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Schmerz­mittel im Fuß­ball

Der Artikel erschien erst­mals 2010, in 11FREUNDE #91. Damals spra­chen wir mit den (zu dieser Zeit) aktiven und ehe­ma­ligen Spie­lern Toni Schu­ma­cher, Otto Addo, Carsten Ramelow, Alex­ander Klitz­pera, Chris­toph Dabrowski und Thomas Cichon, die von ihrem Umgang mit Schmerzen und Schmerz­mit­teln erzählten. Heute zeigt die ARD den Doku­men­tar­film Geheim­sache Doping: Hau rein die Pille“. Der Film ist das Ergebnis einer ein­jäh­rigen Repor­tage. Mehr zum Thema findet ihr hier.

Wo bleibt da die Romantik? Wenn Alex­ander Klitz­pera mor­gens seine Frau weckt, gelingt ihm das selten mit einem Früh­stück am Bett. Denn kaum hat der Zweit­li­ga­profi des FSV Frank­furt damit begonnen, sich in die Senk­rechte zu begeben, ertönt dieses selt­same Kna­cken. Es sind nicht die Holz­würmer, die durchs Gebälk maro­dieren, es ist das Kna­cken seiner mor­schen Gelenke. Knacks, knacks. Zuerst in den Zehen, dann beim Auf­setzen der Füße in den Knö­cheln, wäh­rend des Auf­ste­hens in den Knien und schließ­lich in den Hüften. So laut, dass Heike Klitz­pera davon auf­wacht. Ihr Schicksal teilen viele Spie­ler­frauen. Es fehlt die Gelenk­schmiere, weil mein Körper mehr Flüs­sig­keit ver­braucht als nor­male Orga­nismen“, sagt der gebür­tige Münchner, der in seinen gut zehn Pro­fi­jahren als Ver­tei­diger von schlim­meren Ver­let­zungen bis­lang ver­schont blieb. 

In seiner Kran­ken­akte findet man die All­täg­lich­keiten einer Spie­ler­kar­riere: drei Nasen­bein­brüche, gebro­chene Zehen, ein Leis­ten­bruch, Mus­kel­ver­let­zungen. Klitz­peras Lebens­motto stammt von Mark Twain: Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden.“ Und spricht man mit dem 31-Jäh­rigen, lässt er keinen Zweifel daran, dass er diesen Leit­satz ver­in­ner­licht hat. Klitz­pera ist ein mün­diger Profi, er enga­giert sich für die Spie­ler­ge­werk­schaft VdV und die Deut­sche Kno­chen­mark­spen­der­datei. In Sachen Gesund­heit über­lässt er nichts dem Zufall, denn er weiß, dass sein Körper sein Kapital ist. Neben der Betreuung durch den Team­arzt sucht er auf eigene Rech­nung regel­mäßig seinen lang­jäh­rigen Ortho­päden auf, einen Osteo­pa­then und einen Bio-Energe­tiker. Vor einiger Zeit hat ein Arzt ihn gelobt, er habe für einen Fuß­baller aus­ge­spro­chen gesunde Knie: Sie haben die Knie eines 40-jäh­rigen.“

Das EM-Finale spielte ich mit einer Dröh­nung“

Toni Schumacher

Schmerzen gehören zu Klitz­peras Alltag wie Zäh­ne­putzen und Zei­tung­lesen. Im Herbst 2008 plagte ihn eine emp­find­liche Seh­nen­ent­zün­dung unterm Fuß. Nachts konnte er kaum noch schlafen, das Anziehen der Schuhe wurde zur Qual. Sehnen brau­chen lange, bis sie sich ent­zünden. Sie ver­zeihen viel, heißt es. Aber wenn sie sich ent­zünden, lassen sie sich bei der Gene­sung eben­falls Zeit. Was tun? Es waren noch sechs Spiele bis zur Win­ter­pause, der FSV Frank­furt schwebte in akuter Abstiegs­ge­fahr, und Klitz­pera war im August 2008 als Hoff­nungs­träger an den Main gewech­selt. Der Druck war zu groß, um die Ver­let­zung aus­zu­heilen. Er biss auf die Zähne und spielte. Abhilfe ver­schaffte ihm aus­nahms­weise ein Schmerz­mittel. 

Vor Spiel­tagen setzte Klitz­pera gezielt eine Tablet­tenkur an, die ihn zum Anpfiff beschwer­de­frei machte: Man muss einen Spiegel auf­bauen, um solche Schmerzen in den Griff zu bekommen. Man nimmt Schmerz­mittel einen Tag vor dem Spiel ein: mor­gens, mit­tags und abends jeweils eine Tablette. Am Spieltag mor­gens dann noch mal eine und unmit­telbar vor dem Spiel.“ Eine Zeit­lang ging es gut. Doch kurz vor Weih­nachten wurden die Schmerzen so schlimm, dass selbst die Pillen keine Wir­kung mehr ent­fal­teten. Der Preis für Klitz­peras Ein­satz: Wäh­rend die anderen Profis in den Weih­nachts­ur­laub reisten, musste er in die Reha. An den Fei­er­tagen stemmte er im Kraft­raum Gewichte und arbei­tete mit dem The­ra­peuten. Doch die Sehne sträubte sich. Beim ersten Trai­ning im neuen Jahr fühlte er sich noch immer, als jogge er auf einem Messer-Tep­pich. Erst ein Bio-Energe­tiker konnte den Schaden beheben und ihm zu alter Stärke ver­helfen.

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Carsten Ramelow

Mareike Foe­cking

Die Geschichte von Alex­ander Klitz­pera ist Alltag im Pro­fi­fuß­ball. Der Ver­schleiß und die Ver­let­zungs­ge­fahr sind enorm in einer Sportart, die das medi­zi­ni­sche Stan­dard­werk, das Buch Sport­ver­let­zungen“ von Martin Engel­hardt, in der Rubrik Kampf­sport­arten“ Seite an Seite mit Boxen und Karate führt. Schmerzen sind ein stän­diger Begleiter. Die FIFA ermit­telte, dass bei den Welt­meis­ter­schaften 2002 und 2006 mehr als die Hälfte aller Spieler wäh­rend eines Tur­niers Schmerz­mittel ein­nahmen, mehr als zehn Pro­zent aller Profis sogar vor jedem Spiel. Auch bei der WM der Junioren oder der Frauen sind die Zahlen nicht bedeu­tend geringer. Toni Graf-Bau­mann, Mit­glied der medi­zi­ni­schen FIFA-Kom­mis­sion, sagt: Es ist erschre­ckend, wie unkri­tisch im Fuß­ball mit Schmerz­mit­teln umge­gangen wird. Vol­taren, Ibu­profen oder auch Aspirin werden mit einer Selbst­ver­ständ­lich­keit geschluckt, als würde man einen Kaffee trinken – früh, mit­tags und abends.“ Ein Pro­blem sind dabei vor allem die Neben­wir­kungen. Der in Vol­taren ent­hal­tene Wirk­stoff Diclo­fenac wirkt bei Ent­zün­dungen und Schwel­lungen zwar sehr schnell, kann aber auch zu Magen­blu­tungen und Nie­ren­in­suf­fi­zienz führen. Von den Fehl­stel­lungen und Über­be­las­tungen der Glied­maßen, die ein unter­drückter Schmerz im Wett­kampf ver­ur­sa­chen kann, ganz zu schweigen. Eine unkon­trol­lierte Ein­nahme von Schmerz­mit­teln kann Aus­wir­kungen auf das gesamte Hor­mon­profil haben.

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Chris­toph Daum sagte zu Carsten Ramelow: Den Kran­ken­schein hat ein Profi ständig in der Tasche.“ Drei OPs im linken Knie brachten keine Stabilität mehr und been­deten seine Kar­riere.

Mareike Foe­cking