Im Leben eines Profis sind Schmerzen ein treuer Begleiter – und der Griff zu Schmerzmitteln für viele Spieler längst Gewohnheit. Sechs von ihnen haben uns erzählt, was passiert, wenn der Körper eigentlich nicht mehr kann.
Der ehemalige Profi des SV Werder, Ivan Klasnić, verklagt gegenwärtig seine Bremer Teamärzte, weil sie ihn trotz einer Nierenerkrankung systematisch mit Schmerzmitteln versorgt haben sollen. Klasnić lebt heute mit einer Spenderniere. Ob und wie es möglich war, dass einem Profi, der dreimal jährlich ein großes Blutbild beim Vereinsarzt abgeben muss, trotz der Nierenerkrankung weiter Schmerzmittel verabreicht wurden, klären derzeit die Richter. Experten wie Dr. Ingo Tusk, Vizepräsident im Bundesverband der deutschen Sportärztevereinigung und Mannschaftsarzt von Kickers Offenbach, gehen davon aus, dass es in jeder Profimannschaft eine Dunkelziffer von Spielern gibt, die süchtig nach Schmerzmitteln sind. „Nicht, weil sie eine körperliche Abhängigkeit empfinden, sondern weil sie glauben, dass sie den Wirkstoff Diclofenac brauchen, um beschwerdefrei zu sein“, erklärt Tusk. Und je älter der Spieler wird, desto mehr Schmerzmittel nimmt er. Mit 30 setzt die Arthrose beim Menschen ein und bei den Spielern, die kaputte Gelenke haben, umso mehr. Im eng gesteckten Terminplan eines Profis hilft dann oft nur noch die Pille. Dass ein Schmerz immer auch ein Alarmsignal eines kranken Körpers ist, wird dabei bewusst ausgeklammert.
Fußballer sind wie Rennboliden, die beim Stottern des Motors in der Werkstatt ein Tuning bekommen, um wieder Top-Leistungen zu liefern. Solange, bis es nicht mehr geht. Beim Werkzeug hat man die Auswahl. Dieter Trzolek, langjähriger Medizinmann bei Bayer 04 Leverkusen und heute in Diensten des 1. FC Köln, behandelt seine Spieler bevorzugt mit homöopathischen Mitteln. Statt Tabletten lässt er ihnen bei Schwellungen gern eine Blutegeltherapie angedeihen. Sein Leitsatz: „Pillen haben Nebenwirkungen, Blutegel nicht.“ Doch auch er kennt die Sehnsucht der Profis nach der heilenden Wirkung der Tabletten. Trzolek: „Es gibt Spieler, die glauben, wenn sie vor dem Spiel eine Aspirin nehmen, spielen sie besser. Wenn sie das glauben, sollen sie es von mir aus nehmen. Es sind ja keine Medikamente, die bei normalem Konsum nachhaltige Nebenwirkungen hervorrufen oder abhängig machen.“ Die Schuld für den sorglosen Umgang mit Schmerzmitteln ist also nicht allein beim Mannschaftsarzt zu suchen. Meist liegt bei übermäßiger Einnahme eine Selbstmedikation des Spielers vor, der im darwinistischen System des Profifußballs um seinen Platz am oberen Ende der Nahrungskette kämpft. Denn nur ein Bruchteil der Aktiven verfügt über komfortable Verträge mit so hohen Grundeinkommen, die es ihnen zumindest wirtschaftlich erlauben, das Gehalt auf der Bank abzusitzen. Ein durchschnittlicher Zweitligaprofi bessert sein Salär durch Einsatz- und Punkteprämien pro Saison um bis zu zwei Drittel auf. Wer verdienen will, muss also leiden. Thomas Cichon, aktuell der Mann fürs Grobe in der Abwehr des VfL Osnabrück, rieb sich in der Hinrunde der Saison 2008/09 für die abstiegsbedrohten Niedersachsen auf, indem er vier Wochen lang mit einem gebrochenen Wadenbein spielte. Cichon: „Ich hatte Glück, es war ein glatter Bruch. Wenn man die Diagnose hat, versucht man es mit den Tabletten zu schieben, also rauszuzögern, bis es nicht mehr geht. Aber irgendwann helfen die Tabletten auch nicht mehr.“
Der Raubbau, den der 32-Jährige seit Jahren auf diese Weise an seinem Körper treibt, hat Spuren hinterlassen. Mit dem Treppensteigen, vor allem abwärts, hat er große Probleme. „Manchmal komme ich mir vor wie ein Rentner: Fuß auf die Stufe, einen Schritt gehen, nächster Fuß drauf, die nächste Stufe.“ Um beschwerdefrei beim Training aufzulaufen, muss er sich an manchen Tagen schon Stunden vor Beginn der Einheit auf dem Fahrrad warm machen. Die Nebenwirkungen von Diclofenac sind Cichon durchaus geläufig, bei ihm ruft es Durchfall und Magengrimmen hervor, weshalb er versucht, es mit magenschonenden Präparaten einzunehmen oder ganz darauf zu verzichten. Dennoch machen die Mittelchen sein Profileben einfacher. „Momentan nehme ich Voltaren nur vor Spielen. Ich nehme eine, vielleicht zwei am Tag – zwei Tage, einen Tag vor dem Spiel und am Spieltag selbst. Denn in der Zweiten Liga kann man es sich heutzutage nicht leisten, für irgendein Zipperlein drei, vier Wochen auszufallen.“
„Statt einer Pille stibitzte ich dem Arzt ein Dutzend“
Aus medizinischer Sicht ist das Unfug. Dr. Ingo Tusk sagt: „Das machen Spieler in Eigenregie. Sowas hängt dann auch mit dem Standing des Arztes in der Mannschaft zusammen. Erfahrene Spieler machen solche Sachen, weil sie sie womöglich von früher her kennen und es ihnen damit gut ging.“ Schon mit 17 Jahren ereilte Thomas Cichon ein dreifacher Bänderriss im Sprunggelenk. Durch seine lange Leidensgeschichte kennt er seinen Körper genau, er ist in der Lage, viele Diagnosen selbst zu stellen. Im lädierten Sprunggelenk bohrt sich in seinem Knöchel wegen des kontinuierlichen Knorpelabbaus mittlerweile Knochen in Knochen. Cichon ist sich bewusst, dass seine Karriere ein Wettlauf mit der Zeit ist und hofft, dass er noch zwei bis drei Jahre über die Runden kommt. Doch er weiß auch, dass jedes Spiel sein letztes sein könnte. Sollten die Schmerzen so groß werden, dass sogar das Aufstehen zur Qual und die Einnahme von Diclofenac zum Dauerzustand werden, will er freiwillig die Fußballschuhe an den Nagel hängen. „Denn was nützt einem das Geld, wenn man im Rollstuhl sitzt?“