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Seite 2: Trüffel-Risotto im „Il Gatto Nero“

18. Juni 1990, 19:36 Uhr, Bespre­chungs­raum, Cas­tello di Casiglio
Günter Her­mann hat noch nie ein Län­der­spiel gemacht, doch seit Monaten weiß er, dass er mit zur WM fährt. Der Kaiser hat es ihm im Ver­trauen gesagt, weil der Bremer der ideale Team­player ist. Einer, der funk­tio­niert, wenn man ihn braucht, aber sonst keinen Ärger macht. Brehme ist nach zwei Gelben Karten fürs letzte Grup­pen­spiel gegen Kolum­bien gesperrt. Schlägt nun Her­manns große Stunde? Becken­bauer erwägt ihn als Links­ver­tei­diger ein­zu­setzen. Er will es nur mit dem Spie­lerrat bespre­chen: Augen­thaler, Mat­thäus, Klins­mann und Völler. Letzter ist als Ex-Bremer auf Her­manns Seite, die anderen jedoch prä­fe­rieren Hansi Pflügler – und besie­geln damit das Schicksal des genüg­samen Ober­neu­län­ders: als Welt­meister ohne Ein­satz“.

20. Juni 1990, 4:59 Uhr, Restau­rant Il Gatto Nero
Lothar Mat­thäus wohnt in Cari­mate, etwa 20 Kilo­meter von Erba ent­fernt. Mit seinem Peu­geot 205 macht er die Gegend unsi­cher. Nicht jeder steigt gern bei ihm ein, denn der Kapitän neigt zu wag­hal­sigen Fahr­ma­nö­vern. Aber Frank Mill, Thomas Bert­hold, Andy Brehme und Rudi Völler wagen es nach dem letzten Grup­pen­spiel gegen Kolum­bien. Und müssen ihre Ent­schei­dung nicht bereuen. Wirt Fausto im Restau­rant Il Gatto Nero“ zau­bert ein Trüffel-Risotto und holt seine besten Tropfen aus dem Keller. Und erst als der Morgen graut, schlei­chen sich die Natio­nal­spieler aus der Edel-Taverne hoch überm Comer See. Auf die Frage nach der Rech­nung, winkt Fausto gütig ab: Er möchte nur ein Erin­ne­rungs­foto mit den Spie­lern.

21. Juni 1990, 12:07 Uhr, Cas­tello di Casiglio
Das DNF ist da. Litt­barski und Bodo Ill­gner haben eine TV-Kamera und ein Mikrofon geka­pert und schalten sich als Deut­sches Natio­nalelf Fern­sehen“ in die Pres­se­runde mit dem Team­chef ein. Frage: Wel­ches Team war besser: 1974 oder 1990?“ Becken­bauer: Die 74er-Elf ist älter.“ Frage an den neben ihm sit­zenden Udo Lattek: Was würden Sie in dieser Mann­schaft ändern?“ Lattek geis­tes­ge­gen­wärtig: Ich würde immer Litt­barski spielen lassen.“ Letzte Frage an den Team­chef: Und: Spielt der im nächsten Match?“ Becken­bauer winkt ab.

1990 HM WM90 Erba Litti 260690 WEB

Deut­sches Natio­nalelf Fern­sehen: Pierre Litt­barski mimt im Quar­tier den Reporter. Udo Lattek freut’s!

Horst­müller

Wehe, Töppi, Du sen­dest die fal­sche MAZ“

21. Juni 1990, 18:34 Uhr, Erba, Hoteltor
ZDF-Reporter Rolf Töp­per­wien hält Lothar Mat­thäus durch den guss­ei­sernen Zaun ein Mikrofon unter die Nase. Er möchte vom Kapitän eine Ein­schät­zung zum kom­menden Ach­tel­final-Gegner. Pro­blem: Gegen wen die deut­sche Elf spielt, ent­scheidet sich erst am späten Abend in der Partie Nie­der­lande gegen Irland. Also zeichnet der TV-Mann zwei O‑Töne auf: Einmal spricht Mat­thäus über die Her­aus­for­de­rung, gegen die Iren ran­zu­müssen, dann über das harte Los, schon jetzt auf den Erz­ri­valen Hol­land zu treffen. Als die Auf­zeich­nung im Kasten ist, grinst Mat­thäus: Aber wehe, Töppi, Du sen­dest nachher die fal­sche MAZ…“

24. Juni 1990, 21:26 Uhr, Sta­di­on­ka­ta­komben, San Siro, Mai­land
Rudi Völler ist nun doch die Hand aus­ge­rutscht. Nachdem ihm der Nie­der­länder Frank Rij­kaard auf dem Rasen zwei Mal im Nacken den Minipli benetzt hat und die Streit­hähne für ihren Kon­flikt vom Platz müssen, über­kommt den Deut­schen im Halb­dunkel des Spie­ler­tun­nels blinde Wut. Rij­kaard weicht Völ­lers zweitem Jab aus, hebt die Deckung, nimmt dann aber Reißaus. Der Deut­sche rennt ihm nach, erreicht ihn nicht und trom­melt schließ­lich gegen die Kabi­nentür, hinter der sich der Nie­der­länder ver­schanzt. Als kurz darauf die Mann­schaften zum Pau­sentee kommen, flammen im Gang erneute Schar­mützel auf. Vor der Umkleide der Efltal“ wird im Dut­zend geran­gelt. Mitten im Rudel steht Paul Steiner: Wenn sowas pas­sierte, war ich immer vorne dabei. Und an dem Tag war jedes oran­gene Trikot wie ein rotes Tuch.“

Kaffee und Kuchen im Eltern­haus Riedle

25. Juni 1990, Anhö­rungs­saal, FIFA-Sport­ge­richt
Rudi Völler wird wegen der Ereig­nisse im Ach­tel­fi­nale vom Richter für das WM-Vier­tel­fi­nale gesperrt. Lothar Mat­thäus hat ihn in die Haupt­stadt begleitet, um als Zeuge aus­zu­sagen. Nach der Ver­hand­lung wollen die beiden eigent­lich zurück zum Flug­hafen fahren, aber, ver­dammt, der zähl­flüs­sige Ver­kehr in Rom, dann müssen sie noch in Völ­lers Lieb­ling­s­trat­toria schnell einen Happen essen und über­haupt, die Zeit… Lange Rede, kurzer Sinn: Sie ver­passen den Flug und machen sich einen schönen Abend in der ewigen Stadt.

26. Juni 1990, Eltern­haus Riedle, Weiler im Allgäu
DFB-Pres­se­spre­cher Wolf­gang Niers­bach hat Karl-Heinz Riedle seinen Dienst­wagen geliehen. Bis zum Vier­tel­fi­nale gegen die Tsche­cho­slo­wakei bleibt den Spie­lern eine Woche Zeit. Niers­bach geht davon aus, dass Riedle die Region um den Comer See erkunden will. Doch der hat seinen Bremer Kumpel Günter Her­mann gefragt, ob der nicht Lust auf eine kleine Spritz­tour habe – und ist mit ihm zu seinen Eltern ins Allgäu gefahren. Dort sitzen die Natio­nal­spieler nun auf dem hei­mi­schen Sofa und werden mit Kuchen bewirtet. Als der Stürmer den Wagen tags drauf zurück­bringt, traut Niers­bach seinen Augen nicht: Der Tacho zeigt knapp tau­send Kilo­meter mehr als bei der Abho­lung. Nicht aus­zu­denken, wenn da etwas pas­siert wäre“, schlägt Niers­bach noch heute die Hände überm Kopf zusammen.