Dinge gibt’s, die gibt’s gar nicht. Etwa ein deutsches WM-Aus in der Vorrunde, das unseren Autor (und einen Praktikanten) fast sprachlos macht.
Allerdings verfolge ich das Spiel nur mit einem Auge. Obwohl es sehr wichtig ist, gibt es ja keinen Zweifel am Ausgang. Außerdem habe ich gerade auf meinem Laptop in einem Archiv Informationen über einen roten Chow-Chow namens El-Jo Buddha-Wu gefunden, die ich lange gesucht hatte. Ich bin glücklich. Zur Halbzeit steht es 0:0.
Um 17:08 Uhr gibt es den ersten zarten Hinweis, dass dieser Nachmittag einen besonderen Moment bereithalten könnte. Mit brüchiger Stimme informiert mich Béla Réthy, dass Schweden im Parallelspiel gegen Mexiko in Führung gegangen ist. Das ist insofern bemerkenswert, da wir im WM-Sonderheft keinen Zweifel daran gelassen haben, dass Mexiko unweigerlich ins Achtelfinale kommt. Wie auch immer, nun braucht Deutschland ein Tor – ein eigenes oder ein mexikanisches. Aber es ist natürlich nur eine Frage der Zeit.
Noch 28 Minuten in Kasan
Doch die verrinnt unaufhörlich. Um 17:19 Uhr verursacht Mexiko einen Elfmeter. Ich schließe das Maskottchen-Dokument und starte auf meinem Laptop den Livestream des Schweden-Spiels über ZDF-Info. Dann gehe ich in Florians Büro.
„Du solltest vielleicht mal rüberkommen,“ sage ich. „Es könnte jetzt interessant werden.“
Wir sehen auf dem rechten der beiden Bildschirme, wie Schweden das 2:0 erzielt. Florian blickt auf den linken Monitor. Noch 28 Minuten in Kasan.
„Jetzt wird’s eng“, sage ich.
„Nie im Leben“, meint Florian. „Die schießen auf jeden Falls eins.“ Und damit verlässt er den Raum.
Doch irgendwie schießen sie keins. Schweden macht das dritte Tor, dann beginnt in Kasan die lange Nachspielzeit. Die Tür zu meinem Büro geht auf. Florian kommt rein und baut sich neben mir vor den Schreibtisch auf, denn inzwischen stehe ich längst.
„Das kann nicht sein“, sagt er.
„Wenn sie kein Tor schießen“, erwidere ich, „dann wird gerade Geschichte geschrieben.“
„Klar fällt da noch ein Tor“, sagt Florian. Und behält recht.
Epochale Sekunden
Mein Fußballmoment des Jahres 2018 ist die kurze Zeit nach dem Treffer von Young-Gwon Kim, der wie Abseits aussieht und zuerst auch nicht gegeben wird. Denn während der Schiedsrichter sich die Szene in der Review Area ansieht, verrät uns die Wiederholung schon, dass der Ball von einem deutschen Spieler kam. Wir wissen, dass der Unparteiische das Tor gleich anerkennen wird. Wir wissen, dass Deutschland in der Gruppenphase einer WM als Letzter ausscheidet. Wir wissen, dass dies epochale Sekunden sind. Für mich gilt das natürlich noch viel mehr als für Florian, der erst fünf WMs bewusst miterlebt hat. Für mich fühlt es sich an, als hätte die Erde kurz aufgehört sich zu drehen.
Der Schiedsrichter zeigt zur Mitte.
„Unglaublich“, sagt Florian.
„Wahnsinn“, sage ich.
Dann gehen wir wieder an die Arbeit.