Östersunds FK aus Schweden folgt neuerdings den Lehren eines berüchtigten indischen Gurus. Das beschert dem Klub vermutlich den Klassenerhalt – aber auch massive Kritik.
Für die einen ist Amir Azrafshan, 33, ein Shootingstar – einer dieser jungen Wundertrainer mit einem akademisch-analytischen Zugang zum Fußball. Der neue Chefcoach des schwedischen Erstligisten Östersunds FK übernahm die „Falken“ Mitte Juli als vermeintlich sicheren Absteiger, führte den Klub jedoch auf wundersame Weise ins gesicherte Mittelfeld. Aktuell, nach 23 von 30 Spieltagen, beträgt Östersunds Vorsprung auf den Relegationsplatz stolze neun Punkte. Azrafshan, der Studienabschlüsse in Neurowissenschaften und Philosophie vorweisen kann, vermittelte der Truppe in kürzester Zeit das nötige Selbstvertrauen, den unbedingten Siegeswillen und ein gemeinsames taktisches Konzept. Alles, was er tue, beteuert der Schwede mit iranischen Wurzeln, sei „wissenschaftlich fundiert“.
Für immer mehr Schweden aber ist dieser Amir Azrafshan ein Scharlatan, dessen Methoden zusehends fragwürdiger erscheinen, je mehr er selbst darüber referiert: „Was wir hier verändern wollen, ist nicht, wie wir den Ball von links nach rechts befördern, sondern unsere Weltanschauung, welche die Grundlage für alles ist“, erklärt er nun der Zeitung „Aftonbladet“. Außerdem berichtet er von einem Einzelgespräch mit einem Spieler, das er kürzlich geführt habe. „Das ging so tief, dass derjenige anschließend körperliche Symptome entwickelte.“ Stellt sich die Frage: Was genau geht da vor sich in der mittelschwedischen Pampa?
Ein Blick ins Innere der ÖFK-Geschäftsstelle bringt die Erleuchtung: Dort, an einem unscheinbaren Schreibtisch in einem Großraumbüro, residiert neuerdings ein Spanier namens Rubén Sanchez. Der nennt sich offiziell „Consultant“ und ging einst bei einem zwielichtigen indischen Guru in die Lehre. In Östersund verteilt Sanchez kleine bunte Büchlein mit einem bärtigen alten Mann auf dem Cover, der aussieht wie Gandalf aus „Der Herr der Ringe“. Es ist Maharishi Mahesh, verstorben im Jahr 2008, und einst Gründer des Transcendental Meditation Movement – jener radikal-hinduistischen Sekte, die ihre knapp fünf Millionen Anhänger weltweit Jahr für Jahr um einen hübschen Milliardenbetrag erleichtert.
„Meine Rolle im Leben ist es, diesen Menschen zu helfen, den Fußballsport auszubalancieren“
Mit dem eingenommenen Geld leisten sich Maheshs Nachkommen einerseits ein schönes Leben (die Familie zählt aktuell zu den reichsten in Indien), andererseits unterstützen sie eine hinduistisch-nationalistische Partei und finanzieren eigene „Hochschulen“ – zum Beispiel jene im US-Bundesstaat Iowa, an der auch Rubén Sanchez die Schriften des großen Gurus studiert hat.
Über die dubiosen Geldflüsse im Umfeld des Transcendental Meditation Movement und dessen politische Aktivitäten verliert Sanchez kein Wort. Der Spanier, der nach eigenem Bekunden bereits für den FC Barcelona und für die US-Talkqueen Oprah Winfrey gearbeitet hat, spricht lieber über sich selbst und beschreibt sich im Gespräch mit „Aftonbladet“ als eine Art Mentalcoach für Östersunds Profis: „Meine Rolle im Leben ist es, diesen Menschen aus aller Welt zu helfen, den Fußballsport auszubalancieren, sodass es nicht in allzu viel Leid und Stress ausartet oder in andere Aspekte, die mit dem Sinn dieses Spiels nichts zu tun haben.“
Rubén Sanchez kam übrigens auf ausdrücklichen Wunsch von Amir Azrafshan nach Östersund. Und der Coach ist voll des Lobes über den „Consultant“. Sanchez, so Azrafshan, habe an der amerikanischen Transcendental-Meditation-Movement-Hochschule – Zitat – „Bewusstsein studiert“. Und weiter: „Dort mixt man Wissenschaft mit Hinduismus.“ Im Gegenzug würdigt Sanchez den Trainer als „Hirn“ des ÖFK, er selbst sei dessen „Immunsystem“, das Azrafshan schütze, so dass dieser „er selbst sein“ und die „gemeinsame Botschaft verbreiten“ könne. Das erste, was er den Coach gelehrt habe, so Sanchez, sei transzendentale Meditation gewesen.
Dazu sollte man wissen: Der erst 1996 gegründete Östersunds FK war schon immer ein, nun ja, spezieller Klub. Ex-Trainer Graham „Harry“ Potter, ein Engländer, dem man wahre Zauberkräfte attestierte, ließ die Profis regelmäßig Theaterstücke und Musikrevuen aufführen. So sollten sie lernen, ein Wir-Gefühl auch außerhalb des Platzes zu entwickeln. Der kleine ÖFK aus der 50.000-Einwohnerstadt wurde 2017 schwedischer Pokalsieger und qualifizierte sich für die Europa League 2017/18, wo man in zwei Gruppenspielen gegen die Hertha vier Punkte errang und an den Berlinern vorbei in die K.o.-Phase einzog. Außergewöhnliche Maßnahmen, so lernte man, bescheren außergewöhnliche Erfolge. Aber – nach den Lehren einer Sekte leben?
Patrick Ryan aus Philadelphia, ein ehemaliger Anhänger des Transcendental Meditation Movement, sprach mit „Aftonbladet“ über die perfiden Menschenfänger-Methoden der Sekte: „Das Movement sagt, sie können Kriege stoppen. Sie behaupten, sie können das Klima verändern. Sie sagen, sie können Unfälle verhindern (…) Sie behaupten alle möglichen Dinge. Egal, was an positiven Ereignissen passiert, sie führen dies auf sich zurück.“ Zugleich sage die Sekte, dass Erfolg und Glück nicht gratis zu haben seien: „Wer dieser Bewegung folgt, etwa um schneller laufen zu können oder um weniger gestresst zu sein, lernt eine Technik, die er auch kostenlos einem Buch entnehmen könnte. Aber das Transcendental Meditation Movement sagt, dass es nicht möglich ist, derlei Dinge kostenlos zu lernen, vielmehr müsse man viel Geld bezahlen.“
Experten benutzen im Zusammenhang mit der Sekte mitunter Begriffe wie Abzocke oder auch Gehirnwäsche. Die Bewegung selber spricht lieber von „transzendentalen Meditationstechniken“, die eine solch starke Wirkung hätten, dass man damit Krebs heilen könne. Von Mentalübungen, nach denen die Jünger für eine gute Sache ihr Leben lassen würden. Dazu passt, was Öresunds Co-Trainer Pero Kapcevic über die aktuelle Mission Klassenerhalt sagt: „Es ist wie im Krieg. Man muss zusammenhalten und bereit sein, für seinen Anführer und seinen Teamkollegen zu sterben, wenn man den Kampf und den Krieg gewinnen will.“
„Aftonbladet“ titelt derweil, Östersunds FK sei „gesteuert von einer indischen Sekte“. Manch einer argwöhnt gar, das Transcendental Meditation Movement wolle sich in Schweden ausbreiten, indem man einen Fußballklub als PR-Maschine benutze. Wenn man bei Amir Azrafshan zwischen den Zeilen liest, nimmt sich dieser Verdacht nicht mehr allzu verwegen aus: „Mir geht es nicht so sehr darum, in der 1. schwedischen Liga zu arbeiten, da bin ich ganz ehrlich“, sagt der Trainerguru. „Es geht vielmehr darum, dass wir das vermitteln, woran wir glauben.“