Verletzungsbedingte Ausfälle gefallen niemanden – am allerwenigsten den Spielern und Vereinen selbst. Darum werden vielfältige Maßnahmen ergriffen, um ihre Zahl gering zu halten. Trotzdem hüllen sich viele Klubs in Schweigen.
Jeder Fan, jeder Spieler und jeder Trainer fürchtet es. Das Verletzungspech sorgt dafür, dass Samstag für Samstag Dutzende Spieler nicht auflaufen können. Ganz verhindern lassen sich die Blessuren im Leistungssport nie. Doch die Vereine unternehmen viel, um das Risiko so gering wie möglich zu halten.
Gehadert wird trotzdem. Besonders häufig war das zuletzt bei Werder Bremen der Fall. Außergewöhnlich viele und langwierige Verletzungen in den vergangenen beiden Spielzeiten haben dazu geführt, dass die Liste der Ausfälle zeitweise fast genau so lang war wie die der nominierten Akteure. Werders Geschäftsführer Klaus Allofs hat angekündigt, die Ursachen erforschen zu wollen – Ergebnis noch offen. Viele Fans jedenfalls beäugen vor allem die Arbeit der medizinischen Abteilung kritisch. Aber was können die Ärzte wirklich für die Verletzungsstatistiken?
Von 18 Klubs antworten nur vier
Auffällig ist, dass die Bundesligisten mit Auskünften über ihre Maßnahmen zur Verletzungsvorbeugung äußerst vorsichtig sind. Selbst allgemeine Nachfragen werden abgeblockt, als ginge es um taktische Details im Spiel des Jahres. Von den 18 Erstligisten machten lediglich vier Angaben über ihr Vorgehen – einer davon anonym. Ein weiterer Klub zog einen zuvor angebotenen Interviewtermin nachträglich noch zurück.
Woher rührt diese Geheimniskrämerei? Verfügen die Vereine über eigene fortgeschrittene Kenntnisse, die sie der Konkurrenz nicht mitteilen wollen? Das ist, bei aller Professionalität, unwahrscheinlich. Denn die wichtigsten medizinischen Forschungserfolge gelingen immer noch im Bereich der Universitäten und Kliniken. Zudem bilden die Klubs ihre Ärzte nicht selbst aus, sondern setzen in der Regel auf externe Fachkräfte.
Wenn Journalisten zu Hobbyärzten werden
Auch bei Verletzungen ist das Vorgehen nicht immer gleich. Natürlich ist das öffentliche Interesse nicht derart, dass es die ärztliche Schweigepflicht außer Kraft setzen würde. Interessant ist aber, wie unterschiedlich das in der Praxis aussieht: Mal werden die Blessuren so detailliert kommuniziert, dass alle Sportjournalisten zu Hobbyärzten werden – siehe Ballacks Wade 2006. In anderen Fällen, wie bei Tim Borowski, bleiben die Medien teils wochenlang im Unklaren über die genaue Einordnung der Beschwerden.
In erster Linie geht es wohl darum, sich nicht angreifbar zu machen, für den Fall einer Verletzungsserie. Denn komplett ausschließen lässt sich so etwas nie. Daraus folgt die Frage: Lassen die Zahl der Verletzten und die Ausfalldauer überhaupt Rückschlüsse auf die Qualität der Vorbeugung zu? Gerade bei diesem Aspekt zeigten sich die Vereine wortkarg.
Dr. Henning Ott, Mannschaftsarzt der TSG Hoffenheim, hält die Kriterien als Anhaltspunkte immerhin für berechtigt, schränkt aber gleichzeitig ein: „Letztendlich kann man die medizinische Abteilung daran bewerten. Ursache und Verlauf einer Verletzung sind aber nicht immer von uns beeinflussbar.“ Am wichtigsten sei es, dem Druck auf eine möglichst schnelle Rückkehr zu widerstehen.
„Die Spieler betreiben Raubbau an ihrer Gesundheit.“
Exakt darin sieht Prof. Dr. Ingo Froböse von der Sporthochschule Köln das Problem. Er beklagte gegenüber der Agentur dapd jüngst: „Die Spieler betreiben Raubbau an ihrer Gesundheit.“ Er vermutet, dass jede vierte Fußballerverletzung eine wiederkehrende Beschädigung ist. Seiner Meinung nach stecken dahinter die Trainer, die die Belastung unter dem Leistungsdruck des Geschäfts zu schnell wieder steigern. Mit diesen Äußerungen hat sich Froböse in den Klubs verständlicherweise keine Freunde gemacht. Doch schon 2008 beklagte Schmerzforscher Prof. Dr. Toni Graf-Baumann, dass der Umgang mit Schmerzmitteln zu leichtfertig sei.
Bremens Mannschaftsarzt Dr. Götz Dimanski reagierte in der „Kreiszeitung“ auf Froböses Behauptungen: „In dem Augenblick, in dem zehn Medien über eine Verletzung berichten, fühlt es sich an wie zehn Verletzungen. Wenn ich die seriösen Statistiken über Verletzungshäufigkeit‑, ‑verteilung und ‑dauer zu Grunde lege, dann entdecke ich ganz akzeptable Ergebnisse für Werder.“ Die Anzahl der Profispieler sei zudem zu gering, um statistische Erkenntnisse ableiten zu können.
„90 Minuten sind für junge Spieler grenzwertig.“
Über die Belastung von 34 Ligaspielen im Jahr plus Europapokal- und Länderspieleinsätze mag sich mit Verweis auf die Trainingssteuerung jedenfalls kein Verein so richtig beschweren. Einige Mediziner nehmen sie aber zumindest mit einer gewissen Skepsis wahr. „Das ist grenzwertig, insbesondere für sehr junge Spieler und solche, die meist die kompletten 90 Minuten spielen“, sagt etwa Hoffenheims Dr. Ott.
Sicher ist: Das, was die Vereine regeln können, regeln sie auch – was es umso überraschender macht, dass so wenige Auskunft geben. Der Zufall soll so gut es geht aus der Gleichung gestrichen werden. Ernährungspläne sind daher in der Bundesliga ebenso Alltag wie Zusatzversicherungen und Trainingsübungen, die ausschließlich der Prophylaxe dienen.
Koordination, Handlungsschnelligkeit, Stabilität und Selbstwahrnehmung des Körpers werden gezielt geschult, um Verletzungen zu verhindern. Geschwindigkeits‑, Gewichts- und Laktattests sind nur einige von vielen Methoden zur Erfassung der individuellen Belastung der Spieler. Die therapeutischen Einrichtungen der Klubs reichen von Eisbecken und Saunen über Magnetfeldmatten bis hin zu Kältekammern und Hypoxie-Räumen. Die Bundesliga gleicht mancherorts einem Hightech-Zentrum.
In Leverkusen ist der Ernährungsplan nur freiwillig
Doch nicht zuletzt vertrauen die Vereine auch auf die Professionalität ihrer Spieler. Bei Bayer Leverkusen etwa ist zwar die Nutzung der Einrichtungen verpflichtend, die Einhaltung der Ernährungsempfehlungen aber wird nicht kontrolliert. Ebenso heißt es aus Kaiserslautern: „Die professionelle Einstellung zum Beruf wird gefordert, geschult und trainiert.“ In Hoffenheim erhält jeder Spieler mindestens ein Mal pro Spielzeit eine Ernährungsberatung, deren Einhaltung in den ersten Wochen danach protokolliert wird.
Es wird also viel getan im Bereich der Vorsorge. Und wenn es auf dem Platz doch wieder knackst oder zieht? Dann sind die Profis mit entsprechenden Reha-Angeboten vor Ort und in Kooperationen bestens versorgt. Vereine und Trainer müssen sich ihrerseits mal wieder damit abfinden, dass Verletzungen zwar minimierbar, aber eben auch ein fester Bestandteil des Geschäfts sind.
Ironie von der Tribüne
Die Fans schließlich sehen sich meist in ihrer Meinung bestätigt, dass es ihren eigenen Klub doch immer am heftigsten trifft. Wie zurzeit in Bremen: Dort wurde kürzlich nur noch ironisch gelacht, als jemandem auffiel, dass nicht nur viele eigene Spieler ausfielen, sondern auch Per Mertesacker, Andreas Wolf und Wesley – drei der letzten vier Spieler, die den Klub verlassen haben.