Dieter Hecking hat dem VfL Wolfsburg zu DFB-Pokal und Vizemeisterschaft verholfen. Jetzt musste er gehen. Dabei war das Scheitern vorprogrammiert, weil der Klub einen ganz besonderen Makel hat.
Da stand er nun, der Polizeimeister aus Castrop-Rauxel, dieses Kind der Bundesliga. Hielt den DFB-Pokal in den Armen, dem Himmel entgegen, der jetzt die Grenze war.
Am 30. Mai 2015 war Dieter Hacking angekommen. In der Ruhmeshalle des deutschen Fußballs. Oder zumindest in dessen Vorraum. Er hat ihn nicht gerade gestürmt. Er hat sich den Zugang erarbeitet. 15 Jahre Aufstieg. Von Verl nach Lübeck, nach Aachen, Hannover und Nürnberg. Immer ein Stückchen mehr, immer ein Stückchen besser. Ehe er in Wolfsburg angekommen schien.
Ein stoischer Arbeiter, ein nachweislich guter Trainer, der nun endlich bekam, wovon jeder Trainer seiner Güte träumt: Spieler und Mittel, mit denen es bis ganz nach oben gehen kann. Dahin, wo nur noch der Himmel die Grenze ist.
Verbunden durch ein Mantra
Da stand er, ein übergroßes Basecap auf dem Funktionshaar, auf dem „KING“ stand. Seine Spieler feierten ihn, Dieter Hecking feierte mit. Und ein bisschen, ein bisschen feierten ihn selbst diejenigen, für die Wolfsburg in der Vor-Rasenball-Leipzig-Zeit die Ausgeburt des Bösen war.
Zum Einen, weil die Mannschaft zu jener Zeit tatsächlich einen aufregenden Fußball auf den Rasen brachte. Angeführt von Kevin de Bruyne, dieser Naturgewalt, und flankiert von einem Haufen Spieler, die sich und der Welt beweisen wollten, dass sie für das ganz große Los bereit sind. Zum Anderen durch den tragischen Tod von Junior Malanda.
Das Ende des sinnstiftenden Zusammenhalts
„Ich habe in der Halbzeit gesagt: Wenn die Kraft nicht reicht, dann ist noch Junior da. Er ist der zwölfte Mann“, so Dieter Hecking im Nachgang des Spiels. Es schien das Mantra der Mannschaft geworden zu sein, das Mantra einer überragenden Rückrunde, die den VfL neben dem Pokalsieg auch zur Vizemeisterschaft trug. Angeleitet von ihrem Trainer, der in jener Zeit immer die richtigen Worte zu finden schien.
Doch kein Mantra hält ewig. Mit dem Ende der Saison 2014/15 schien auch der sinnstiftende Zusammenhalt ein Ende gefunden zu haben. Und mit Kevin de Bruyne verließ der Spieler den Klub, der auch sonst den Unterschied hätte ausmachen können.
Und plötzlich schien die Mannschaft wieder wie eine Ansammlung jener, die Wolfsburg entweder als End- oder Durchgangsstation begriffen. Schon in der vergangenen Saison reihte sich so eine lustlose Vorstellung an die nächste. Einzig die Champions League, so schien es, entlockte dieser Mannschaft ihr immer noch zweifellos großes Potential.
Allein wer sich an die Auftritte gegen Real Madrid erinnert, wird auch heute noch schwerlich begreifen können, dass dieselbe Mannschaft es in der Bundesliga mit Ach und Krach auf den achten Platz geschafft haben soll.
Das Scheitern war systemimmanent
Niemand sollte glauben, dass auch großzügig vergütete Wolfsburger Profis nichts anderes wollen, als jedes einzelne Spiel zu gewinnen. Doch wenn es stimmt, was uns die Verantwortlichen Woche für Woche in die Gehörgänge rezitieren, wenn es stimmt, dass in der Bundesliga nur wenige Prozentpunkte über Wohl und Wehe, über Sieg oder Niederlage entscheiden, dann ist das Scheitern der Wolfsburger, das Scheitern von Dieter Hecking nur systemimmanent.
Einen Kevin de Bruyne, sowohl von seiner fußballerischen als auch seiner mentalen Qualität, gibt es nunmal selbst für viel Geld nicht überall und ständig zu kaufen. Und für einen vereinenden Schicksalsschlag, wie es der Tod von Junior Malanda war, will selbst der zynischste Macher den Erfolg nicht eintauschen.
Es fehlen die letzten Prozentpunkte
So bleibt die romantische Hoffnung, dass das Scheitern von Dieter Hecking eine Frage des Prinzips ist, da den Spielern in Wolfsburg fehlt, was anderswo als Triebfeder dient. Das „mia san mia“ in München. Das Lebensgefühl Fußball, dass im Ruhrgebiet Ersatzreligion ist. Der rheinische Froh-/Wahnsinn, der den Spielern bewusst oder unbewusst die letzten Prozentpunkte aus dem Willen leiert.
Denn machen wir uns nichts vor. In Wolfsburg ist der emotionale Gegenwert, der von Außen an die Mannschaft herangetragen wird, ungleich geringer, als anderswo. Und damit der Leidens- und Leistungsdruck.
Und so steht er nun da, dieser Dieter Hecking. Der Fußballhimmel muss erstmal warten. Näher wäre er ihm in Wolfsburg aber auch nicht mehr gekommen.