Sören Osterland ist erst 29 Jahre alt und gilt kommender Star der deutschen Fußballtrainer. Nun assistiert er erst einmal Stefan Effenberg in Paderborn. Wie läuft’s denn so?
Sören Osterland, seit unserer letzten großen Reportage über Stefan Effenberg wissen wir, dass er nicht gerne geduzt wird. Dürfen Sie ihn denn „Tiger“ oder „Effe“ nennen?
Nein, auf die Idee käme ich auch gar nicht. Aber ich duze ihn natürlich – wie auch das restliche Trainerteam.
Hätten Sie sich vor ein paar Jahren vorstellen können, dass jemand wie Stefan Effenberg nach Paderborn geht?
Das fragen mich viele, offenbar ist es für die meisten schwer vorstellbar. Vielleicht weil er für viele wie ein Großstadttyp wirkt, Hamburg, Florenz, München. Aber wenn man ihn besser kennt, dann ist der Schritt nach Paderborn absolut nachvollziehbar. Er mag auch das Menschliche, das Familiäre, das Gemütliche.
Und sportlich? Er sagte ja immer: „Der erste Schuss muss sitzen“. Mit Verlaub: Das klang nicht nach Paderborn.
Es gab in den vergangenen Jahren einige Anfragen, aber Stefan hat immer abgelehnt. Er hat auch nie auf Teufel komm raus einen Trainerjob gesucht. Es sollte passen. Es sollte erfolgreich sein. Offenbar hat er jetzt bei Paderborn das Gefühl, dass es das werden kann.
Was verbindet Sie und Stefan Effenberg?
Ich bin erfolgsorientiert, Stefan sowieso. So war er als Spieler, und als Trainer ist er nicht anders.
Ihr Lebensmotto „Durchschnitt ist für andere“ könnte auch gut der Titel für ein neues Effenberg-Buch sein.
Das mag ein bisschen hochtrabend klingen, so soll es aber nicht gemeint sein. Durchschnitt heißt eben nicht maximaler Erfolg. Ich will mich nicht an der Mitte, sondern am Besten orientieren und darauf hinarbeiten. Mit dem Wissen, dass so was natürlich nicht von jetzt auf gleich geht.
Wie lange mussten Sie eigentlich überlegen, nachdem Effenberg Sie als Co-Trainer angefragt hatte?
Keine Sekunde. Ich war eigentlich noch in Ungarn beim Verband angestellt (als Trainer der ungarischen U19-Nationalmannschaft, d. Red.). Das war auch eine gute Erfahrung, aber so ein Angebot konnte ich nicht ausschlagen. Zumal Stefan und ich seit unserer gemeinsamen Zeit beim Trainerlehrgang im Jahr 2012 ein sehr gutes Verhältnis haben.
Effenberg sagte bei seiner ersten Pressekonferenz, dass Sie in Trainerlehrgang auffielen, weil Sie besonders schnell am Laptop arbeiten. Er fügte aber an, dass er bei den Klausuren im Trainerlehrgang nie bei Ihnen abgeschrieben habe. Stimmt das?
(Lacht.) Absolut. Wir hätten eh keine Chance gehabt, dafür waren die Dozenten viel zu aufmerksam. Es ging eher darum, dass wir im Unterricht auch mal Sachen am Computer bearbeiten mussten und ich da vielleicht geübter bin als Stefan. Aber bitte stellen Sie sich jetzt keinen Computer-Nerd vor. Es ist jedenfalls nicht so, dass ich den ganzen Tag mit dem Laptop rumrenne, Zettel und Stift sind mir fast lieber.
Mehmet Scholl, mit dem Sie auch schon zusammengearbeitet haben, verwendete neulich den Begriff „Laptop-Trainer“. Was halten Sie davon?
Ich weiß natürlich, was er damit sagen wollte. Es ging ihm um eine zunehmende Theoretisierung des Fußballs. Wobei auch Mehmet weiß, dass es beides braucht: die Theorie und die Praxis, den Laptop und den Trainingsplatz. Und auch wenn ich im Gegensatz zu Stefan und Mehmet eher aus der Theorie komme, weiß ich, dass man nicht alles mit einer Maschine lösen kann. Im Übrigen hat Mehmet auch einen Laptop. (Lacht.)
Sprechen wir über Ihre Karriere. Sie waren einst auf dem Weg zum Fußballprofi, haben mit Optik Rathenow in der Oberliga und in der Zweiten Mannschaft des 1. FC Magdeburg gespielt. Warum hat es nicht zu mehr gereicht?
Ich habe mir auf dem Platz zu viele Gedanken gemacht.
Es gilt also tatsächlich die alte Gerd-Müller-Weisheit „Wenn’s denkst, ist’s eh zu spät!“?
Absolut. Wenn du übers Feld läufst und die ganze Zeit darüber grübelst, was wer wie besser machen kann, dann ist das leistungshemmend. Manchmal muss man sich auf Instinkte verlassen. Aber das, was mir als Spieler gefehlt hat, ist jetzt in der Trainerposition förderlich. Jetzt ist es vorteilhaft, wenn ich mir ausgiebige Gedanken über ein Gebilde wie eine Fußballmannschaft mache.
War es denn Ihr Traum, Profifußballer zu werden?
Ich wollte immer etwas mit Fußball zu tun haben. Vielleicht hätte es als Spieler auch für die Dritte Liga gereicht. Aber die Chance, im Fußball tätig zu sein, habe ich in der Trainertätigkeit als größer eingeschätzt.
Zwischen 2006 und 2011 arbeiteten Sie als Trainer der U17-Teams in Magdeburg und Leipzig. 2011/12 absolvierten Sie den Trainerlehrgang in Hennef. Waren Sie der Exot des Jahrgangs?
Anfangs. An dem Lehrgang nahmen ja nicht nur Mehmet Scholl und Stefan Effenberg teil, sondern auch Jörg Heinrich, Christian Wörns und andere ehemalige Bundesligaprofis. Ich war da ein Nobody. Aber ich habe das auch als Chance begriffen. Schließlich konnte ich dadurch enorm viel über Dinge erfahren, die ich bis dato nicht kannte. Was macht ein Champions-League-Finale aus? Was kennzeichnet die Arbeit von einem Ottmar Hitzfeld?
Wie verlief Ihr erster Tag?
Ich kam als jüngster Lehrgangsteilnehmer in den Klassenraum und blickte in die Gesichter von Ex-Profis, die früher als Poster über meinem Bett hingen. Ich kannte also fast alle – aber niemand kannte mich. Dementsprechend seltsam war die Situation, und natürlich war ich auch ein wenig zurückhaltend und habe das Ganze erst einmal aus der Distanz betrachtet.
Wie haben Sie das Eis gebrochen?
Der Platz neben Mehmet und Stefan war frei, vielleicht hat sich niemand getraut, dort Platz zu nehmen. Also setzte ich mich dorthin. Und irgendwann ist es wie in der Schule, du lernst gemeinsam, verbringst die Pausen zusammen oder plauderst auch mal über Dinge abseits des Lehrstoffs.
Sie haben den Lehrgang mit der Note 1,0 als Zweitbester abgeschlossen. Sind Sie sehr fleißig gewesen oder fiel Ihnen alles zu?
Im Abi lief es ja ähnlich. Daher liegt natürlich der Verdacht nahe, dass ich ein typischer Streber bin. Aber das ist eigentlich gar nicht meine Mentalität.
Sondern?
Ich bin sehr ehrgeizig und zielstrebig, aber ich bin keiner, der 24 Stunden über Büchern hockt. Ich habe das Glück, dass mir das Lernen recht leicht fällt.
Ihre Banknachbarn Effenberg und Scholl waren offenbar Fans von Ihnen. Beide verpflichteten Sie später als Co-Trainer. Können Sie das erklären?
Fußballprofis sind darauf gepolt, maximalen Erfolg zu haben. Ihre Hauptfrage lautet: Wie muss ich mein Team bauen, um diesen maximalen Erfolg zu erzielen? Sie wissen, dass es dazu eine gute Mischung braucht und nicht 20 identische Typen. Gerade Ex-Profis umgeben sich also mit Leuten, die von außen andere und ergänzende Dinge in das Team bringen, etwa eine menschliche Komponente oder einen theoretischen Ansatz. In dieses Raster passe ich offenbar rein. Ich habe weder Champions League noch Nationalmannschaft gespielt, aber ich habe Erfahrungswerte, die einem Team in anderer Hinsicht weiterhelfen können.
Unter Scholl waren Sie Co-Trainer bei der Zweiten Mannschaft des FC Bayern. Wieso blieben Sie nur ein Jahr?
Mehmet Scholl beendete im Sommer 2013 seine Tätigkeit beim FC Bayern, weil er sich mehr auf seine Arbeit beim Fernsehen konzentrieren wollte. Ich bekam das Angebot, unter einem neuen Chef als Assistent zu bleiben. Zeitgleich kam aber jenes, bei Hannover 96 die U23 als Chefcoach zu übernehmen. Seien Sie sicher, damals habe ich länger über meine Entscheidung nachgedacht als diesmal bei Paderborn. Einen Job beim großen FC Bayern – und sei es nur als Co-Trainer der Zweiten Mannschaft – gibt man eigentlich nicht so schnell auf. Schließlich aber fand ich auch Hannover interessant, ich wollte neue Aufgaben, neue Herausforderungen, neue Reize. Mit 27 einen Cheftrainerposten zu bekommen, das ist ja auch eine große Chance.
Zwei Jahre später wurden Sie entlassen, weil Sie erst 29 waren.
Ich bin offenbar langsamer gealtert als erwartet. (Lacht.) Es stimmt jedenfalls, die Verantwortlichen meinten plötzlich, ich sei zu jung. Ich habe dieses Argument bis heute nicht richtig verstanden. Aber ich bin weder nachtragend, noch beschäftigt mich das heute großartig. Manchmal ist es eben so, dass Vereine ihre Philosophien ändern, ein Trainer muss das akzeptieren.
Haben Sie sich jemals zu jung gefühlt?
Eigentlich nicht. Ich hatte jedenfalls nie das Gefühl, an Grenzen zu stoßen oder überfordert zu sein. Natürlich machte ich in den ersten Jahren etliche neue Erfahrungen, sei es bei der U17 in Magdeburg, der U17 bei RB Leipzig oder den Zweiten Mannschaften des FC Bayern oder Hannover 96. Ich lernte jeden Tag, im Umgang mit Spielern, mit Vereinsmitarbeitern oder mit Medien.
Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Pressekonferenz?
Das war nach einem Spiel in Eltersdorf. Die Pressekonferenz fand draußen in aller Öffentlichkeit vor 1000 Fans statt, die vor allem auf einen warteten: Mehmet Scholl.
Wo war er denn?
Es war eiskalt an dem Tag, und Mehmet hatte keine Lust. Vielleicht wollte er mich aber auch nur mal testen, als er sagte: „Sören, du machst das heute!“ Da stand ich dann und blickte in enttäuschte Augen. Sofort gingen die „Mehmet“-Rufe der Fans los, und ich fragte: „Geht’s um Fußball oder um Gesichter?“ Das war tatsächlich mein erster Satz in einer Pressekonferenz.
Verstummten die „Mehmet“-Rufe danach?
Ja. Und das war ein gutes Gefühl. Es ließ mich entspannter und selbstbewusster werden.
Heute sollte es Ihnen an Selbstbewusstsein nicht mangeln. Was denken Sie, wenn eine Zeitung wie die „Welt“ vom „Wundertrainer“ Sören Osterland schreibt?
Das sind natürlich positive Sachen, die vor allem meine Eltern wahnsinnig stolz machen. Ich weiß aber ganz genau, dass ich mich noch beweisen muss. Ich bin selbstbewusst, aber nicht abgehoben. Und ich finde mich auch nicht so geil, dass ich täglich meinen Namen googeln und alle Artikel lesen muss.