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Wenn ich dieses Finale noch einmal spielen müsste, würde ich absicht­lich ein Eigentor erzielen. Am Abend des Titel­ge­winns waren wir noch in einer Bar, tranken ein paar Bier und beob­ach­teten die Leute. Alle weinten, weil sie den größten Kar­neval aller Zeiten vor­be­reitet hatten und wir hatten ihn ihnen ver­miest. Ich fühlte mich sehr schlecht ange­sichts dieser Trau­rig­keit.“ (Obdulio Varela, Kapitän der uru­gu­ay­ischen Mann­schaft von 1950)

Unver­gess­liche Spiele hat es viele gegeben in der langen Geschichte der Fuß­ball-Welt­meis­ter­schaften. Doch die größte Über­ra­schung lie­ferte ein Tor, das noch heute ein Mythos ist: der Mara­ca­nazo. Ein Begriff, den jeder kennt und der in einem Winkel Süd­ame­rikas auch 53 Jahre später Freude aus­löst.

Es war am 16. Juli 1950, dem Finaltag der ersten WM nach dem Zweiten Welt­krieg. Dieses Spiel änderte das Leben vieler Men­schen. Zum Bei­spiel das des bra­si­lia­ni­schen Tor­hü­ters Moacyr Bar­bosa, der einst traurig gestand: In Bra­si­lien sieht das Gesetz 30 Jahre Haft für einen Mord vor. Es ist weit mehr als diese Zeit seit dem Finale von 1950 ver­gangen und ich fühle mich noch immer ein­ge­ker­kert, die Men­schen sehen in mir immer noch den Schul­digen für unsere Nie­der­lage.“

Die Sache mit dem M“ und dem W“

Bis­weilen standen die Leute auf und gingen, wenn Bar­bosa eine Bar betrat. Alcides Ghiggia dagegen zählt zu den unver­gleich­li­chen Stars der WM-His­torie. Dem uru­gua­ya­ni­schen Stürmer gelang eines der wohl wich­tigsten Tore aller Fuß­ball-Welt­meis­teschaften (manche behaupten unter gütiger Mit­hilfe von Bar­bosa), und noch heute ver­langt er ein Honorar für Inter­views, in denen er vom Mara­ca­nazo erzählen soll. In jenen Zeiten gab es noch nicht die heute übli­chen tak­ti­schen Sys­teme wie 4−3−1−2 oder 3−3−2−2. Man spielte ein­fa­cher, zwang­loser, ein System, bei dem sich die Spieler auf dem Platz in der Form eines über einem M“ ste­henden W“ grup­pierten: drei Mann fest in der Abwehr, davor zwei, die für die Spiel­eröff­nung zuständig waren, zwei Halb­stürmer, zwei Außen­stürmer und in der Mitte eine klas­siche Nummer Neun.

David bezwang Goliath. Bra­si­lien hatte alles für das große Fest vor 200000 Zuschauern im eigens für die WM errich­teten Mara­canã-Sta­dion vor­be­reitet. Es war der haus­hohe Favorit bei Spie­lern, Fans und und Jour­na­listen glei­cher­maßen, weil es die Grup­pen­spiele sou­verän gewonnen hatte, dazu kam noch der Heim­vor­teil. So sehr erwar­teten alle einen Sieg der Bra­si­lianer, dass sich beim Ein­lauf der Mann­schaften die meisten Foto­grafen auf die Heim­mann­schaft kon­zen­trierten, und die Spieler Uru­guays fast allein blieben, obwohl Eusebio Tejera ihnen zurief: Kommt hierher zu uns, denn der kom­mende Welt­meister steht hier!“ Selbst FIFA-Prä­si­dent Jules Rimet hatte seine Glück­wunsch-Rede schon vor­be­reitet. Gerichtet an die Bra­si­lianer und auf por­tu­gie­sisch.

Bar­bosa komm zu spät

Alle schienen sie Recht zu behalten als kurz nach der Halb­zeit Friaça das 1:0 für die Gast­geber erzielte. Das Fest im Mara­canã konnte beginnen, zumal Bra­si­lien in diesem letzten Spiel der Final­runde bereits ein Unent­schieden zum Titel­ge­winn rei­chen würde. Doch dann der viel­leicht ent­schei­dende tak­ti­sche Schachzug von Uru­guays Kapitän Obdulio Varela: Nach dem 0:1 klemmte er sich den Ball unter den Arm und zet­telte eine minu­ten­lange Dis­kus­sion mit dem eng­li­schen Schieds­richter George Reader an, um den Spiel­fluss der Bra­si­lianer zu unter­bre­chen. Ich wollte eine Abseits­stel­lung rekla­mieren und ging ganz langsam zum Mit­tel­kreis; ich ver­langte einen Dol­met­scher, wir dis­ku­tierten und die Zeit ver­rann. Die bra­si­lia­ni­schen Zuschauer waren zutiefst empört, weil sie ihre Mann­schaft spielen sehen wollten und ich es vehin­derte. Als das Spiel end­lich wei­ter­ging, waren sie außer sich vor Wut, und damit kam unsere Chance zu gewinnen“, gab Varela später zu Pro­to­koll.

20 Minuten später traf Schiaf­fino mit einem satten Rechts­schuss zum Aus­gleich. 10 Minuten vor Schluss dann das Uner­war­tete, das Unglaub­liche. Angriff über die rechte Seite. Ghiggia über­läuft Bra­si­liens Ver­teiger Bigode und schießt statt nach innen auf den bereit­ste­henden Schiaf­fino zu passen, hart aufs kurze Eck. Der über­raschte Tor­hüter Bar­bosa kommt zu spät. 2:1!

Wir waren Welt­meister“

Die Bra­si­lianer waren nach dem Aus­gleich wie geschockt, wäh­rend wir weiter Druck machten. Nach einem Dop­pel­pass mit Julio Pérez stürmte ich in spitzem Winkel direkt aufs Tor zu. Als sich ein Ver­tei­diger aus dem Abwehr­zen­trum löste und auf mich zulief, ori­en­tierte sich Bar­bosa in die Mitte, um das Zuspiel nach innen zu ver­hin­dern, aber ich hielt ein­fach drauf und der Ball war drin. Bar­bosa hatte offen­sicht­lich nicht damit gerechnet. Ich drehte jubelnd ab und meine Kame­raden erdrückten mich fast. Es war eine bizarre Situa­tion: das ein­zige, was man in diesem Augen­blick in dem rie­sigen Sta­di­on­rund hören konnte, waren unsere Jubel­schreie. Wir waren Welt­meister!“

Andere Zeiten, anderer Fuß­ball, andere Sitten: Trotz des Schock­zu­standes, der Trauer, des Mara­ca­nazo gewährte das faire bra­si­lia­ni­sche Publikum dem Sieger ste­henden Applaus. Ein wür­diger Cham­pion, der, im Bewusst­sein dar­über, was für ein Leid er dem bra­si­li­an­schen Volk zuge­fügt hatten, sich den ganz großen Jubel für die Abge­schie­den­heit der Umklei­de­ka­bine auf­sparte. Um sich dann zwei Tage später umso fre­ne­ti­scher bei der Ankunft am Flug­hafen in Mon­te­video von Tau­senden Fans feiern zu lassen. Die Spieler der Meis­terelf wurden derart ver­ehrt, dass die uru­gu­ay­ische Bevöl­ke­rung zu Spen­den­ak­tionen auf­rief, um ihnen eine Son­der­prämie zu bescheren. Noch heute gehören die Spieler jener Mann­schaft zu den ganz großen Idolen des Fuß­balls in Uru­guay.