Jonas Hector beendet still und leise seine Nationalmannschaftskarriere. Das ist traurig – und nur verständlich.
Lutz Trabalski muss man sich als glücklichen Menschen vorstellen. Schließlich sitzt der Mann meist in einem gepflegten Bürogebäude am Adenauerplatz in Berlin und jeden Augenblick könnte ein Millionär sein einfaches Zimmer mit den zwei Miro-Gemälden an den Wänden betreten. Lutz Trabalski ist Leiter des Kundendienstes von Lotto Berlin, Glücksbote, genauer: zuständig für die Großgewinnabwicklung, wie es beamtendeutsch heißt. Wer zu Trabalski kommt, mit einem Tippschein, auf dem die sechs Richtigen und Superzahl eingetragen sind, wird von ihm zum Millionär gemacht. Und Trabalski rät: Erzählen Sie niemanden davon.
Im Fall von Jonas Hector ist das unmöglich. Der Junge aus dem Saarland spielte bis vor zehn Jahren beim SV Auersmacher. Dann begann, sehr verspätet und doch völlig richtig, die große Karriere: 1. FC Köln II, 1. FC Köln, deutsche Nationalmannschaft, zwischendurch EM-Held. Leise geht so eine Entwicklung nicht vonstatten. Auch wenn Jonas Hector, möchte man meinen, alles dafür getan hat. Weshalb von seinem Ende bei der DFB-Elf bislang die Öffentlichkeit nichts wusste.
Gestern Abend war es den meisten Medien eine kleine Meldung wert, die aufploppte, einen Tag nach dem Ende der Länderspielphase, an der Jonas Hector nicht teilgenommen hatte: „Hector tritt zurück: Leiser Abschied aus der Nationalelf“. Im Verein sei die Entscheidung schon seit Juli bekannt, Kölns Kapitän habe Bundestrainer Joachim Löw im September davon unterrichtet. 43 Länderspiele hat er gemacht, in 42 stand er in der Startformation. Der Kicker schrieb: „Nun ist eine DFB-Karriere zu Ende, die es so kaum noch gibt: Hector hat nie ein Nachwuchsleistungszentrum durchlaufen.“
Das allein macht die Karriere von Jonas Hector bereits außergewöhnlich: Bis zu seinem 20. Lebensjahr kickte er beim SV Auersmacher. Er hatte eine normale Jugend, er war bei Vereinsfeiern nicht derjenige, der mit dem stillen Wasser in der Ecke saß, wie sein Trainer uns später verriet, er wollte vielleicht mal Sport auf Lehramt studieren. Er spielte auf der Zehn, bei den Herren, und manchmal half er noch in der A‑Jugend aus. Der 1. FC Saarbrücken kam mal auf ihn zu, Kaiserslautern auch, aber: „Ich hatte irgendwie kein Interesse daran, an meiner Situation irgendetwas zu ändern.“
Dann aber wollte er es doch noch wissen, in Auersmacher hielten sie Hector sowieso für unschlagbar, und ging zu Probetrainings. Bochum II, FC Bayern II, beim 1. FC Köln II war er auch. Wo plötzlich, laut seinem Vater, „15 Hectors waren”. Doch am Geißbockheim in Köln blieb er, auch wenn Hector eigentlich noch die Oberligasaison mit seinen Freunden in Auersmacher zu Ende hätte spielen wollen. Bei seinem Abschied im Frühjahr 2010 standen alle Zuschauer auf, als Hector in der 82. Minute ausgewechselt wurde, Mitspieler herzten ihn. Hector durfte zum ersten Mal als Kapitän der Auersmacher auf den Platz gehen. Nun spielte der Stadion-DJ zum Abschied „Somewhere over the Rainbow”.
Die Karriere von Jonas Hector ist das, wovon jeder Amateurspieler, der noch nicht ganz aufgegeben hat, heimlich träumt: Doch noch ein Probetraining angeboten bekommen, mal bei den Bayern schnuppern, von der Zehn auf die Linksverteidigerposition wechseln, klar, da würde man sich arrangieren. Dann: Bundesliga, Welt- und Europameisterschaften, im Viertelfinale gegen Italien den entscheidenden Elfmeter reinknallen. Das, was Jonas Hector in den letzten zehn Jahren erlebt hat, ist der Lottogewinn für jeden, der mal ambitioniert auf einem Dorfsportplatz stand. Sechs Richtige. Plus Superzahl.