Eintracht Frankfurt hat die Bayern nicht nur auf dem Rasen geschlagen, sondern auch in der Haltung jenseits davon, meint Christoph Biermann.
Auf unvorhergesehen Weise sind Eintracht Frankfurt und der FC Bayern München am Samstag gleich zweimal gegeneinander angetreten. Das erste Mal verabredungsgemäß zum Bundesligaspiel, das die Eintracht nach großartiger Leistung mit 2:1 gewann. Den zweiten Treffer erzielte Amin Younes durch ein Traumtor, danach lief er zur Seitenlinie und hielt ein Shirt hoch, auf dem der Name und das Konterfei von Fatih Saraçoğlu zu sehen war. Der 34-Jährige war genau ein Jahr zuvor in Hanau auf offener Straße von einem Rassisten erschossen worden – gerade mal 25 Kilometer vom Waldstadion entfernt. Er war einer von acht jungen Männern und einer jungen Frau, die damals getötet wurden. Sie hießen Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili-Viorel Păun, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov, und Eintracht Frankfurt hatte sich der Aktion #saytheirnames angeschlossen. Beim Warmmachen vor dem Spiel trugen die Profis der Eintracht ihre Namen und ihre Gesichter auf den Trikots, damit die Namen der Ermordeten nicht vergessen werden.
„Es bringt die Opfer nicht zurück. Aber die Familienangehörigen sollen wissen, dass wir an sie denken.“
Das passte in eine inzwischen fast 30 Jahre lange Frankfurter Tradition von glaubhaftem Antirassismus, die 1992 mit der legendären Fan-Aktion „United Colors of Bembeltown“ begann. Mit Peter Fischer als Präsidenten der Eintracht verkörpert das überzeugend auch der Verein. Doch wirkliche Größe bekam die Aktion dadurch, dass es Younes im Moment seines sportlichen Triumphes ein Anliegen war, an jene zu denken, für die dieser Tag ein Tag der Trauer ist. „Es bringt die Opfer nicht zurück. Aber die Familienangehörigen sollen wissen, dass wir an sie denken“, sagte Younes. Aus diesen Sätzen des kleinen Dribblers sprach Mitgefühl und Menschlichkeit.
Es fiel schwer, nicht daran zu denken, als einige Stunden später Karl-Heinz Rummenigge zu Gast im Aktuellen Sportstudio war. Vom gut vorbereiteten Moderator Jochen Breyer höflich aber mit Nachdruck befragt, offenbarte sich der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern nämlich als bemerkenswert wenig empathisch und zudem intellektuell mitunter erschreckend. Trotz der vergleichsweise guten Situation des Berufsfußballs schlug er einen durchgehenden Jammerton an. In der Frage, warum Fußballmannschaften mitten in der Pandemie durch Europa sausen müssen, um gegen Teams aus Hochrisiko-Regionen spielen zu können, versteckte sich Rummenigge hinter der Uefa. Dass er die Menschenrechtsverletzungen des Bayern-Geschäftspartners Katar mit dem Verweis auf „eine andere Kultur in Katar“ relativieren wollte, konterte Breyer zu recht mit: „Menschenrechtsverletzungen sind keine Kultur.“ Sie sind nämlich universal, gelten für jeden Menschen.
Auf die richtige Frage von Breyer „Warum leistet sich der große FC Bayern nicht mehr Moral?“, fiel Rummenigge außer einem versuchten Themenwechsel nichts mehr ein. Und so standen sich gefühlt noch einmal die Bayern und die Eintracht gegenüber. Dass Amin Younes nach seinem Tor den Wunsch hatte, an die Opfer des rassistischen Mordes zu erinnern, entsprach einerseits seinem inneren Bedürfnis. Aber er tat das auch in einem Umfeld, wo er das nicht nur tun darf, sondern wo es sogar erwünscht ist. Eintracht Frankfurt leistet sich nämlich Moral. Schließlich gibt es genug Leute, die das ablehnen, weil sie der Ansicht sind, dass Politik im Stadion nichts zu suchen hat. Obwohl es nicht um Politik geht, sondern um Menschlichkeit.
Die Niederlage des FC Bayern auf diesem Feld war schlimmer als jene auf dem Rasen. Denn die Zeiten, in denen Profiklubs nur dazu da sind, in einer Blase Fußballsiege herstellen, gehen dem Ende entgegen. Inzwischen sind Haltungen erwünscht – und Gesten. Und da inzwischen Großmedien sogar die „Geste des Jahres“ auszeichnen, kann der nächste Preisträger eigentlich nur Amin Younes heißen.