Es ist gerade einmal zwei Jahren her, da unternahm der Deutsche Fußballbund einen bemerkenswerten Schritt, um das Verhältnis zu den Fanszenen der Republik zu verbessern. Keine Kollektivstrafen mehr, das versprach der Fußball-Bund, und beseitigte damit einen der zentralen Kritikpunkte der aktiven Fans, nämlich das ganze Kurven für das Fehlverhalten einzelner abgestraft werden.
Nun jedoch zeigt sich: Der DFB ist nicht ernsthaft an einem guten Verhältnis zu den Fankurven interessiert. Die Aussperrung der BVB-Anhänger, notdürftig verpackt als widerrufene Bewährung, ist Wasser auf die Mühlen jener, die Gespräche mit den Funktionären aus der Otto-Fleck-Schneise für sinnlos halten, weil der Fußball-Bund stets nur populistisch handele, der jeweils aktuellen Empörungslage entsprechend und im Zweifel immer gegen die Anhänger.
Das aktuelle Urteil hat eine lange Vorgeschichte. In der Fehde zwischen BVB-Fans und Hoffenheims Oberboss Dietmar Hopp werden inzwischen ja nicht nur Sportgerichte, sondern auch die klassische Justiz bemüht. Und der Konflikt hat den Fanszenen geschadet wie kaum ein anderer der letzten Jahre.
Denn bereits im Frühsommer 2019 ist in der Causa Hopp ein Urteil gesprochen worden, das die Kultur des Fußballs tiefgreifend verändern könnte, nicht auf dem Rasen, sondern auf den Rängen. Anhänger von Borussia Dortmund wurden zu Geldstrafen verurteilt, weil sie beim BVB-Auswärtsspiel in der Saison 2017/18 Dietmar Hopp als „Sohn einer Hure“ besungen hatten. Der Hoffenheimer Boss hatte einige Monate später Strafantrag gestellt, am Ende wurde insgesamt gegen fast 50 BVB-Fans ermittelt und drei Anhänger in einem merkwürdigen Verfahren voller juristischer Stockfehler verurteilt.
Um all die Merkwürdigkeiten des Prozesses aufzuzählen, reicht der Platz dieser Kolumne nicht aus. Sei es der bizarre Aufwand, der zuvor von den Ermittlern betrieben wurde; allein sechs Wochen saß ein Sachbearbeiter an der Analyse der Videoaufnahmen. Oder die Weigerung des Gerichts, Dietmar Hopp als Zeugen zu befragen, es befand sich nicht einmal eine ladungsfähige Adresse in den Akten, so dass die Verteidiger ihre Vorladung mit subkutaner Boshaftigkeit an Hopps Golfklub schickten. Ganz offenkundig war die Verhandlungsführung des Gerichts darauf ausgelegt, den großen Mäzen der Region nicht mit solchen Petitessen wie einem Gerichtsprozess zu molestieren, obwohl der ohne seine Initiative gar nicht erst zustande gekommen wäre.
Man kann diesen Prozess als Provinzposse abtun, als gut orchestrierten und von seinem Medienanwalt Christoph Schickardt vorangetriebenen Rachefeldzug eines Mannes, der zuvor immer lässig verkündet hatte, die Schmähungen in den Stadien prallten an ihm ab. Dann aber würde man die Signalwirkung eines solchen Urteils unterschätzen, das ein entscheidender Schritt hin zur Domestizierung der Fankurven ist, hin zum Fußball, den sich die Hopps und Schickhardts dieser Fußballwelt wünschen. Ein Fußball, bei dem die Zuschauer brav auf den Schalensitzen hocken, allenfalls bei Toren aufspringen und die Welle schon für entfesselte südländische Stimmung halten. Denn wenn Fanblöcke mit Richtmikrofonen abgehört und mit hochauflösenden Kameras überwacht werden, und wenn im Stadionkontext seit Jahrzehnten übliche Schmähungen plötzlich zu Straftatbeständen werden, dann muss endlich nicht nur das Gefasel von den Stadien als rechtsfreie Räume ein Ende finden, sondern auch Abschied genommen werden von der Vorstellung, die Fanblöcke in den Stadien seien noch ein Ort, an dem sich Emotionen Bahn brechen können, an dem traditionelle Fankultur gelebt werden kann.
Wer nun abwinkt und von den Anhängern in der Kurve fordert, sich einfach mehr zusammenzureißen und auf persönliche Beleidigungen zu verzichten, macht es sich zu einfach. Denn derlei Gerichtsverfahren sind nur ein kleiner Teil der vielfältigen Bemühungen des Fußballestablishments, endlich die renitenten Fanblöcke unter Kontrolle zu bekommen, deren Proteste seit jeher die Geschäfte mit dem Fußball vermiesen. Zu diesen Bemühungen gehören die durchschaubaren Versuche, Pyrotechnik zum Gewaltverbrechen hochzustufen ebenso wie die hanebüchene Legende von vermeintlichen Ultra-Strippenziehern in der Vereinspolitik. Am Ende soll in Fußballstadien eine Atmosphäre herrschen wie bei Musicalaufführungen, aseptische Unterhaltung für die ganze Familie.
Die Entscheidung, die BVB-Fans für die nächsten drei Jahre nicht ins Hoffenheimer Stadion zu lassen, ist ein weiterer Schritt dorthin. Herzlichen Glückwunsch, Dietmar Hopp!