Sören Oster­land, seit unserer letzten großen Repor­tage über Stefan Effen­berg wissen wir, dass er nicht gerne geduzt wird. Dürfen Sie ihn denn Tiger“ oder Effe“ nennen?
Nein, auf die Idee käme ich auch gar nicht. Aber ich duze ihn natür­lich – wie auch das rest­liche Trai­ner­team.

Hätten Sie sich vor ein paar Jahren vor­stellen können, dass jemand wie Stefan Effen­berg nach Pader­born geht?
Das fragen mich viele, offenbar ist es für die meisten schwer vor­stellbar. Viel­leicht weil er für viele wie ein Groß­stadttyp wirkt, Ham­burg, Flo­renz, Mün­chen. Aber wenn man ihn besser kennt, dann ist der Schritt nach Pader­born absolut nach­voll­ziehbar. Er mag auch das Mensch­liche, das Fami­liäre, das Gemüt­liche.

Und sport­lich? Er sagte ja immer: Der erste Schuss muss sitzen“. Mit Ver­laub: Das klang nicht nach Pader­born.
Es gab in den ver­gan­genen Jahren einige Anfragen, aber Stefan hat immer abge­lehnt. Er hat auch nie auf Teufel komm raus einen Trai­nerjob gesucht. Es sollte passen. Es sollte erfolg­reich sein. Offenbar hat er jetzt bei Pader­born das Gefühl, dass es das werden kann.

Was ver­bindet Sie und Stefan Effen­berg?
Ich bin erfolgs­ori­en­tiert, Stefan sowieso. So war er als Spieler, und als Trainer ist er nicht anders.

Ihr Lebens­motto Durch­schnitt ist für andere“ könnte auch gut der Titel für ein neues Effen­berg-Buch sein.
Das mag ein biss­chen hoch­tra­bend klingen, so soll es aber nicht gemeint sein. Durch­schnitt heißt eben nicht maxi­maler Erfolg. Ich will mich nicht an der Mitte, son­dern am Besten ori­en­tieren und darauf hin­ar­beiten. Mit dem Wissen, dass so was natür­lich nicht von jetzt auf gleich geht.

Wie lange mussten Sie eigent­lich über­legen, nachdem Effen­berg Sie als Co-Trainer ange­fragt hatte?
Keine Sekunde. Ich war eigent­lich noch in Ungarn beim Ver­band ange­stellt (als Trainer der unga­ri­schen U19-Natio­nal­mann­schaft, d. Red.). Das war auch eine gute Erfah­rung, aber so ein Angebot konnte ich nicht aus­schlagen. Zumal Stefan und ich seit unserer gemein­samen Zeit beim Trai­ner­lehr­gang im Jahr 2012 ein sehr gutes Ver­hältnis haben.

Effen­berg sagte bei seiner ersten Pres­se­kon­fe­renz, dass Sie in Trai­ner­lehr­gang auf­fielen, weil Sie beson­ders schnell am Laptop arbeiten. Er fügte aber an, dass er bei den Klau­suren im Trai­ner­lehr­gang nie bei Ihnen abge­schrieben habe. Stimmt das?
(Lacht.) Absolut. Wir hätten eh keine Chance gehabt, dafür waren die Dozenten viel zu auf­merksam. Es ging eher darum, dass wir im Unter­richt auch mal Sachen am Com­puter bear­beiten mussten und ich da viel­leicht geübter bin als Stefan. Aber bitte stellen Sie sich jetzt keinen Com­puter-Nerd vor. Es ist jeden­falls nicht so, dass ich den ganzen Tag mit dem Laptop rum­renne, Zettel und Stift sind mir fast lieber.

Mehmet Scholl, mit dem Sie auch schon zusam­men­ge­ar­beitet haben, ver­wen­dete neu­lich den Begriff Laptop-Trainer“. Was halten Sie davon?
Ich weiß natür­lich, was er damit sagen wollte. Es ging ihm um eine zuneh­mende Theo­re­ti­sie­rung des Fuß­balls. Wobei auch Mehmet weiß, dass es beides braucht: die Theorie und die Praxis, den Laptop und den Trai­nings­platz. Und auch wenn ich im Gegen­satz zu Stefan und Mehmet eher aus der Theorie komme, weiß ich, dass man nicht alles mit einer Maschine lösen kann. Im Übrigen hat Mehmet auch einen Laptop. (Lacht.)

Spre­chen wir über Ihre Kar­riere. Sie waren einst auf dem Weg zum Fuß­ball­profi, haben mit Optik Rathenow in der Ober­liga und in der Zweiten Mann­schaft des 1. FC Mag­de­burg gespielt. Warum hat es nicht zu mehr gereicht?
Ich habe mir auf dem Platz zu viele Gedanken gemacht.

Es gilt also tat­säch­lich die alte Gerd-Müller-Weis­heit Wenn’s denkst, ist’s eh zu spät!“?
Absolut. Wenn du übers Feld läufst und die ganze Zeit dar­über grü­belst, was wer wie besser machen kann, dann ist das leis­tungs­hem­mend. Manchmal muss man sich auf Instinkte ver­lassen. Aber das, was mir als Spieler gefehlt hat, ist jetzt in der Trai­ner­po­si­tion för­der­lich. Jetzt ist es vor­teil­haft, wenn ich mir aus­gie­bige Gedanken über ein Gebilde wie eine Fuß­ball­mann­schaft mache.

War es denn Ihr Traum, Pro­fi­fuß­baller zu werden?
Ich wollte immer etwas mit Fuß­ball zu tun haben. Viel­leicht hätte es als Spieler auch für die Dritte Liga gereicht. Aber die Chance, im Fuß­ball tätig zu sein, habe ich in der Trai­ner­tä­tig­keit als größer ein­ge­schätzt.

Zwi­schen 2006 und 2011 arbei­teten Sie als Trainer der U17-Teams in Mag­de­burg und Leipzig. 2011/12 absol­vierten Sie den Trai­ner­lehr­gang in Hennef. Waren Sie der Exot des Jahr­gangs?
Anfangs. An dem Lehr­gang nahmen ja nicht nur Mehmet Scholl und Stefan Effen­berg teil, son­dern auch Jörg Hein­rich, Chris­tian Wörns und andere ehe­ma­lige Bun­des­li­ga­profis. Ich war da ein Nobody. Aber ich habe das auch als Chance begriffen. Schließ­lich konnte ich dadurch enorm viel über Dinge erfahren, die ich bis dato nicht kannte. Was macht ein Cham­pions-League-Finale aus? Was kenn­zeichnet die Arbeit von einem Ottmar Hitz­feld?

Wie ver­lief Ihr erster Tag?
Ich kam als jüngster Lehr­gangs­teil­nehmer in den Klas­sen­raum und blickte in die Gesichter von Ex-Profis, die früher als Poster über meinem Bett hingen. Ich kannte also fast alle – aber nie­mand kannte mich. Dem­entspre­chend seltsam war die Situa­tion, und natür­lich war ich auch ein wenig zurück­hal­tend und habe das Ganze erst einmal aus der Distanz betrachtet.

Wie haben Sie das Eis gebro­chen?
Der Platz neben Mehmet und Stefan war frei, viel­leicht hat sich nie­mand getraut, dort Platz zu nehmen. Also setzte ich mich dorthin. Und irgend­wann ist es wie in der Schule, du lernst gemeinsam, ver­bringst die Pausen zusammen oder plau­derst auch mal über Dinge abseits des Lehr­stoffs.

Sie haben den Lehr­gang mit der Note 1,0 als Zweit­bester abge­schlossen. Sind Sie sehr fleißig gewesen oder fiel Ihnen alles zu? 
Im Abi lief es ja ähn­lich. Daher liegt natür­lich der Ver­dacht nahe, dass ich ein typi­scher Streber bin. Aber das ist eigent­lich gar nicht meine Men­ta­lität.

Son­dern?
Ich bin sehr ehr­geizig und ziel­strebig, aber ich bin keiner, der 24 Stunden über Büchern hockt. Ich habe das Glück, dass mir das Lernen recht leicht fällt.

Ihre Bank­nach­barn Effen­berg und Scholl waren offenbar Fans von Ihnen. Beide ver­pflich­teten Sie später als Co-Trainer. Können Sie das erklären?
Fuß­ball­profis sind darauf gepolt, maxi­malen Erfolg zu haben. Ihre Haupt­frage lautet: Wie muss ich mein Team bauen, um diesen maxi­malen Erfolg zu erzielen? Sie wissen, dass es dazu eine gute Mischung braucht und nicht 20 iden­ti­sche Typen. Gerade Ex-Profis umgeben sich also mit Leuten, die von außen andere und ergän­zende Dinge in das Team bringen, etwa eine mensch­liche Kom­po­nente oder einen theo­re­ti­schen Ansatz. In dieses Raster passe ich offenbar rein. Ich habe weder Cham­pions League noch Natio­nal­mann­schaft gespielt, aber ich habe Erfah­rungs­werte, die einem Team in anderer Hin­sicht wei­ter­helfen können.

Unter Scholl waren Sie Co-Trainer bei der Zweiten Mann­schaft des FC Bayern. Wieso blieben Sie nur ein Jahr?
Mehmet Scholl been­dete im Sommer 2013 seine Tätig­keit beim FC Bayern, weil er sich mehr auf seine Arbeit beim Fern­sehen kon­zen­trieren wollte. Ich bekam das Angebot, unter einem neuen Chef als Assis­tent zu bleiben. Zeit­gleich kam aber jenes, bei Han­nover 96 die U23 als Chef­coach zu über­nehmen. Seien Sie sicher, damals habe ich länger über meine Ent­schei­dung nach­ge­dacht als diesmal bei Pader­born. Einen Job beim großen FC Bayern – und sei es nur als Co-Trainer der Zweiten Mann­schaft – gibt man eigent­lich nicht so schnell auf. Schließ­lich aber fand ich auch Han­nover inter­es­sant, ich wollte neue Auf­gaben, neue Her­aus­for­de­rungen, neue Reize. Mit 27 einen Chef­trai­ner­posten zu bekommen, das ist ja auch eine große Chance.

Zwei Jahre später wurden Sie ent­lassen, weil Sie erst 29 waren.
Ich bin offenbar lang­samer geal­tert als erwartet. (Lacht.) Es stimmt jeden­falls, die Ver­ant­wort­li­chen meinten plötz­lich, ich sei zu jung. Ich habe dieses Argu­ment bis heute nicht richtig ver­standen. Aber ich bin weder nach­tra­gend, noch beschäf­tigt mich das heute groß­artig. Manchmal ist es eben so, dass Ver­eine ihre Phi­lo­so­phien ändern, ein Trainer muss das akzep­tieren.

Haben Sie sich jemals zu jung gefühlt?
Eigent­lich nicht. Ich hatte jeden­falls nie das Gefühl, an Grenzen zu stoßen oder über­for­dert zu sein. Natür­lich machte ich in den ersten Jahren etliche neue Erfah­rungen, sei es bei der U17 in Mag­de­burg, der U17 bei RB Leipzig oder den Zweiten Mann­schaften des FC Bayern oder Han­nover 96. Ich lernte jeden Tag, im Umgang mit Spie­lern, mit Ver­eins­mit­ar­bei­tern oder mit Medien.

Erin­nern Sie sich noch an Ihre erste Pres­se­kon­fe­renz?
Das war nach einem Spiel in Elters­dorf. Die Pres­se­kon­fe­renz fand draußen in aller Öffent­lich­keit vor 1000 Fans statt, die vor allem auf einen war­teten: Mehmet Scholl.

Wo war er denn?
Es war eis­kalt an dem Tag, und Mehmet hatte keine Lust. Viel­leicht wollte er mich aber auch nur mal testen, als er sagte: Sören, du machst das heute!“ Da stand ich dann und blickte in ent­täuschte Augen. Sofort gingen die Mehmet“-Rufe der Fans los, und ich fragte: Geht’s um Fuß­ball oder um Gesichter?“ Das war tat­säch­lich mein erster Satz in einer Pres­se­kon­fe­renz.

Ver­stummten die Mehmet“-Rufe danach?
Ja. Und das war ein gutes Gefühl. Es ließ mich ent­spannter und selbst­be­wusster werden.

Heute sollte es Ihnen an Selbst­be­wusst­sein nicht man­geln. Was denken Sie, wenn eine Zei­tung wie die Welt“ vom Wun­der­trainer“ Sören Oster­land schreibt?
Das sind natür­lich posi­tive Sachen, die vor allem meine Eltern wahn­sinnig stolz machen. Ich weiß aber ganz genau, dass ich mich noch beweisen muss. Ich bin selbst­be­wusst, aber nicht abge­hoben. Und ich finde mich auch nicht so geil, dass ich täg­lich meinen Namen goo­geln und alle Artikel lesen muss.