Was ist der Garcia-Report?

Im Jahr 2012 beauf­tragte die Fifa den Juristen Michael Garcia mit den Ermitt­lungen zu den WM-Ver­gaben 2018 und 2022. Der US-Ame­ri­kaner Garcia hatte einen her­vor­ra­genden Leu­mund als hart­nä­ckiger Staats­an­walt, der bereits Mafiosi und Ter­ro­risten ange­klagt hatte.

Garcia und sein Team ermit­telten über zwei Jahre lang, die Unter­su­chungen zu Russ­land über­nahm der Schweizer Cornel Bor­bely aus der Ethik­kom­mis­sion. Im Sep­tember 2014 über­gaben sie ihren über 400 Seiten starken Bericht an den Welt­ver­band.

Warum blieb der Bericht unter Ver­schluss?

Garcia wollte den Bericht voll und ganz ver­öf­fent­li­chen. Die Fifa aller­dings stellte ledig­lich eine Zusam­men­fas­sung von Dr. Hans-Joa­chim Eckert, dem dama­ligen Vor­sit­zenden der Ethik­kom­mis­sion, vor. Eckert begrün­dete diesen Schritt mit einer schwie­rigen recht­li­chen Situa­tion“ und dem Per­sön­lich­keits­schutz der im Bericht erwähnten Per­sonen.

Ein wei­terer Grund, warum der Bericht nicht an die Öffent­lich­keit gelangte: Die Fifa hatte in der Folge Straf­an­zeige gegen Unbe­kannt gestellt und den Bericht an die Behörden über­geben. Die Schweizer Anwälte sahen ihn als Beweis­mittel einer lau­fenden Ermitt­lung an. Diese könne noch drei bis fünf Jahre andauern, teilte das Büro des Schweizer Bun­des­an­waltes zuletzt mit.

Eckert fand in seiner Zusam­men­fas­sung keine Ver­feh­lungen der Bewerber, die eine Neu­ver­gabe der Tur­niere recht­fer­tigten. Garcia ärgerte sich über die ver­kürzte Dar­stel­lung und warf Eckert man­gel­hafte Arbeit vor. Danach erklärte der harte Hund“ aus den USA seinen Rückzug. Mitt­ler­weile ist auch Eckert nicht mehr für die Fifa tätig: In diesem Jahr wurden er und der oben erwähnte Russ­land-Ermittler Bor­bely nicht mehr zur Wie­der­wahl im Ethikrat zuge­lassen. Mit anderen Worten: Die Riege um Chef Gianni Infan­tino hatte sie abge­setzt.

Warum wurde der Report nun ver­öf­fent­licht?

Am Montag schrieb die Bild“-Zeitung, dass ihr der Bericht vor­liege. Sie wollte in einer Serie aus dem geheimen Doku­ment berichten. Tags darauf stellte die Fifa den kom­pletten Report auf ihre Seite und zeigte bisher unge­ahntes Inter­esse an Trans­pa­renz. Sie wolle der Ver­brei­tung von irre­füh­renden Infor­ma­tionen“ vor­beugen, erklärte sie. Prä­si­dent Infan­tino und die neue Ethik­kom­mis­sion wurden als Ver­fechter der Auf­klä­rung dar­ge­stellt.

Ein sub­tiler Angriff auf Eckert und Bor­bely. Ihre Reak­tion ließ nicht lange auf sich warten. Sie ver­tei­digten die Geheim­hal­tung des Berichts und schlossen mit einer Spitze gegen den Fifa-Prä­si­denten: Wir würden gerne erwähnen, dass Herr Infan­tino uns bis zum heu­tigen Tag nie kon­tak­tiert und um eine Ver­öf­fent­li­chung gebeten hat.“

Bor­bely findet in seinem Bericht keine Beweise für den Stim­men­kauf der rus­si­schen Bewerber. Er kann ein sol­ches Vor­gehen aller­dings auch nicht aus­schließen.

Russ­lands Pre­mier Wla­dimir Putin hat fünf Mal Mit­glieder des Wahl­gre­miums ein­ge­laden, unter anderem die kor­rupten Funk­tio­näre Chuck Blazer und Jack Warner. Dabei konnte der Bericht keine Ein­fluss­nahme fest­stellen: Die rus­si­schen Regie­rungs­of­fi­zi­ellen unter­stützen die Bewer­bung, damit waren sie nicht allein, tat­säch­lich gehört dies zum Stan­dard­ver­fahren von Bewer­bern.“ Es ist nicht unge­wöhn­lich, dass Poli­tiker der Bewer­ber­länder (wie auch Barack Obama) auf Fifa-Funk­tio­näre treffen. Die Frage bleibt: Was wurde dort bespro­chen?

Fest steht, dass in Russ­land nicht nur Gruß­worte aus­ge­taucht wurden. Der Bewer­ber­stab machte den Mit­glie­dern des Exe­ku­tiv­ko­mi­tees zahl­reiche Geschenke. Für die Fifa-Ermittler hatten diese aber nur sym­bo­li­schen Wert. Es habe sich um Füller oder Tickets für Stadt­rund­fahrten gehan­delt. Als die Prüfer der Fifa in Russ­land vor­bei­schauten, bekamen sie je ein ipad in die Hand gedrückt – als Arbeits­werk­zeug“. Die Ermittler sahen hierbei ebenso wenig eine Regel­ver­let­zung wie bei ver­schenkten Kunst­werken an den bel­gi­schen Wahl­mann. Ins­ge­samt: keine Bestechung zu erkennen. Russ­land kommt in dem Bericht gut weg.

Ganz nach dem Motto: Wer wenig preis­gibt, hat auch wenig zu befürchten. Russ­land setzte zu aben­teu­er­li­chen Ent­schul­di­gungen an: Die Com­puter des Bewer­bungs­ko­mi­tees seien nur geleast gewesen. Nach der Rück­gabe hätte jemand sie leider zer­stört. Frü­here Mit­ar­beiter könnte man leider nicht errei­chen. Und die Mails? Leider gelöscht. Laut dem Bericht hätten die Russen bei Google Russ­land ange­fragt, um die G‑Mail-Konten wie­der­her­zu­stellen. Nach einiger Zeit hätten sie mit­be­kommen, dass Google USA dafür zuständig sei. Da habe sich aber nie­mand gemeldet.

Da haben die Kataris anders gehan­delt. Sie werden zu Beginn des Berichts für ihre umfas­sende Koope­ra­tion gelobt. Wohl des­wegen konnten Gar­cias Ermittler auch derart viele Regel­brüche fest­stellen. Stell­ver­tre­tend dafür steht eine interne Mail an den kata­ri­schen Bewer­ber­stab. Darin ging es um Treffen von Fifa-Funk­tio­nären mit dem Emir von Katar. Ein Punkt: Geschenke wie bereits bespro­chen.“

So wird klar, dass die kata­ri­sche Regie­rung die Exe­ku­tiv­mit­glieder aus Süd­ame­rika Julio Gron­dona und Ricardo Teixeira im Pri­vatjet zu einem Treffen mit dem Emir ein­fliegen ließ. Gron­dona ant­wor­tete den Ermitt­lern ziem­lich dreist, dass er sich an so einen Flug nicht erin­nern könne. Garcia notiert, dass dies an dessen Glaub­wür­dig­keit zwei­feln ließe.

Ein wich­tiger Mann, der hinter den Treffen stand, war Sandro Rosell. Er fun­gierte lange Jahre als der Chef von Nike in Bra­si­lien, gleich­zeitig war er ein guter Freund und Trau­zeuge von Ricardo Teixeira, dem Wahl­mann aus Bra­si­lien. Rosell arbei­tete zudem als Berater für die kata­ri­sche WM-Bewer­bung zu einem Tages­satz von 2000 Euro. Er wurde im Jahr 2010 Prä­si­dent vom FC Bar­ce­lona und zurrte den Spon­so­ren­deal des Klubs mit der Qatar Foun­da­tion“ fest. Im Juni 2011, ein halbes Jahr nach der WM-Ver­gabe an Katar, über­wies Rosell zwei Mil­lionen Pfund auf das Konto der Tochter von Ricardo Teixeira. Also: Es floss Geld eines Katar-Bera­ters an einen Wahl­mann.

Im Garcia-Bericht heißt es aus Katar: Das Geld habe nichts mit der Bewer­bung zu tun gehabt. Und warum sei die Summe auf das Konto der Tochter ein­ge­gangen? Manchmal machen Leute etwas aus Steu­er­gründen.“ Auch diese Über­wei­sung könne keinen Stim­men­kauf beweisen, schreibt Garcia.

Deut­li­cher wird er in Bezug auf die kata­ri­sche Fuß­ball­aka­demie Aspire“. Katar habe mit ihr Pro­jekte in genau jenen Län­dern geplant, aus denen Wahl­männer stammten: nament­lich Thai­land und Nigeria. Außerdem ver­sprach Katar diesen Län­dern Trai­nings­mög­lich­keiten und Freund­schafts­spiele. Die Ermittler schluss­fol­gern: Aspire“ wurde als Mittel benutzt, um den Mit­glie­dern des Exe­ku­tiv­ko­mi­tees Vor­teile zu ver­schaffen“. Die Inte­grität der WM-Ver­gabe sei damit unter­graben worden.

Spä­tes­tens seit den Ent­hül­lungen der Sunday Times“ wird Katar Bestechung von Funk­tio­nären vor­ge­worfen: Der Katari Mohamed Bin Hammam soll hohe Summen an Wahl­männer aus Afrika gezahlt haben. Außerdem über­wies er einen sechs­stel­ligen Betrag an ein Mit­glied des Exe­ku­tiv­ko­mi­tees aus Tahiti, das angeb­lich für Aus­tra­lien stimmen wollte. Katar bestritt jeg­liche Ver­bin­dung von Ham­mams Geld­flüssen zu seiner WM-Bewer­bung. Zwar hatte der heute von der Fifa lebens­lang gesperrte Funk­tionär kein Amt im Bewer­bungs­stab, aber an seiner Rolle besteht kein Zweifel: Er unter­stützte die Katar-Bewer­bung und hat mit seinen Aktionen Ein­fluss auf die Wahl genommen“, schreibt Garcia.

Einen Tag nach der WM-Ver­gabe sen­dete der Mann aus Tahiti eine Mail an Bin Hammam. Er schrieb: Herz­li­chen Glück­wunsch an dich und dein Team. Alles Gute für Katar 2022. Und noch einmal, vielen Dank für deine Hilfe.“

Becken­bauer wird in dem Bericht immer wieder im Ver­bund mit seinen Ver­trauten Andreas Abold und Fedor Rad­mann genannt. Die beiden arbei­teten für die Bewer­bung von Aus­tra­lien, Becken­bauer war einer der Wahl­männer bei der WM-Ent­schei­dung. Der Ermittler Garcia sen­dete Becken­bauer daher immer wieder einen Fra­gen­ka­talog über dessen Zusam­men­ar­beit mit Rad­mann zu.

Doch Becken­bauer wei­gerte sich zu ant­worten und wurde daher zunächst für 90 Tage von der Fifa gesperrt. Die ent­schei­dende Frage: Hat Becken­bauer für Aus­tra­lien gestimmt, weil sein Adlatus Lob­by­ar­beit für das Land betrieb? Becken­bauer selbst ver­neinte dies in seiner Ant­wort an die Ermittler. Im Juni 2014 hatte er jedoch gesagt: Der DFB hatte eine Ver­ein­ba­rung mit dem aus­tra­li­schen Ver­band und ich damit ein Mandat.“

Es bleibt unklar, wel­chem Land Becken­bauer seine Stimme gab. Seit langem besteht der Ver­dacht, Becken­bauer habe für Russ­land gestimmt. Im Jahr 2014 hatte die bri­ti­sche Zei­tung Sunday Times“ über seine Ver­bin­dungen nach Russ­land berichtet. Eine Quelle der Times“ aus dem eng­li­schen Komitee wird mit den Worten zitiert: Becken­bauer war der kor­rup­teste von allen“ und kom­plett auf der rus­si­schen Seite“. Dem­nach hätten Becken­bauers Ver­traute dessen Stimme gegen eine enga­ge­ment fee“ ange­boten.

Das muss kein Wider­spruch zum Aus­tra­lien-Enga­ge­ment sein: Laut Garcia-Bericht hat Rad­mann sei­ner­zeit auch ein Treffen von Becken­bauer mit den eng­li­schen Bewer­bern orga­ni­siert. Die Fifa-Ermittler sehen darin einen klaren Ver­stoß gegen die Regeln. Garcia schreibt: Das führt zu Zwei­feln an der Inte­grität des Bewer­bungs­pro­zesses.“ Becken­bauer habe gegen die Fifa-Ethik­re­geln ver­stoßen.

Die Rolle des Kai­sers bleibt auch nach dem Garcia-Report unklar. Er selbst ant­wor­tete aus­wei­chend, seine Ver­trauten äußerten sich gar nicht. Fakt ist: Zwei Jahre nach der WM-Wahl wurde Becken­bauer Bot­schafter für den Ver­band Rus­si­scher Gas­kon­zerne. Seine Auf­gabe: für rus­si­sche Groß­ereig­nisse werben.

Werden die Welt­meis­ter­schaften jetzt neu ver­geben?

Der Garcia-Report ist nicht das lange ver­steckte, geheime Doku­ment, das den end­gül­tigen Beweis für die gekauften Tur­niere lie­fert. Russ­land und Katar werden wei­terhin Aus­richter der WM 2018 und 2022 bleiben, auch wenn gerade der Wüs­ten­staat schwer belastet wird. Der Bericht offen­bart aber den Moloch Fifa, er listet Belege und Aus­sagen auf, die wei­tere Ermitt­lungen initi­ieren könnten. Garcia hatte nicht die Mög­lich­keiten einer staat­li­chen Ermitt­lungs­be­hörde.

Nur fünf der 22 Wahl­männer von damals haben sich Gar­cias Team gestellt. Auch andere poten­zi­elle Zeugen scheuten das Risiko. Es ist zu gefähr­lich. Die Fifa hat uns Zeugen keinen recht­li­chen Schutz gegeben, obwohl es für sie so ein­fach gewesen wäre“, wurde bereits 2014 ein Mit­ar­beiter aus dem eng­li­schen Bewer­ber­stab in der Times“ zitiert. Garcia hat ein großes Puzzle zusam­men­ge­legt, aber die letzten Teile fehlen.

So sind die­je­nigen (noch) fein raus, die sich plötz­lich an nichts mehr erin­nern können. Oder denen die Com­puter abhanden kamen.