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Carlo Ance­lotti hatte schnell ver­standen, wie er sich in Neapel beliebt machen kann. Eigent­lich bevor­zugt der Trainer der Società Spor­tiva Calcio Napoli Nudeln alla car­bo­nara, in Kam­pa­nien kommt man damit aber nicht son­der­lich gut an. Das Rezept soll schließ­lich aus der Nähe von Rom stammen und die Haupt­stadt können sie in Neapel gar nicht leiden. Dafür sind sie umso stolzer auf ihre wohl berühm­teste kuli­na­ri­sche Erfin­dung, die Pizza, und die schmeckt Ance­lotti auch ziem­lich gut. Ich mag die Pizza weich“, erzählte der 59-Jäh­rige jüngst in einer Pres­se­kon­fe­renz. Viel­leicht mag sie unser Prä­si­dent anders und über Geschmä­cker kann man nicht streiten, aber mir schmeckt sie so.“

Ob die unter­schied­li­chen Geschmä­cker von Ance­lotti und Prä­si­dent Aurelio de Lau­ren­tiis nur eine Meta­pher waren, oder ob der Trainer wirk­lich seine Essens­vor­lieben preisgab, lässt sich nicht end­gültig bestimmen. Etwas anderes wird anhand solch lockerer Plau­de­reien aber ganz deut­lich: Carlo Ance­lotti fühlt sich wohl in Neapel.

Sarris schweres Erbe

Du wachst mor­gens auf und hast sofort diese Land­schaft mit dem Golf von Neapel, Capri und dem Vesuv vor Augen“, schwärmte Ance­lotti in einem Inter­view mit der Gaz­zetta dello Sport“. Außerdem seien die Men­schen sehr fröh­lich, offen­herzig, lei­den­schaft­lich und zur glei­chen Zeit respekt­voll. Neapel ist offenbar genau der rich­tige Ort für den nord­ita­lie­ni­schen Genuss­men­schen und auch fuß­bal­le­risch läuft es exzel­lent. Napoli ist nach der Hin­runde sou­verän Zweiter hinter dem über­mäch­tigen Seri­en­meister aus Turin und nahezu genauso wichtig: Die Mann­schaft spielt weiter den attrak­tivsten Fuß­ball Ita­liens.

Im Sommer war das nicht unbe­dingt zu erwarten. Sein Vor­gänger Mau­rizio Sarri hatte Ance­lotti ein schweres Erbe hin­ter­lassen. Der jet­zige Trainer des FC Chelsea trieb das Team mit seinem tak­ti­schen Per­fek­tio­nismus zur besten Liga­bilanz der Ver­eins­ge­schichte. 91 Punkte, so viel hatte Neapel nicht einmal mit Diego Mara­dona geholt. Zwar ging der Titel den­noch an Juventus, mit fan­tas­ti­schem Kom­bi­na­ti­ons­fuß­ball und stän­digem Gegen­pres­sing beein­druckte Napoli aber nicht nur die eigenen Fans. Pep Guar­diola sagte nach dem Grup­pen­spiel in der Cham­pions League mit Man­chester City: Napoli ist viel­leicht das beste Team, gegen das ich je gespielt habe.“ Spä­tes­tens seit seiner Zeit als Bayern-Trainer weiß man zwar, dass die Lobes­hymnen des Kata­lanen oft­mals leicht über­trieben sind, Sarris Mann­schaft legte die Mess­latte aber den­noch sehr hoch.

Keine Panik!

Als es in der Sai­son­vor­be­rei­tung dann eine 0:5‑Niederlage gegen Liver­pool und ein 1:3 gegen den VfL Wolfs­burg gab, befürch­teten viele Fans und Experten schon ein ganz schwie­riges Jahr. In Ita­lien hat Ance­lottis Ruf durch seine glück­lose Zeit in Mün­chen zwar bei Weitem nicht so gelitten wie in Deutsch­land, leise Zweifel gab es den­noch. Anders als bei den Bayern besei­tigte er diese aller­dings sehr schnell.

Wie bei all seinen Sta­tionen ver­zich­tete Ance­lotti auf tak­ti­sche sowie per­so­nelle Revo­lu­tionen und nahm nur gezielte Anpas­sungen vor. Ich habe hier eine sehr starke Mann­schaft vor­ge­funden“, sagte der neue Trainer bei Dazn Italia“. Sarris Arbeit war fun­da­mental für die Ent­wick­lung des Ver­eins.“ Das typi­sche 4−3−3 der ver­gan­genen Spiel­zeiten wan­delte er in ein 4−4−2 um, von dem beson­ders Lorenzo Insigne pro­fi­tiert. Der gebür­tige Nea­po­li­taner spielte vorher als Links­außen und ist nun als zweiter Stürmer neben Arka­diusz Milik oder Dries Mer­tens mit allen Frei­heiten aus­ge­stattet. Dadurch bekommt er den Ball meist näher am Tor, was seine Chan­cen­ver­wer­tung deut­lich ver­bes­sert hat. Am Fokus aufs Flach­pass­spiel hat sich bei Napoli unter Ance­lotti nichts geän­dert, die Mann­schaft sucht in dieser Saison aber früher die Tiefe und die Angriffe werden schneller abge­schlossen.

Bit­tere Erfah­rungen mit Bayern

Auch wenn Napoli in der Cham­pions League hauch­dünn an Paris St. Ger­main und Liver­pool geschei­tert ist, könnte die Stim­mung rund um den Verein und bei Ance­lotti kaum besser sein. Der Trainer ist viel lockerer als in seiner Münchner Zeit. Damals quälte er sich mit gebro­chenem Deutsch durch die Pres­se­ter­mine, an der Sei­ten­linie wirkte er irgend­wann ratlos und selbst seine größte Stärke, der Umgang mit großen Spie­lern und ihren min­des­tens genauso großen Egos, kam nicht zur Gel­tung.

Lange hat Ance­lotti über die nach eigenem Bekunden ein­zige bit­tere Erfah­rung“ seiner Kar­riere geschwiegen. So vom Hof gejagt wie in Mün­chen wurde er nur Anfang der 2000er Jahre bei Juve und teil­weise musste man sich anhand der hef­tigen Kritik fast schon fragen, wie solch ein Trainer, der angeb­lich keinen Wert auf Taktik und Trai­nings­in­ten­sität legt, drei Mal die Cham­pions League gewinnen konnte. Bei Bayern haben mich vor einem Jahr nur fünf Spieler unter­stützt“, sagte Ance­lotti im Herbst. Der Verein hatte damals nicht den Willen, die Struk­turen zu ändern und den Gene­ra­tio­nen­wechsel vor­an­zu­treiben.“ Die Pro­bleme der Münchner in dieser Saison unter Niko Kovac deuten darauf hin, dass Ance­lotti damit nicht ganz unrecht hat.

Ein anderer Ance­lotti

In Neapel erlebt man nun einen anderen Carlo Ance­lotti. Einer der Gründe, warum ich nach Ita­lien zurück­ge­kommen bin, ist die Sprache. Psy­cho­lo­gisch macht es einen rie­sigen Unter­schied aus, die eigene Sprache zu spre­chen“, sagte Ance­lotti, der wieder mehr scherzt und lacht – natür­lich immer mit mar­kant nach oben gezo­gener Augen­braue. Wenn nötig, bezieht er aber auch zu schwie­rigen Themen Stel­lung. Nachdem sein Abwehr­chef Kalidou Kou­li­baly vor einigen Wochen im Aus­wärts­spiel bei Inter Mai­land fast durch­gängig ras­sis­tisch ange­feindet wurde, kün­digte er an, seine Mann­schaft beim nächsten Mal vor­zeitig in die Kabine zu schi­cken. Im schlimmsten Fall sollen sie uns das Spiel doch als ver­loren werten“, sagte Ance­lotti.

Auch mit solch einer Dro­hung kommt er gut an in Neapel, das Auto­ri­täten tra­di­tio­nell skep­tisch gegen­über­steht und sich oft von den in Nord­ita­lien und Rom ansäs­sigen Mächten benach­tei­ligt sieht. Seine kuli­na­ri­schen Vor­lieben haben sich übri­gens schnell her­um­ge­spro­chen. Gleich meh­rere bekannte Lokale haben inzwi­schen eine Pizza Ance­lotti“ im Angebot – natür­lich weich, ganz wie der Mister sie mag.