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Seite 2: „Irgendwann helfen die Tabletten auch nicht mehr“

Der ehe­ma­lige Profi des SV Werder, Ivan Klasnić, ver­klagt gegen­wärtig seine Bremer Team­ärzte, weil sie ihn trotz einer Nie­ren­er­kran­kung sys­te­ma­tisch mit Schmerz­mit­teln ver­sorgt haben sollen. Klasnić lebt heute mit einer Spen­der­niere. Ob und wie es mög­lich war, dass einem Profi, der dreimal jähr­lich ein großes Blut­bild beim Ver­eins­arzt abgeben muss, trotz der Nie­ren­er­kran­kung weiter Schmerz­mittel ver­ab­reicht wurden, klären der­zeit die Richter. Experten wie Dr. Ingo Tusk, Vize­prä­si­dent im Bun­des­ver­band der deut­schen Sport­ärz­te­ver­ei­ni­gung und Mann­schafts­arzt von Kickers Offen­bach, gehen davon aus, dass es in jeder Pro­fi­mann­schaft eine Dun­kel­ziffer von Spie­lern gibt, die süchtig nach Schmerz­mit­teln sind. Nicht, weil sie eine kör­per­liche Abhän­gig­keit emp­finden, son­dern weil sie glauben, dass sie den Wirk­stoff Diclo­fenac brau­chen, um beschwer­de­frei zu sein“, erklärt Tusk. Und je älter der Spieler wird, desto mehr Schmerz­mittel nimmt er. Mit 30 setzt die Arthrose beim Men­schen ein und bei den Spie­lern, die kaputte Gelenke haben, umso mehr. Im eng gesteckten Ter­min­plan eines Profis hilft dann oft nur noch die Pille. Dass ein Schmerz immer auch ein Alarm­si­gnal eines kranken Kör­pers ist, wird dabei bewusst aus­ge­klam­mert.

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Toni Schu­ma­cher

Mareike Foe­cking

Fuß­baller sind wie Renn­bo­liden, die beim Stot­tern des Motors in der Werk­statt ein Tuning bekommen, um wieder Top-Leis­tungen zu lie­fern. Solange, bis es nicht mehr geht. Beim Werk­zeug hat man die Aus­wahl. Dieter Trzolek, lang­jäh­riger Medi­zin­mann bei Bayer 04 Lever­kusen und heute in Diensten des 1. FC Köln, behan­delt seine Spieler bevor­zugt mit homöo­pa­thi­schen Mit­teln. Statt Tabletten lässt er ihnen bei Schwel­lungen gern eine Blut­egel­the­rapie ange­deihen. Sein Leit­satz: Pillen haben Neben­wir­kungen, Blut­egel nicht.“ Doch auch er kennt die Sehn­sucht der Profis nach der hei­lenden Wir­kung der Tabletten. Trzolek: Es gibt Spieler, die glauben, wenn sie vor dem Spiel eine Aspirin nehmen, spielen sie besser. Wenn sie das glauben, sollen sie es von mir aus nehmen. Es sind ja keine Medi­ka­mente, die bei nor­malem Konsum nach­hal­tige Neben­wir­kungen her­vor­rufen oder abhängig machen.“ Die Schuld für den sorg­losen Umgang mit Schmerz­mit­teln ist also nicht allein beim Mann­schafts­arzt zu suchen. Meist liegt bei über­mä­ßiger Ein­nahme eine Selbst­me­di­ka­tion des Spie­lers vor, der im dar­wi­nis­ti­schen System des Pro­fi­fuß­balls um seinen Platz am oberen Ende der Nah­rungs­kette kämpft. Denn nur ein Bruch­teil der Aktiven ver­fügt über kom­for­table Ver­träge mit so hohen Grund­ein­kommen, die es ihnen zumin­dest wirt­schaft­lich erlauben, das Gehalt auf der Bank abzu­sitzen. Ein durch­schnitt­li­cher Zweit­li­ga­profi bes­sert sein Salär durch Ein­satz- und Punk­te­prä­mien pro Saison um bis zu zwei Drittel auf. Wer ver­dienen will, muss also leiden. Thomas Cichon, aktuell der Mann fürs Grobe in der Abwehr des VfL Osna­brück, rieb sich in der Hin­runde der Saison 2008/09 für die abstiegs­be­drohten Nie­der­sachsen auf, indem er vier Wochen lang mit einem gebro­chenen Waden­bein spielte. Cichon: Ich hatte Glück, es war ein glatter Bruch. Wenn man die Dia­gnose hat, ver­sucht man es mit den Tabletten zu schieben, also raus­zu­zö­gern, bis es nicht mehr geht. Aber irgend­wann helfen die Tabletten auch nicht mehr.“

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Pranken wie Steinbrüche: Jeden Finger hat sich Toni Schu­ma­cher min­des­tens einmal gebro­chen. Das EM-Finale 1980 spielte er mit Mit­tel­hand­bruch.

Mareike Foe­cking

Der Raubbau, den der 32-Jäh­rige seit Jahren auf diese Weise an seinem Körper treibt, hat Spuren hin­ter­lassen. Mit dem Trep­pen­steigen, vor allem abwärts, hat er große Pro­bleme. Manchmal komme ich mir vor wie ein Rentner: Fuß auf die Stufe, einen Schritt gehen, nächster Fuß drauf, die nächste Stufe.“ Um beschwer­de­frei beim Trai­ning auf­zu­laufen, muss er sich an man­chen Tagen schon Stunden vor Beginn der Ein­heit auf dem Fahrrad warm machen. Die Neben­wir­kungen von Diclo­fenac sind Cichon durchaus geläufig, bei ihm ruft es Durch­fall und Magen­grimmen hervor, wes­halb er ver­sucht, es mit magen­scho­nenden Prä­pa­raten ein­zu­nehmen oder ganz darauf zu ver­zichten. Den­noch machen die Mit­tel­chen sein Pro­fi­leben ein­fa­cher. Momentan nehme ich Vol­taren nur vor Spielen. Ich nehme eine, viel­leicht zwei am Tag – zwei Tage, einen Tag vor dem Spiel und am Spieltag selbst. Denn in der Zweiten Liga kann man es sich heut­zu­tage nicht leisten, für irgendein Zip­per­lein drei, vier Wochen aus­zu­fallen.“

Statt einer Pille sti­bitzte ich dem Arzt ein Dut­zend“

Otto Addo

Aus medi­zi­ni­scher Sicht ist das Unfug. Dr. Ingo Tusk sagt: Das machen Spieler in Eigen­regie. Sowas hängt dann auch mit dem Stan­ding des Arztes in der Mann­schaft zusammen. Erfah­rene Spieler machen solche Sachen, weil sie sie womög­lich von früher her kennen und es ihnen damit gut ging.“ Schon mit 17 Jahren ereilte Thomas Cichon ein drei­fa­cher Bän­der­riss im Sprung­ge­lenk. Durch seine lange Lei­dens­ge­schichte kennt er seinen Körper genau, er ist in der Lage, viele Dia­gnosen selbst zu stellen. Im lädierten Sprung­ge­lenk bohrt sich in seinem Knö­chel wegen des kon­ti­nu­ier­li­chen Knor­pel­ab­baus mitt­ler­weile Kno­chen in Kno­chen. Cichon ist sich bewusst, dass seine Kar­riere ein Wett­lauf mit der Zeit ist und hofft, dass er noch zwei bis drei Jahre über die Runden kommt. Doch er weiß auch, dass jedes Spiel sein letztes sein könnte. Sollten die Schmerzen so groß werden, dass sogar das Auf­stehen zur Qual und die Ein­nahme von Diclo­fenac zum Dau­er­zu­stand werden, will er frei­willig die Fuß­ball­schuhe an den Nagel hängen. Denn was nützt einem das Geld, wenn man im Roll­stuhl sitzt?“