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Emma­nuel Petit, was machen Sie denn in New York?
Ich bin sehr beschäf­tigt momentan. Ich arbeite ja seit einiger Zeit für einen fran­zö­si­schen Fern­seh­sender. Gerade drehen wir eine Doku­men­ta­tion über Thierry Henry.

Das Cham­pions-League-Halb­fi­nale zwi­schen Ihren Ex-Klubs Chelsea und Bar­ce­lona haben Sie aber gesehen?
Natür­lich.

Und? Ist das bes­sere Team ins Finale ein­ge­zogen?
Das prag­ma­ti­schere Team ist ins Finale gekommen. Bar­ce­lona war spie­le­risch in beiden Par­tien über­legen, doch phy­sisch und vor allem in der Defen­sive war Chelsea besser. Ich habe in den ver­gan­genen Jahren selten ein Team gesehen, dass beim Gegner so einen Frust her­vor­ge­rufen hat. Bar­ce­lonas Offen­sive war so gelähmt, dass sogar diese Super­spieler Andres Iniesta oder Lionel Messi daran zwei­felten, ein Tor zu schießen. Das war auf eine gewisse Art und Weise fas­zi­nie­rend.

Chelsea war in beiden Spielen kaum wie­der­zu­er­kennen. Was hat Andre Villas-Boas vorher nur falsch gemacht?
Villas-Boas hat nicht ver­standen, wie wichtig bestimmte Spieler oder Gruppen für das Team waren. Und zwar nicht nur auf dem Feld, son­dern auch abseits. Ich denke da an Didier Drogba oder Frank Lam­pard, deren Auto­rität von Villas-Boas immer wieder in Frage gestellt wurde. Er hat sie ja etliche Male auf die Bank gesetzt. Wenn die Erfolge da sind, stellt nie­mand eine solche Ent­schei­dung in Frage. Doch sie blieben aus, das Mann­schafts­ge­füge wurde von Woche zu Woche brü­chiger und Villas-Boas rannte die Zeit davon, seine Idee vom Fuß­ball zu eta­blieren.

Unter Roberto Di Matteo fand die Mann­schaft inner­halb weniger Tage zu alter Stärke zurück.
Kein Wunder, denn Di Matteo kannte die Struk­turen, die Leute, die Stadt. Er hat ja selbst mit einigen Jungs noch zusam­men­ge­spielt. Er wusste zudem, wie wichtig es ist, an ver­dienten Spieler fest­zu­halten. Di Matteos Ver­pflich­tung wurde in der Kabine sicher­lich mehr als wohl­wol­lend auf­ge­nommen.

Sie haben mit Di Matteo auch eine Saison beim FC Chelsea gespielt. Was waren seine Qua­li­täten?
Roberto war damals ein sehr zurück­hal­tender Typ, er sprach wenig. Doch wenn er etwas sagte, dann hatten seine Sätze Gewicht. Zugleich aber lag in seiner Stimme aber stets eine ange­nehme Unauf­ge­regt­heit. So ist er auch heute. Er ist jeden­falls kein Typ, der wild an der Linie her­um­ges­ti­ku­liert oder nach jedem Spiel heiße Luft fabri­ziert.

Wird er denn zu Beginn der nächsten Saison noch auf dem Trai­ner­stuhl sitzen?
Der FC Chelsea hat diese Saison in der Liga weit unter seinen Mög­lich­keiten gespielt. Der Klub ist nur Sechster geworden. Okay, der FA-Cup-Titel ist eine nette Geschichte. Doch der Anspruch von Chelsea ist ein anderer. Der Ver­bleib Di Matteos hängt somit auch vom Cham­pions-League-Finale ab, denn mit einem Sieg würde man sich wieder für den Wett­be­werb qua­li­fi­zieren.

Hat die Mann­schaft denn die Qua­lität, den FC Bayern zu schlagen?
Auf beiden Seiten fehlen ja einige Spieler gesperrt. Chelsea wird aller­dings grö­ßere Pro­bleme haben, Spieler wie John Terry, Bra­nislav Iva­novic oder Ramires adäquat zu ersetzen. Gerade Ramires ist in der zweiten Hälfte der Saison äußerst wichtig geworden. Er hat viele Liga­spiele her­aus­ra­gend gespielt. Außerdem war er im FA-Cup-Finale und für die Erfolge gegen Neapel oder Bar­ce­lona immens wichtig.

Hat Ramires end­lich sein Talent ent­deckt?
Es scheint so. Zudem hat er gemerkt, dass er in wich­tigen Par­tien tat­säch­lich den Unter­schied machen kann. Er ist ein reifer Spieler geworden.

Wie pro­ble­ma­tisch wird das Fehlen von John Terry sein?
Er ist nicht nur der Kapitän, son­dern auch ein Leader. Gemeinsam mit Petr Cech, Frank Lam­pard und Didier Drogba bildet John Terry das Rück­grat der Mann­schaft. Von daher könnte Di Matteos Stra­tegie, einem festen Kreis von Spie­lern zu ver­trauen, nun absur­der­weise nach hinten los gehen. Denn am Samstag muss er even­tuell auch Spieler aufs Feld schi­cken, die bis­lang nur in der zweiten Reihe standen.

Spre­chen wir über die Bayern: Kann Ihr Lands­mann Franck Ribery den Abend von Chelsea rui­nieren?
Nicht nur der. Mit Mario Gomez, Bas­tian Schwein­steiger und Toni Kroos haben sie starke Typen in der Mann­schaft. Über die Klasse Schwein­stei­gers ist alles gesagt, Gomez ist ein for­mi­da­bler Goal­getter und Kroos ist ein her­vor­ra­gender Pass­geber. Da ist es bei­nahe egal, dass das Angriff­spiel der Bayern ein biss­chen aus­re­chenbar ist. Es findet ja vor­nehm­lich über Arjen Robben und Franck Ribery statt, also über die Flügel. Die Offen­sive hat trotzdem eine unwahr­schein­liche Wucht. Den­noch muss ich wieder das Bar­ce­lona-Spiel anführen. Wenn Chel­seas Defen­sive Spieler wie Messi oder Iniesta stoppen kann, warum nicht auch die Bayern-Offen­sive?

Sie loben Bay­erns Offen­sive. Wie sieht es denn mit der Defen­sive aus? Dort fehlen wich­tige Spieler wie David Alaba oder Holger Bad­s­tuber.
Das wird inter­es­sant. Holger Bad­s­tu­bers Ersatz heißt ver­mut­lich Ana­tolij Tymoscht­schuk, und der hat in dieser Saison noch nicht so häufig in der Innen­ver­tei­di­gung gespielt. Das Duell gegen den aggres­siven und ent­schlos­senen Didier Drogba wird somit außer­or­dent­lich span­nend – viel­leicht das Duell des Abends, viel­leicht sogar der Schlüssel des Spiels. Alles in allem glaube ich, dass die Chancen 50 zu 50 stehen.

Die Defen­siven auf beiden Seiten wirken impro­vi­siert und damit außer­or­dent­lich fragil. Erwarten Sie ein Offen­siv­feu­er­werk?
Nein, dafür steht zu viel auf dem Spiel. Chelsea ist diese Saison mit Ach und Krach Sechster geworden, eine grau­en­hafte Saison, die man nun retten will. Auch für Bayern geht es um viel. Sie haben sich zwar wieder für die Cham­pions League qua­li­fi­ziert, doch sie sind nur Vize-Meister und Vize-Pokal­sieger geworden. Dort­mund hat sie am Ende regel­recht gede­mü­tigt. Auch sie wollen Wie­der­gut­ma­chung betreiben.

Wird dieses Finale irgend­welche Aus­wir­kungen auf die EM haben?
Ich denke schon. Gerade auf Seiten der Deut­schen. Die Bayern-Spieler bilden für gewöhn­lich den sta­bilen Rahmen der DFB-Elf. Momentan ist dieser aber leicht ange­split­tert. Es geht in diesem Finale also nicht nur darum, das eigene Image wieder auf­zu­po­lieren, son­dern auch darum, das Selbst­be­wusst­sein ver­gan­gener Tage wie­der­zu­er­langen – auch im Hin­blick auf die EM.

Seit 2003 hat Chel­seas Eigner Roman Abra­mo­witsch meh­rere hun­dert Mil­lionen Euro für Spieler aus­ge­geben. Trotzdem hat der Klub noch nie die Cham­pions League gewonnen. Woran liegt das?
Chelsea hat schlichtweg keine Kon­stanz. Seit 2003 arbeitet nun der siebte Trainer beim Klub. Dann hat Chelsea mit Roman Abra­mo­witsch einen Mann an der Spitze, der sehr tem­pe­ra­ment­voll und launig ist. Und der sich immer wieder in die Belange des Trai­ners und des Sport­di­rek­tors ein­mischt. Ver­mut­lich wird Abra­mo­witsch erst dann wieder mit seinem Trainer zufrieden sein, wenn die Mann­schaft einen inter­na­tio­nalen Titel holt. Oder kon­stant erfolg­reich spielt – wie unter Jose Mour­inho.

Können andere Klubs, wie zum Bei­spiel Paris Saint Ger­main, von den Feh­lern beim FC Chelsea lernen?
Momentan sollte sich Paris Saint Ger­main eher einige Dinge beim FC Chelsea abschauen.

Wie meinen Sie das?
Bei Chelsea hat man immer Wert darauf gelegt, ver­diente Spieler auch nach schwä­cheren Spielen nicht aus­zu­booten. Man ver­steht, dass sie Sym­bol­cha­rakter für Mann­schaft und Fans haben. Anders­herum danken es die Spieler. Auch wenn Ashely Cole vom FC Arsenal kam oder Frank Lam­pard von West Ham United, haben diese Spieler ver­standen, worum es beim FC Chelsea geht. Sie sind Chelsea-Männer, die seit Jahren über­ra­gende Leis­tungen bringen. Bei PSG ist das anders. Das beste Bei­spiel ist Mamadou Sakho. Der Spieler ist seit fünf Jahren im Verein und der her­aus­ra­gende Mann der letzten Jahre gewesen. Doch der neue Trainer Carlo Ance­lotti kaufte bei seinem Amts­an­tritt prompt zwei neue Spieler, die exakt seine Posi­tion spielen. Seitdem ist Sakho außer Form, er hat es nicht mal in den EM-Kader von Lau­rent Blanc geschafft.

Spieler wie Cole und Lam­pard, die nun schon sechs bezie­hungs­weise drei­zehn Jahre beim FC Chelsea spielen, sind aller­dings Aus­nahmen. Dass ein Spieler nach fünf Jahren Kon­kur­renz bekommt, ist nicht außer­ge­wöhn­lich.
Klar, der Fuß­ball ver­än­dert sich schnell. Spieler kommen und gehen schneller, als es früher der Fall war. Die Klubs sind große Wirt­schafts­un­ter­nehmen. Doch Geld löst eben nicht immer alle Pro­bleme. Trotz der astro­no­mi­schen Summen muss ein Klub also auf­passen, dass er dar­über nicht seinen Iden­tität ver­liert. Eine Balance zwi­schen Geld und Iden­tität zu finden ist eine fun­da­men­tale Sache im modernen Fuß­ball.

Emma­nuel Petit, werden Sie am Samstag Chelsea die Daumen drü­cken?
Ich werde weder für Chelsea noch für die Bayern sein. Ich bin für ein großes Match mit vielen Emo­tionen. Darum geht es doch im Fuß­ball, oder? Ich hoffe also, dass die Mann­schaft die Tro­phäe in den Mün­chener Himmel hebt, die das größte Spek­takel bietet.