen“ seinen Bericht. „Hinter dieser liegt eine Grotte, ein Wallfahrtsort. Beim Durchschreiten des Gemäuers klopfe ich auf die oberen Steine, natürlich dreimal. Auf dem angrenzenden Friedhof halte ich dann kurz am Grab eines jung verstorbenen Borussen inne, der mir allerdings völlig unbekannt war.“
„Widersagt ihr dem kriminellen süddeutschen Teufel mit dem hochroten Kopf?“
Ungefähr zu der Zeit, da Fritsche diese und andere Stationen abläuft und darauf achten muss, kein Detail zu vergessen, erheben sich die „Emsland-Fohlen“, um ihr Glaubensbekenntnis abzulegen. „Wir bezeichnen unsere Zuneigung zur Borussia nicht als echte Liebe, wie das die Fans einer anderen Borussia tun, sondern als Glaubenq, führt Raimund Herbers aus, der Präsident des Fanklubs. „Und Gläubige sollten sich zu ihrem Glauben regelmäßig bekennen, wie das ja auch in kirchlichen Gemeinschaften üblich ist.“
So richtet ein Vorbeter sechs Fragen an die Mitglieder der „Emsland-Fohlen“, zum Beispiel: „Glaubt ihr an die Auferstehung der Toten und das Auffahren in den Eurohimmel?“ Oder: „Widersagt ihr dem kriminellen süddeutschen Teufel mit dem hochroten Kopf?“ Erst wenn die Gemeinde ihm versichert hat, dass sie glaubt (oder eben widersagt), sind die Borussen aus der Nähe von Meppen bereit für 90 Minuten Fußball.
Doch es gibt in Deutschland Fans, bei denen der Glaube an die Notwendigkeit von Ritualen noch stärker ausgeprägt ist als bei den Gladbachern. „Ich bin mir ganz sicher: Im Fußball werden die unerklärlichen Momente durch den Aberglauben und die verrückten Rituale der Fans ausgelöst“, sagt der 42-jährige Kai Wisznewski aus Hamm. „Und weil es auf Schalke so viele Freaks gibt, die an ihre Rituale glauben, gibt es auf Schalke auch so unglaublich viele ungewöhnliche Momente.“
Diese Theorie ist nicht von der Hand zu weisen. Schließlich wusste schon Luther: „Der Glaube ist nimmermehr stärker und herrlicher, denn wenn die Trübsal und Anfechtung am größten sind.“ Mit anderen Worten: Da die Mächte des Schicksals dem FC Schalke offenkundig feindselig gegenüberstehen, müssen die Anhänger des Klubs besonders ausgetüftelten Ritualen folgen. Wisznewski, der sogar seinen Job aufgab und sich selbständig machte, damit er mehr Schalke-Spiele sehen kann, hat selbst schon eine Menge königsblauer Zeremonien mitgemacht. Zum Beispiel die Sache mit den weißen Mäusen.
„Hat einwandfrei funktioniert“
In seinem Buch „Fever Pitch“ beschreibt der Engländer Nick Hornby einen „Abwehrzauber“ von Cambridge-United-Fans, die Schaummäusen den Kopf abbeißen und dann die Rümpfe unter vorbeifahrende Autos schleudern. Was in Cambridge klappt, könnte auch in Gelsenkirchen Erfolg haben, dachte sich ein Kumpel von Kai namens Eppi im Verlauf der Saison 1996/97 und verteilte die Süßigkeit unter seinen Freunden. „Je mehr platte kopflose Mäuse, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Schalke gewinnt“, erinnert Eppi sich an diese glorreichen Tage, die durch den UEFA-Cup-Sieg in Mailand gekrönt wurden. „Das waren tatsächlich schöne Bilder, wie Mäuse aus dem fünften Stock flogen. Sehr beliebt war auch, das während der Fahrt auf der Autobahn zu machen, wegen der hohen Trefferwahrscheinlichkeit.“
Bei den Heimspielen trafen sich die Mäusekiller hinter der Nordkurve des Parkstadions und bildeten einen Kreis. „Vorwärts wie rückwärts: Latal!“, riefen sie, dann wünschten sie sich etwas für die kommenden 90 Minuten, bevor sie den Mäusen den Kopf abbissen. „Hat einwandfrei funktioniert“, sagt Wisznewski. Bis zum letzten Spieltag der Saison 2001. Da wünschten sich die Schalker, dass der FC Bayern in Hamburg in der 90. Minute in Rückstand geraten möge. Obwohl die magische Kraft der Mäuse genau das eintreten ließ, wurde das Ritual an diesem Tag abgeschafft. Zu schmerzhaft war Bayerns Ausgleich tief in der Nachspielzeit.
„Selbst die 3:0‑Führung konnte mich nicht beruhigen.“
Doch das Ritual mit der Kastanie, das behielt Kai bei. Er hatte sie im Herbst 1983 gefunden und zum ersten Mal mit ins Stadion genommen, als der Zweitligist Schalke den Bayern das unvergessliche 6:6 im Pokal abtrotzte. Danach war die Glückskastanie fast ein Vierteljahrhundert lang Wisznewskis treuer Begleiter beim Fußball. „Ausgerechnet vor dem Derby im September 2008 konnte ich sie dann nicht finden“, sagt er. „Verlegt, verloren? Ich wusste es nicht. Jedenfalls musste ich das ganze Spiel daran denken, selbst die 3:0‑Führung konnte mich nicht beruhigen.“
Um 16.50 Uhr an jenem Tag flankte Rafinha an den langen Pfosten, wo Schalkes Mittelstürmer Kevin Kuranyi den Ball nur noch ins Netz nicken musste. Hinter dem Tor machten sich die Fans der Königsblauen bereit, den vierten Treffer ihrer Elf beim Rivalen zu feiern. Doch Wisznewski verfolgte den Flug des Balles mit einem mulmigen Gefühl. Tief in seinem Innern wusste er, dass dieser bislang so herrliche Nachmittag böse enden musste. Aus kaum zwei Metern Entfernung köpfte Kuranyi den Ball neben das Tor. Kurz danach fiel das 1:3. Dann das 2:3. Dann wurden zwei Schalker vom Platz gestellt. In der letzten Minute führte ein umstrittener Elfmeter zum 3:3.
Vielleicht sähe die jüngere Geschichte der Bundesliga völlig anders aus
„Das Ergebnis fühlte sich wie eine Niederlage an und hat uns die gesamte Saison versaut“, sagt Wisznewski. Keine sechs Monate später wurde Trainer Fred Rutten entlassen. Hätte man das auch getan, wenn Kuranyi getroffen und Schalke in Dortmund 4:0 gewonnen hätte? Und wie wäre wohl die Geschichte des BVB weitergegangen, wenn Jürgen Klopp diese Partie – sein erstes Derby als Dortmunder Trainer! – mit 0:4 verloren hätte? Vielleicht sähe die jüngere Geschichte der Bundesliga völlig anders aus. Und das alles nur wegen einer verschwundenen Kastanie.
Ja, manchmal sind es die ganz kleinen Dinge, die den Unterschied ausmachen können. Niemand weiß das besser als Chris Hastings aus dem englischen Ort Clevedon, etwa 20 Kilometer westlich von Bristol. Hastings gehört zu jenen Fans, die nicht nur ein einziges Ritual haben, sondern die auf Nummer sicher gehen und mehrere davon kombinieren. Wenn er mit seiner Ehefrau Rowena zu einem Auswärtsspiel der Bristol Rovers fährt, kauft er sich eine Stadionzeitung, schlägt sie aber niemals vor der Halbzeitpause auf. Auch für Rowena ist die Pause wichtig. Sie hat nämlich eine Tasche dabei, in der sich ein Teddybär namens Jason befindet. Die Tasche muss das ganze Spiel über unter Rowenas Sitz stehen und bleibt während der ersten Hälfte geschlossen. Nach der Pause hingegen darf, oder besser: muss, Jasons Kopf herausschauen. Gelingt es den Eheleuten dann noch, ein Foto von Rowena zusammen mit dem Maskottchen der Heimelf zu machen, ist wenigstens ein Unentschieden schon mal gesichert, denn dann haben die Rovers noch nie verloren.
All diese Angewohnheiten sind natürlich völlig normal und wären kaum der Rede wert, hätte Chris Hastings nicht noch ein wirklich ungewöhnliches Ritual, mit dem er unter seinen Freunden eine gewisse Berühmtheit erlangt hat. Vor einem Auswärtsspiel besucht er den Fanshop des Gegners und kauft dort den kleinsten oder billigsten Gegenstand. „Früher handelte es sich oft um Magnete für den Kühlschrank“, sagt er. „Das Dumme daran war, dass die Tür unseres Kühlschranks nicht magnetisch ist. Ich musste also eine Metallplatte in der Küche anbringen, um all die Dinger aufzuhängen. Das wurde irgendwann unpraktisch. Seither kaufe ich Buttons.“
„Ich darf keinen Button doppelt haben“
Die lassen sich zwar leichter im Haus unterbringen (Chris steckt sie alle an einen Rovers-Schal), aber damit sind die Probleme noch nicht gelöst. „Ich darf keinen Button doppelt haben, muss also jedes Mal einen anderen kaufen“, erklärt Chris. „Von Carlisle United habe ich inzwischen schon eine richtige Sammlung.“ Manchmal, wenn ihre Mannschaft trotz dieser Maßnahmen als Verlierer vom Platz geht, statten Chris und seine Freunde dem Fanshop nach dem Spiel noch einen Kontrollbesuch ab – nur um zu überprüfen, ob die Niederlage vielleicht damit zu tun hat, dass sie einen Gegenstand übersehen haben, der noch kleiner ist als ein Button.
Das Detail mit den Magneten und der Tür weist auf ein Problem hin, das viele Fans kennen: Besonders ausgearbeitete Rituale sind besonders mächtig – aber auf die Dauer auch besonders anstrengend. Ein anschauliches Beispiel dafür liefert der Inder Krishnendu Biswas aus Kalkutta. Seit dem Tag im Dezember 2004, als Steven Gerrard den FC Liverpool mit einem fantastischen Dropkick gegen Olympiakos Piräus ins Achtelfinale der Champions League schoss, liebt Krishnendu die Reds über alles – hat sie aber noch nie im Stadion spielen sehen. Dafür verpasst er keine einzige Partie am Fernseher. Und lange Zeit folgte er dabei einem diffizilen Protokoll. „Ich saß immer in einem bestimmten Sessel, und zwar genau in einem 45-Grad-Winkel zum Bildschirm“, beginnt er seine Aufzählung. „Meine Beine mussten immer auf das Tor gerichtet sein, auf das Liverpool spielt. In der rechten Hand hielt ich mein Handy. Links von mir, auf einem Tisch, lag die Fernbedienung.“
„Jürgen Klopp hat mir enorm dabei geholfen.“
In exakt dieser Haltung verfolgte Biswas fast 200 Spiele des FC Liverpool. Ob es Muskelkrämpfe waren, die ihn dazu zwangen, einige Elemente aufzugeben oder ob es vielleicht mit Gerrards berühmtem Ausrutscher zu tun hat, der 2014 die Meisterschaft kostete, lässt Krishnendu im Ungewissen. Er sagt nur: „Das mit den Beinen mache ich immer noch. Den Rest des Rituals habe ich abgeschwächt. Es war eine schwierige Entscheidung, aber Jürgen Klopp hat mir enorm dabei geholfen.“
In Argentinien sind solche Rituale oder Beschwörungen so allgegenwärtig, dass es ein eigenes Wort für sie gibt – „cábalas“, abgeleitet von der jüdischen Geheimlehre Kabbala. Es ist zum Beispiel ein offenes Geheimnis, dass vor zwei Jahren die entscheidenden Spiele des Racing Club alle vom selben Reporter kommentiert wurden, weil der Sohn der damaligen Staatspräsidentin glaubte, das bringe seinem Klub Glück. Er behielt recht, denn das Team holte erst zum zweiten Mal in den vergangenen 50 Jahren den Titel.
Manchmal ist es einfach nur wichtig, überhaupt ein Zeremoniell zu haben
Doch nicht immer geht es bei Ritualen darum, dass sie auch wirklich Erfolg zeitigen. Manchmal ist es einfach nur wichtig, überhaupt ein regelmäßiges Zeremoniell zu haben. So hängen Fans des spanischen Klubs FC Granada am Zaun hinter dem Tor Knoblauch auf, um böse Geister abzuwehren, während Anhänger von Osasuna Pamplona im Sommer der Jungfrau von Aralar Opfer darbrachten. Beide Klubs stecken derzeit im Tabellenkeller – doch die Fans glauben weiterhin an ihre „cábalas“.
So hält man es auch in Darmstadt. Seit einiger Zeit findet dort jedes Abschlusstraining der Lilien unter den vier wachsamen Augen von Karin Hohlen und ihrem Zwergpudel Leni statt. Die beiden sorgen dafür, dass sich keine Spione des kommenden Gegners aufs Gelände schleichen, um die Taktik der 98er auszukundschaften. Noch wichtiger aber ist inzwischen, dass einer der Spieler nach dem Ende des Trainings den Hund streichelt. Das Ganze geht auf Mittelfeldspieler Hanno Behrens zurück. Bei einem Testspiel gegen einen Amateurverein vor knapp drei Jahren bemerkte Behrens die damals vier Monate alte Leni hinter der Ersatzbank und nahm sie auf den Arm. „Ich glaube, da wurde seine Liebe zu Leni geboren“, sagt Frauchen Karin, die als Tagesmutter in Darmstadt arbeitet.
Das Ritual brachte ihm seine ersten zwei Bundesligatore ein
Diese Gefühle wurden erwidert, denn fortan weigerte sich der Pudel, das Gelände zu verlassen, solange er nicht von Behrens liebkost worden war. „Auch Florian Jungwirth, der ein großer Hundefreund ist, wollte sie auf den Arm nehmen“, sagt Karin, „aber Leni war auf Hanno fixiert.“ So und nicht anders begann Darmstadts Erfolgsgeschichte.
Im Sommer schien sie abrupt zu enden. Natürlich nicht etwa, weil Trainer Dirk Schuster den Klub verließ, sondern weil Behrens nach Nürnberg wechselte. Zum Glück fand sich williger Ersatz: Neuzugang Laszlo Kleinheisler akzeptierte Leni sogleich als Talisman (unter anderem, weil beide den gleichen Rotstich im Haar haben) und auch der von Hoffenheim ausgeliehene Antonio Colak streichelt den Zwergpudel gerne – schließlich brachte ihm dieses Ritual im Oktober seine ersten beiden Bundesligatore ein. „Für viele Spieler gehört Leni einfach zum Abschlusstraining dazu“, sagt Karin Hohlen. „Ob noch einmal so eine Liebe wie zu Hanno entsteht, das weiß ich nicht, aber sie zieht mich immer in Richtung Kleinheisler und Colak.“ Zwar steht Darmstadt im Moment nicht ganz so gut dar wie noch vor Jahresfrist, doch am Böllenfalltor ist die Hoffnung groß, dass dank Leni der Abstiegskampf auch diesmal ein gutes Ende nimmt.
Ist das nun alles törichter Aberglaube oder doch, wie Raimund Herbers von den „Emsland-Fohlen“ ausgeführt hat, echter Glaube? Die Antwort darauf ist ganz simpel. Wenn es hilft, ist es Glaube. Wenn nicht, bloß Aberglaube.
Um das zu illustrieren, reisen wir noch mal zurück nach Hamm zu Kai Wisznewski, dem Schalker, der seine Kastanie verlor. In diesem Sommer tauchte die Nussfrucht unerwartet wieder auf, in einer alten, fast vergessenen Geldkassette. Einen Moment betrachtete Kai das gute Stück und ließ seinen Finger über die Stelle gleiten, an der die Kastanie schon ausgebuchtet war, weil er so oft seinen Daumen an ihr gerieben hatte. Sollte er das gute Stück nach acht Jahren wieder in Gebrauch nehmen? Nein. Erstens würde die Kastanie ihn immer nur an das bittere 3:3 in Dortmund erinnern. Zweitens war Schalke nun in guten Händen. Mit Markus Weinzierl auf der Bank und Christian Heidel in der Chefetage sah die Zukunft auch ohne Talisman rosig aus. Wisznewski warf die Kastanie in die Lippe.
„Deswegen wusste ich, dass uns nichts passieren kann.“
Schalke verlor das erste Spiel der neuen Saison. Und das zweite. Dritte. Vierte. Fünfte. „Kurz vor dem Spiel gegen Gladbach habe ich meinen 14 Monate alten Sohn Theo zur Kita gebracht“, sagt Kai. „Der Weg führt durch den Park. Plötzlich beugte sich Theo runter, hob etwas auf und gab es mir. Es war eine Kastanie. Sie war genauso ausgebeult wie meine alte. Ich habe eine Gänsehaut bekommen.“ Schalke schlug Gladbach 4:0.
Drei Wochen später traten die Knappen im Pokal beim 1. FC Nürnberg an. Zur Pause stand es 3:0 für Schalke, doch nach dem Wechsel kamen die Gastgeber auf. Innerhalb von zehn Minuten verkürzten sie auf 2:3. Die Fans der Königsblauen begannen zu zittern. Nur einer von ihnen blieb ganz ruhig. „Ich hatte die neue Kastanie dabei,“ sagt Wisznewski. „Deswegen wusste ich, dass uns nichts passieren kann.“