Wie ein Heilsbringer wurde Claudio Pizarro von den Werder-Fans empfangen. Er erinnert sie daran, wie schön die Zeiten waren. Aber kann man in die Vergangenheit aufbrechen?
Das herbstliche Osterwunder von Bremen und auch das Abschiedsspiel des Dortmunder Publikumslieblings Dedé, dem am Samstag im Westfalenstadion 80.000 Zuschauer beiwohnten (womit es zur bestbesuchten Partie dieser Art in der Geschichte des europäischen Fußballs avancierte), zeigen vor allem eines: In Zeiten der erodierenden Vereinstreue und der fluktuierenden Mannschaftskader steigen die wenigen loyalen Profis zu wahren Kultfiguren auf. Ihr Wert für die Fans, die Klubs und den ganzen Sport kann nicht in Zahlen gemessen werden kann, nicht in Torquoten und Scorerpunkten, nicht in Ablösesummen und Gehältern – Gefühle sind die Währung.
Wohin mit der Liebe?
Zwei Dinge können Fans geben: Eintrittsgeld und Liebe. Ersteres ist vielen von ihnen mehr denn je ein notwendiges Übel – wollen sie wirklich noch die sich auswachsenden Gehälter der Superstars subventionieren? Und auch das mit der Liebe überlegt man sich inzwischen lieber zwei Mal – wer hat sie schon noch verdient? Wer ist nicht morgen ganz woanders, vielleicht sogar beim Erzrivalen? Alles kann, nichts muss: In der Bundesliga des Jahres 2015 halten viele Beziehungen so lange wie im Swingerclub.
Doch wohin mit der Liebe, die ja da ist und die man sich nicht einfach abgewöhnen kann? Über Männern wie Claudio Pizarro und Dedé wird sie gleich kübelweise ausgegossen. Das ist natürlich zu viel, das ist natürlich kitschig – aber immer noch besser als ewige Enthaltsamkeit.
Liebe in Zeiten der Kohle-Ära
In Bremen und Dortmund wird zwei Männern aus dem fernen Südamerika gehuldigt, als wären sie Dieter Eilts und Aki Schmidt – von außen aber schaut man mit durchaus gemischten Gefühlen auf dieses Phänomen. Es ist immer erfreulich, wenn es noch Emotionen gibt, die nicht powered by sind – und zugleich muten sie grotesk an. Denn die Hoffnung der Fans richtet sich in solchen Momenten ja nicht in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit. Es ist ein kollektiver Retro-Kult, als würden sie alle gemeinsam noch mal ihren Lieblingsfilm gucken, der sie damals, als sie noch jung waren, so berührt hat und es immer noch irgendwie tut. Auch wenn die Versprechen, die der Film ihnen einst machte, nie eingelöst worden. Am Ende gewinnen doch immer die mit dem Geld.
Doch warum ehrlich sein? Am besten belügt man sich doch immer noch selbst. Da weiß man, was man hat. Pizarros Rückkehr, Dedés Abschiedsspiel: Ein Fest der Liebe – der Liebe in Zeiten der Kohle-Ära.