England hatte immer ein zutiefst gespaltenes Verhältnis zu Wayne Rooney. Das liegt an dem, was er ist, und an dem, was er nicht ist. Vor allem aber liegt es an allem, was er hätte sein sollen. Nun hat er seine Spielerkarriere beendet.
Denn selbst wer all die 36 Bücher gelesen hat, weiß nicht viel über Rooney. Löffelweise werden einem Nichtigkeiten eingetrichtert, denn ein wichtiger Aspekt des Mannes, der sich willentlich zur Ware machen ließ, ist seine fast totale persönliche Omertà, sein Schweigegelübde. Es fällt sogar schwer, aus dem Stand zu sagen, wie seine Stimme klingt. (Fürs Protokoll: dünn, flach, nasal, mit Liverpool-Akzent.) Zuerst sagte er aus Furcht und Schüchternheit so gut wie nichts, später unter dem Einfluss diverser Berater, die seine deprimierend fade und charakterfreie öffentliche Darstellung kontrollierten.
Aber so läuft das Spiel in England. Für einen Artikel wie diesen hätte ich zum Beispiel mit Rooney selbst sprechen sollen. In der Theorie klingt das gut. In der Praxis hätte es ein monatelanges Manövrieren durch den kommerziellen Kokon bedeutet, der ihn umgibt, und an dessen Ende wäre ich wahrscheinlich trotzdem gescheitert. Doch selbst wenn ich wie durch ein Wunder einen günstigen Zeitpunkt erwischt hätte oder durch pure Hartnäckigkeit und die Zusage diverser Gefallen an mein Ziel gelangt wäre, würde ein Gespräch mit Rooney mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nichts Substantielles hervorbringen. Außer vielleicht einen kurzen Hinweis am Schluss, dass er diese oder jene Schuhmarke trägt und für eine bestimmte Supermarktkette wirbt.
Geschichte der nicht eingehaltenen Versprechen
Obwohl sie in der Öffentlichkeit stehen und enorme finanzielle Forderungen stellen, reden englische Fußballer nicht. Manchmal ist man versucht zu vermuten, dass sie es gar nicht können, so vorsichtig treten sie auf, nachdem man ihnen seit frühester Jugend eingebläut hat, jedes aussagekräftige Statement zu vermeiden. In den 15 Jahren, in denen ich über Fußball schreibe, habe ich Rooney mal in einer Gruppe befragt, hielt ein anderes Mal ein Mikro unter seine Nase, während er sprach, und habe zahllose Fernsehinterviews mit ihm gesehen. Doch ich habe keine Ahnung, wie er abseits des Platzes ist. Er ist überall und doch nirgends. Hilflos greift man nach den Büchern und starrt mit leerem Blick ihre Umschläge an, nimmt einen Schluck aus seiner Wayne-Rooney-Kaffeetasse und erneuert das Pay-TV-Abo.
Wie auch immer, in jedem Fall sind wir nun endlich beim Schlusskapitel der Rooney-Saga angekommen. Im Sommer verließ er United und kehrte zu seinem Stammverein Everton zurück, mit bislang erstaunlich vielen Toren aber mit durchwachsenem Ergebnis. Rooney ist 32. Er sieht erheblich älter aus. Aber es wirkten ja auch große Fliehkräfte auf seine Laufbahn ein. An ihrem Ende wird man vielleicht sagen müssen, dass England keinen Sportler hervorgebracht hat, der so polarisierte und zur Weißglut trieb wie Rooney. Denn seine Karriere ist eine Geschichte der nicht eingehaltenen Versprechen.
„Er ist … ein Phänomen!“
„Erst 16, mit brutaler Power und furchteinflößender Geschwindigkeit. Der Junge in Männergestalt hat Nerven aus Stahl und fürchtet niemanden. Er ist Wayne Rooney. Er ist … ein Phänomen!“ Die englische Presse neigt nicht zum Understatement, und so hieß der „Daily Mirror“ Rooney im September 2002 auf typisch überhitzte Weise in der Premier League willkommen. Er war noch immer bloß eine Idee, eine leere Leinwand. Ihn umgab etwas Verlorenes und Unfertiges. So wurde aus ihm der Junge in Männergestalt, der gebrauchsfertig in irgendeinem verlassenen Stadtzentrum aus der Mülltonne gekrochen war.
Dabei war Rooney da schon seit sieben Jahre beim FC Everton. Einige Monate zuvor hatte er für Englands U17 ein Tor von frühreifer Raffinesse gegen Holland geschossen, als er einen Schuss mit links antäuschte, dann einen Haken nach rechts schlug und den Ball im Eck versenkte. Bei United würde er zu einem effektiven und vielseitigen Spieler heranwachsen, doch von Anfang an wurde er zum letzten Straßenfuß-baller hochstilisiert, zum Gossenjunge mit göttlichen Füßen.