Mit Borussia Dortmund griff Stefan Klos in den Neunzigern nach den Sternen. Doch dann verkrachte sich der stille Keeper mit seinem Herzensverein, zog vor Gericht und verschwand am Ende unbemerkt in Richtung Schottland. Heute wird er 50 Jahre alt.
Waren Sie jemals kurz davor, auszurasten?
Wenn ich mitbekam, dass einem Vordermann zum dritten Mal ein Gegner hinterm Rücken entwischte, habe ich dem Kollegen natürlich mal Bescheid gesagt. Ist ja nicht so, dass ich gar nicht sauer werde.
Von Ihnen ist aber nur ein Ausraster aktenkundig: Bei einem Spiel des BVB gegen den VfB Stuttgart.
Giovane Elber ging mir da wirklich auf die Nerven. Es gab Ecke, ein Kopfball wurde verlängert und der Ball ging über mich rüber. Und was machte Elber? Stellte sich hinter mir in den Weg – und der Ball trudelte seelenruhig ins Tor, ohne dass ich eine Chance gehabt hätte ranzukommen. Da musste ich auf den Putz hauen.
Wie waren die Reaktionen der Mitspieler?
Ottmar Hitzfeld war so verdutzt, dass er mich nach dem Spiel fragte, ob ich auch auf den Schiri losgegangen wäre.
Ihre Antwort?
„Jein.“ Das war ein hochemotionales Spiel. Toni Schumacher kam später zu mir und sagte: „Junge, Du musst in solchen Situationen aggressiver werden. Wenn der das nochmal macht, nimm die Knie hoch.“ Zum nächsten Spiel dachte er sich eine Übung aus, die mich aggressiver machen sollte.
Wie sah die aus?
Er sagte beim Warmmachen: „Stoffel, damit Du in Stimmung kommst, springst Du mir jetzt mit den Stollenschuhen voran in den Rücken.“
Wie bitte?
Ab dem Tag habe ich das bei jedem Aufwärmen gemacht. Es ging darum, mich heißzumachen. Feldspieler haben mehr Möglichkeiten, um im Zweikampf Luft abzulassen. Auf diese Weise wurde auch ich kompromissloser – was ein Torwart auch sein muss.
Für viele BVB-Fans sind Sie bis heute der „Held von Auxerre“, weil Sie im Uefa-Cup-Halbfinale 1993 im Elfmeterschießen einen Strafstoß parierten, der zum Erreichen des Endspiels reichte.
Unsere Mannschaft war damals nicht unbedingt prädestiniert, ins Finale zu kommen. Aber es war das einzige Elfmeterschießen, das wir in diesen Jahren zu überstehen hatten – und alle haben getroffen. Sogar Michael Schulz, der sonst nie zum Elfer antrat. Ich fragte ihn hinter: „Langer, der ist ja voll in den Winkel gegangen!“ Darauf er: „Keine Ahnung. Ich habe die Augen zugemacht.“
Welche Erinnerungen haben Sie sonst noch an dieses Spiel?
Die Stimmung war sehr aufgeheizt. Da passten nur 20 000 Leute rein, die schon beim Warmmachen kreischten. Wenn ich einen Ball durchließ, haben die gejubelt, als sei im Spiel ein Tor gefallen.
Unvergesslich war das grelle Torwarttrikot, das Sie damals trugen.
Es war mit Abstand das hässlichste, das ich je in der Sammlung hatte. Eigentlich wollte ich es nie tragen, aber in der ersten Uefa-Cup-Partie gegen den FC Floriana hatten wir kein anderes Trikot, das sich ausreichend von den gegnerischen Jerseys absetzte. Also habe ich mich da reingezwängt. Als es dann gut für uns lief, bin ich dabei geblieben.
Es müsste heute BVB-Museum hängen.
Mag sein, aber ich habe es nach dem verlorenen Finale gegen Juve in unseren Fanblock geworfen. Es hatte seine Magie verloren.
Vier Jahre später gewannen Sie das Champions League Finale gegen Juventus.
Ein unvergesslicher Moment.
Der schönste in Ihrer Laufbahn?
Sicherlich der bedeutendste, aber ich erinnere mich auch gern an den Gewinn des schottischen Pokals im Derby gegen Celtic – gleich in meinem ersten Jahr auf der Insel. Mit dem BVB war es uns nie geglückt, den Cup zu holen.
Welchen Erfolg hätten Sie rückblickend gerne noch erzielt?
Ich hätte gerne 250 Bundesligaspiele für den BVB am Stück gemacht. Doch am 33. Spieltag der Saison 1995/96 brach ich mir den Daumen und musste im letzten Saisonmatch pausieren. Sonst hätte ich bis zu meinem Wechsel nach Schottland vielleicht 254 Ligaspiele ohne Unterbrechung gemacht.
Nicht der erste Frustmoment in Ihrer Laufbahn. Gleich in Ihrer ersten Saison als Stammkeeper 1992 waren Sie fast Meister, als im letzten Moment der VfB Stuttgart durch ein Tor von Guido Buchwald noch am BVB vorbeizog.
Ach, wissen Sie, die Dramatik habe ich auf dem Feld gar nicht mitbekommen. Erst als ich in der Kabine war und hörte, dass Leverkusen gegen zehn Stuttgarter hätte gewinnen müssen, wurde mir bewusst, wie groß unsere Chance gewesen war. Vor der Saison hatte uns keiner zugetraut, dass wir da vorne landen. Ich habe mich noch gewundert, wie Michael Rummenigge, der vorher schon mit Bayern Meister gewesen war, vor Anpfiff am letzten Spieltag zu mir sagte: „Junge, das ist heute ein Spiel wie jedes andere. Nur ganz anders“.
Das große Mysterium Ihrer Laufbahn war Ihr abrupter Wechsel im Winter 1998/99 aus Dortmund zu den Glasgow Rangers, nachdem Sie eine Klage gegen den BVB angestrengt hatten.
Ich hatte nie geplant, den BVB zu verlassen. Aber nach dem Gewinn der Champions League veränderte sich im Klub einiges. Ich bekam mit, wie meine Mitspieler zu Vertragsgesprächen bestellt wurden, auch die, die noch zwei Jahre Vertrag hatten. Nur mich sprach niemand an. Erst habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht. Ich war mir sicher, irgendwann werden die schon kommen.
Aber es kam niemand?
Ich hatte keinen Berater, an den ich mich wenden konnte, ich habe diese Sachen alle selbst erledigt. Im Sommer 1997 folgte dann Nevio Scala auf Ottmar Hitzfeld als Trainer und baute im Team einiges um. Mein Vertrag lief am Saisonende aus, aber niemand sprach mich an
Welche Erklärung hatten Sie?
Aus meiner Sicht gab es drei Möglichkeiten: 1. Sie planten nicht mehr sportlich mit mir, 2. Sie nahmen mich nicht ernst. Oder 3. Sie hatten mich schlichtweg vergessen. Was auch immer der Grund war, es gefiel mir nicht.
Haben Sie es den Verantwortlichen in dieser Form mitgeteilt?
Ich habe Manager Michael Meier angesprochen und als er mir nichts in Aussicht stelle, habe ich gesagt, dass ich mir auch gut vorstellen könne, ins Ausland zu wechseln.
Was antwortete er?
Er fragte, ob ich sicher sei, einen anderen Verein zu finden. Die Reaktion hat mich getroffen und zeigte mir: Auch wenn der BVB mein Herzensverein ist, für den ich in den Jahren zuvor fast jedes Spiel gemacht habe – hier kann ich nicht bleiben.