Weil bei der Partie Tottenham gegen Manchester United eine Frau als Schiedsrichter-Assistentin an der Seitenlinie steht, greift das iranische Staatsfernsehen in die Übertragung ein. Und zeigt stattdessen: eine Sendung über Londons Straßen.
Früher Sonntagabend, in der Premier League steht eine interessante Begegnung auf dem Plan: Tottenham gegen Manchester United. In der Hinrunde gab es eine 1:6‑Klatsche für United. Kommt es nun zur Revanche? Wer das im Iran verfolgte, musste schon genau aufpassen. Statt des Spiels liefen nämlich immer wieder Luftaufnahmen von London.
Der Grund für die Unterbrechungen: die britische Schiedsrichter-Assistentin Sian Massey-Ellis. Die 35-Jährige gilt als eine der besten ihres Fachs, ist seit mehr als zehn Jahren in der Premier League aktiv. Allerdings wird ihre Arbeit beziehungsweise die Kleidung, die sie dabei trägt, nicht überall gern gesehen. Eben im Iran zum Beispiel. Dort hat das staatliche Fernsehen die Ausstrahlung der Partie Tottenham gegen Manchester United mehr als 100 Mal unterbrochen – und zwar immer dann, wenn Massey-Ellis in ihrer Arbeitskleidung zu sehen war.
Die iranische Initiative My Stealthy Freedom machte das Vorgehen des Senders nun publik. Der blendete statt der Britin nämlich Außenaufnahmen des Tottenham Hotspur Stadiums oder der Seitenstraßen in London ein. Was das ganze Spiel lächerlich gemacht habe, beschweren sich die Aktivistinnen. Sie setzen sich für Frauenrechte und gegen diskriminierende Gesetze ein – wie zum Beispiel die Kleidervorschriften.
Im Iran haben Frauen sich bedeckt zu zeigen, lockere, lange Kleidung und Hijab sind seit 1979 gesetzlich vorgeschrieben, freie Oberarme oder Knie tabu. CD-Cover werden angepasst, in Filmen werden Szenen ausgeschnitten, bei Preisverleihungen wie den Oscars wird Schauspielerinnen Kleidung aufgemalt, teilweise gleich der ganze Körper unscharf gemacht. Oder eben ganz andere Szenen eingeblendet, weil die Schiedsrichter-Assistentin eine kurze Hose und unbedeckte Haare trägt. Damit das möglich ist, laufen Live-Übertragungen grundsätzlich mit Verzögerung.
Dass das Spiel überhaupt gezeigt wurde, wenn auch nur in Teilen, liegt möglicherweise daran, dass Massey-Ellis das Spiel nicht leitete, sondern als Assistentin tätig war. Da gab es auch schon andere Fälle. Im Februar 2019 zum Beispiel wurde die Übertragung der Bundesligapartie zwischen dem FC Bayern München und dem FC Augsburg im Iran abgesagt. Der Grund: Bibiana Steinhaus leitete die Partie. Wie üblich in kurzen Sportsachen und ohne ihre Haare zu bedecken. Die Auslosung zur WM 2018 wurde zensiert, indem stattdessen ein Interview mit Luis Figo lief. Das Kleid der Moderatorin Maria Komandnaya wurde als zu freizügig angesehen. Während der Eröffnungsfeier der WM 2014 in Brasilien war in der iranischen Übertragung minutenlang ein schwarzes Bild zu sehen, als dort Sambatänzerinnen auftraten. Und so weiter, und so fort. Die Liste ist lang.
Die Absurdität der Situation am Sonntag fiel nicht nur den Aktivistinnen von My Stealthy Freedom auf. Einer der iranischen Kommentatoren selbst soll zum Ende der Übertragung gesagt haben, er hoffe, die Zuschauenden hätten die Geographie-Sendung genossen.