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Morgen werden in Moskau die WM-Gruppen aus­ge­lost, und das bedeutet, dass in den letzten Tagen wieder mächtig Betrieb in dem Ber­liner Bau­markt gewesen sein dürfte, in dem Detlef Lange den Waren­ein­gang kon­trol­liert. Denn nahezu immer, wenn der Spiel­plan einer WM fest­ge­legt wird, machen sich Reporter auf die Socken, um den Mann zu besu­chen, der das berühm­teste Los der deut­schen Fuß­ball­ge­schichte zog.

Das war am 5. Januar 1974, um kurz nach 21 Uhr. Der damals elf­jäh­rige Lange, ein Schö­ne­berger Sän­ger­knabe, den man aus­ge­sucht hatte, weil er klein und blond war, hatte bereits vier Lose aus dem Glas­be­hälter gefischt, als er erneut zugriff und dem FIFA-Gene­ral­se­kretär Helmut Käser den fünften Zettel über­reichte. Käser fal­tete ihn aus­ein­ander und FIFA-Prä­si­dent Stanley Rous las vor, was da stand: DDR.“

Ewald wollte die DDR abmelden

Der kolum­bia­ni­sche Ver­treter Alfonso Senior Que­vedo schal­tete am schnellsten. Zuerst haute er Helmut Riedel, dem Prä­si­denten des DFV, so kräftig auf die Schulter, dass der DDR-Funk­tionär fast vom Stuhl kippte, dann klatschte er fröh­lich in die Hände. Erst da begriffen alle, dass Lange die DDR in die Gruppe 1 gelost hatte, die Gruppe der BRD.

Der Rest ist bekannt: Nicht jeder war so begeis­tert wie Alfonso Senior. In Ost-Berlin drehte der mäch­tige DTSB-Boss Man­fred Ewald fast durch und for­derte von Günter Schneider, dem Gene­ral­se­kretär des DFV, dass die DDR-Mann­schaft vom Tur­nier abge­meldet werde.

Weit weniger bekannt ist, dass es gar nicht allein die Angst vor einer Nie­der­lage gegen den Klas­sen­feind von der anderen Seite der Mauer war, die Ewald den Schweiß auf die Stirn trieb. Das größte Pro­blem stellte für ihn nicht so sehr das fünfte Los dar, das Lange gezogen hatte, son­dern das erste.

Heute ist das schwer vor­stellbar, doch 1974 war noch am Tag der Aus­lo­sung nicht klar, welche Mann­schaften über­haupt zur WM fahren würden. Schuld daran war zum einen das Tor, das ein Stürmer von Roter Stern Bel­grad namens Sta­nislav Karasi zwei Wochen zuvor in Grie­chen­land erzielt hatte – und zwar in der 90. Minute. Es führte dazu, dass Jugo­sla­wien die Qua­li­fi­ka­tion mit der glei­chen Anzahl von Punkten und der glei­chen Tor­dif­fe­renz been­dete wie Spa­nien. Es musste ein Ent­schei­dungs­spiel zwi­schen diesen Mann­schaften her, das erst Mitte Februar 1974 aus­ge­tragen wurde.

Das war ärger­lich, doch nicht mehr. Richtig heikel war hin­gegen der Fall Chile. Die Süd­ame­ri­kaner sollten in Play­offs gegen die UdSSR antreten. Das Hin­spiel in Moskau endete 0:0, doch zum Rück­spiel kam es nie. Kurz vor der ersten Partie hatte in Chile das Militär geputscht. Augusto Pino­chet stürzte die gewählte Regie­rung von Sal­vador Allende und ging mit größter Bru­ta­lität vor. Echte oder auch nur ver­meint­liche poli­ti­sche Gegner wurden gefol­tert und getötet. Die UdSSR bezeich­nete das Natio­nal­sta­dion in Sant­iago nicht zu Unrecht als Kon­zen­tra­ti­ons­lager“ und wei­gerte sich, dort anzu­treten. 

Es kam, wie es kommen musste 

Der Fall beschäf­tigte die FIFA wochen­lang, ohne dass eine Ent­schei­dung fiel, auch weil man damit rechnen musste, dass bei einer Dis­qua­li­fi­ka­tion der UdSSR alle Ost­block­länder dem Tur­nier fern­bleiben würden. Erst unmit­telbar vor der Aus­lo­sung gab die FIFA bekannt, dass Chile zur WM fahren dürfte. Prompt zog Lange dieses Land zuerst – und zwar in die Gruppe, in der die BRD schon gesetzt war und in der wenige Minuten später auch die DDR lan­dete. 

Ewald musste nun also Moskau nicht nur erklären, warum sein Land nicht aus Soli­da­rität mit der UdSSR zurückzog, er musste zudem aus­führen, warum die DDR gegen die Mann­schaft des Pino­chet-Regimes antreten würde. Ach ja, und das dann auch noch in West-Berlin, das von der DDR nicht als Teil der BRD betrachtet wurde. Kein Wunder, dass Ewald den DFV bat, das Team abzu­melden, was Günter Schneider ihm erst nach einigen Dis­kus­sionen aus­reden konnte.

Miss­trauen in Buenos Aires

Auch wenn Lange Zorn auf sich zog, nie­mand ver­däch­tigte ihn der Mani­pu­la­tion. Vier Jahre später sah das etwas anders aus. Am 14. Januar 1978 spielte vor welt­weit 700 Mil­lionen Fern­seh­zu­schauern wieder ein Kind Glücksfee, diesmal sogar ein Klein­kind. Ricard­inho war gerade mal drei Jahre alt, als er die Lose zog, mit denen diesmal fast alle zufrieden waren. Bis auf die Argen­ti­nier. Der WM-Gast­geber erwischte näm­lich eine extrem schwie­rige Gruppe mit Ita­lien, Frank­reich und Ungarn, das nur eines seiner letzten zwölf Spiele ver­loren hatte. Der Kicker“ schrieb: Jedes Mal, wenn einer der Gegner genannt wurde, ging mehr ein Stöhnen als ein Raunen durch den Saal.“

Und dieses Stöhnen hatte einen Anklang von Miss­trauen. Denn Ricard­inho hieß mit vollem Namen Ricardo Teixeira Have­lange. Er war der Enkel des bra­si­lia­ni­schen FIFA-Prä­si­denten João Have­lange. Man darf davon aus­gehen, dass er heute nicht in einem Bau­markt arbeitet.