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Es war unge­fähr so vor­her­sehbar wie ein Kater am Neu­jahrstag. Keine 48 Stunden nach den Aus­schrei­tungen in der ver­gan­genen Pokal­runde dachte DFB-Prä­si­dent Theo Zwan­ziger laut über ein Verbot der Steh­plätze nach. Dabei scheinen Mel­dungen über Fuß­ball-Ran­dale einen natür­li­chen Reflex bei einigen Funk­tio­nären, Poli­ti­kern oder Poli­zei­spre­chern her­vor­zu­rufen, die Steh­plätze zum Teufel zu wün­schen. Die For­de­rung Steh­plätze abschaffen“ ist beim Fuß­ball das, was die Rufe nach Vor­rats­da­ten­spei­che­rung in der Politik sind, wenn es um Ter­ror­ge­fahr geht. Man hat sich daran gewöhnt.

Die aktu­elle Gewalt-Debatte aber, die mit den Bil­dern von Dres­dener Ran­da­lie­rern in Dort­mund in Gang gesetzt wurde, hat eine neue Dimen­sion und die Ver­ant­wort­li­chen zu noch aben­teu­er­li­chen Vor­schlägen ange­spornt. Könnte man auf die Urheber dieser Vor­schläge Wetten abschließen, die übli­chen Ver­däch­tigen Martin Kind und Heri­bert Bruch­hagen hätten die nied­rigsten Quoten. Also gab sich Bruch­hagen keine Blöße. Es muss eine kon­zer­tierte Aktion der DFL geben. Bei­spiels­weise muss dar­über nach­ge­dacht werden, dass alle Klubs keine Jah­res­karten mehr an beken­nende Ultras abgeben. Ziel kann nur sein, dass diese gewalt­be­reiten Fans aus­ge­grenzt werden“, sagte er dem Sport­in­for­ma­ti­ons­dienst. Martin Kind sprach sich für höhere Ticket­preise und lebens­lange Sta­di­on­ver­bote aus.

Von kri­mi­nellen Ultras und Bul­len­schweinen“

Im Dop­pel­pass“ auf Sport1 wurde unwi­der­spro­chen ange­regt, Fans wahllos fest­zu­nehmen. In der Süd­deut­schen Zei­tung“ stellte der Prä­si­dent der Bun­des­be­reit­schafts­po­lizei, Fried­rich Eichele, nebenbei frü­herer Leiter der Spe­zi­al­ein­heit GSG 9, stolz eine neue Poli­zei­taktik vor: Mit dem Zug anrei­sende Fans sollen dem­nach auf Ver­dacht an Kon­troll­punkten aus­steigen, sich aus­weisen und foto­gra­fieren lassen.

Und in Bild“ erschien Alfred Drax­lers Sit­ten­ge­mälde der Ultras unter dem Titel Ultras sind eine Gefahr für den ganzen Fuß­ball“. Er schrieb: Ultras bekommen in einigen Klubs ver­bil­ligte Ein­tritts­karten. Sie wollen beim Ver­kauf von Fan-Arti­keln mit­ver­dienen. Und sie wollen sogar Ein­fluss auf die Ver­eins­po­litik nehmen.“ Das mag in Ein­zel­fällen gerade mit Blick auf Ita­lien nicht falsch sein, sug­ge­riert aber Sodom und Gomorrha in der Bun­des­liga. Und so ist es mit­nichten.

Die Aus­schrei­tungen der Dresdner Fans in Dort­mund und die Kra­walle um das Spiel Frank­furt gegen Kai­sers­lau­tern sind zu ver­ur­teilen. Doch in den Reak­tionen darauf ist das Maß ver­loren gegangen. Die Gleich­set­zung von Pyro­technik mit Gewalt sowie das Pau­schal­ur­teil über die hete­ro­gene Ultra-Bewe­gung ist so wenig tref­fend wie der Slogan auf der anderen Seite: Alle Bullen sind Schweine“. Die Gräben werden auf beiden Seiten aus­ge­hoben, Selbst­kritik ist rar.

Die Arbeits­treffen zwi­schen Ultra-Ver­tre­tern und den Ver­bänden zum Thema Pyro­technik“ bargen eine bei­nahe his­to­ri­sche Chance der Annä­he­rung. Sie wurde vertan. Man mag zu den Gedanken der Ultras stehen, wie man will – aller­dings kann nie­mand mehr ihren Ein­fluss in den deut­schen Sta­dien leugnen, sprich: Man sollte sie zumin­dest ernst nehmen. Doch bei DFL und DFB wird weiter ledig­lich über statt mit den orga­ni­sierten Fans gespro­chen.

Die Sip­pen­haft der Hard­liner

Die Lösung des Kon­flikts führt nicht über Repres­sionen und Ver­bote. Im Gegen­teil: Wenn Fans in Sip­pen­haft genommen oder wie in oben beschrie­benen Modellen in ihren Grund­rechten beschnitten werden, för­dert dies ledig­lich den Mär­ty­rer­kult um Sta­di­on­ver­botler und eine Soli­da­ri­sie­rung gegen die Polizei. Die Lösung müsste aber über den Dialog führen, so wie er jüngst in Lever­kusen prak­ti­ziert wurde. Am 13. Oktober trafen sich dort 16 Fan­be­auf­tragte und ‑pro­jektler der NRW-Ver­eine, um mit Ein­satz­lei­tern der Stand­orte, Szen­kun­digen Beamten und Ver­tre­tern der Bun­des­po­lizei zu dis­ku­tieren. Dabei ging es auch um das neue Sicher­heits­kon­zept, einen 10-Punkte-Plan. Es ist wichtig, dass man sich auf Augen­höhe begegnet und sich gegen­seitig aus­tauscht“, erklärt Frank Linde, Fan­be­auf­tragter von Bayer Lever­kusen.

Zahl­reiche Fan­ver­tre­tungen haben in den letzten Tagen ihrer­seits Stel­lung­nahmen zu der aktu­ellen Debatte abge­geben. Die Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaft der Fan­pro­jekte meint, Ver­band und Liga gehörten mit den Fans/​Ultras und deren Orga­ni­sa­tionen an einen gemein­samen Tisch. Durch eine Sip­pen­haft ein­zelner Gruppen sowie die undif­fe­ren­zierte Bericht­erstat­tung […] kommt man dem Ziel der Ver­rin­ge­rung der Gewalt beim Fuß­ball keinen Schritt näher.“ Die Initia­tive Pro Fans“ kri­ti­siert die unsach­li­chen Aus­sagen sei­tens der Ver­treter von DFB und DFL sowie rechts­staat­lich frag­wür­digen, wenn nicht gar absolut unver­tret­baren Reak­tionen von Ver­eins­of­fi­zi­ellen“.

Ein leerer Stuhl am Tisch

Auch das Bündnis von 14 Fan-Orga­ni­sa­tionen von der ersten bis zur dritten Liga Unsere Kurve“ for­dert einen Dialog auf Augen­höhe. Wir stellen jedoch fest, dass bei der Betrach­tung der Vor­fälle viel zu wenig dif­fe­ren­ziert wird. Und was viel schlimmer ist: Zum wie­der­holten Mal fehlt bei den eilig ein­be­ru­fenen Gesprächs­runden der­je­nige am Tisch, um den es eigent­lich geht – der Fuß­ballfan“, sagt Spre­cher Mathias Scheurer. Die Fan­be­auf­tragten der Klubs appel­lieren in einer Erklä­rung auch an die Fans: Die Hard­liner for­dern Dinge, die Eure Fan­kultur bedrohen. Sie können dies for­dern, weil ihr es zuge­lassen habt, dass sich in Euren Reihen Leute tum­meln, denen es um ihren kurz­fris­tigen Spaß und nicht um die wirk­li­chen Inhalte und Ziele Eurer Kultur geht.“

Beim Runden Tisch“ am kom­menden Montag der Ver­bände mit Minis­tern und der Polizei geht es um die Gewalt im Fuß­ball. Fan­ver­treter sind jedoch nicht ein­ge­laden, und damit ist eine Chance vertan. Es gibt eine Weis­heit auf dem Fuß­ball­platz, die man auch auf andere Bereiche über­tragen kann. Sie besagt, dass es sich irgend­wann rächt, wenn man die Chancen nicht nutzt.