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AC/DC. Immer wieder AC/DC. Seit der Jahr­tau­send­wende dröhnt vor jedem Spiel furcht­erre­gend Hells Bells“, wenn die Mann­schaften am Mill­erntor aufs Feld laufen. Eigent­lich passt der seltsam uniro­ni­sche Will­kommen-in-der-Hölle-Gestus gar nicht zum fröh­li­chen Fun­punk des Kiez­klub-Mythos. Aber AC/DC, diese unzer­stör­baren Blues­rock-Duracell­hasen, sind auf den Tri­bünen nun mal seit jeher gegen­wärtig. Wenn auch Anfang der Neun­ziger mit etwas mehr Augen­zwin­kern als heute. Lief sich damals der Ham­burger Jung Dirk Zander am Spiel­feld­rand warm, brum­melten ein paar Leder­ja­cken im schwarzen Block der Gegen­ge­rade die ner­vöse Anfangs­se­quenz des Gas­sen­hau­sers Thunder­struck“: Na, na-na, na, na-na …“. Und die gesamte Tri­büne kom­plet­tierte mark­erschüt­ternd: „… ZANN-DEER“.

Those were the days. Der Zan­der­s­truck“ war damals nur eine von zahl­losen Aktionen, die nicht in erster Linie den Erfolg des Heim­teams fei­erten, son­dern vor allem dazu dienten, sich als Fan eine gute Zeit zu ver­schaffen. Denn das war bitter nötig: Bis Mitte der Acht­ziger war es am Mill­erntor nicht anders als in anderen Sta­dien zuge­gangen. In der Nord­kurve mischten sich unter die Hafen­ar­beiter, ver­sprengten Dom­be­su­cher, Arbeits­losen und Nor­malos auch Kut­ten­träger und Hoo­li­gans, die auf Kra­wall gebürstet waren. Die durchs halb­leere Sta­dion wan­derten, im Rücken des geg­ne­ri­schen Kee­pers pöbelten oder sonst wie Ärger machten. Rechte Anhänger, etwa Mit­glieder des Fan­klubs United“, hissten sogar gern mal die Reichs­kriegs­flagge oder grunzten in ihrer tumben Hilf­lo­sig­keit Affen­laute, wenn einer wie Sou­leyman Sané die Abwehr­reihe der Kiez­ki­cker mal wieder schwindlig spielte.

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Der ganze Kiez ist da: Nor­male St. Pau­lianer auf der Nord­tri­büne 1987 – lange bevor das Mill­erntor zur Kult­stätte wurde.

Wit­ters

Die links­al­ter­na­tive Hafen­stra­ßen­szene und die Punks, die ans Mill­erntor kamen, hatten logi­scher­weise keinen Bock auf die maro­die­renden Gefah­ren­su­cher im Norden. Und so trafen sich die Lebens­künstler und Krea­tiven auf der Gegen­ge­rade. Nie wäre ihnen in den Sinn gekommen, bei den Luden und Pfef­fer­sä­cken auf der Haupt­tri­büne Platz zu nehmen. Im soge­nannten Kuchen­block“, wo an Spiel­tagen hinter der Tri­büne die feine Prä­si­den­ten­gattin Anne­liese Paulick selbst­ge­machte Back­waren zugunsten des Jugend­fuß­balls ver­kaufte. Vom Süden ganz zu schweigen, der damals noch weit­ge­hend Aus­wärts­fans vor­be­halten war.

Und so ent­wi­ckelte sich im Zen­trum der Gegen­ge­rade ein Phä­nomen, das es bis dato im deut­schen Pro­fi­fuß­ball nicht gegeben hatte: erfolgs­un­ab­hän­giger Sup­port. In den Sech­zi­gern hatten Angreifer wie Horst Haecks oder Peter Oster­hoff mit ihren Toren für Begeis­te­rungs­stürme gesorgt, weil sie außer­ge­wöhn­liche Fuß­baller waren. In Erman­ge­lung edler Kicker beim klammen Kiez­klub der Acht­ziger wei­teten die ton­an­ge­benden Gag-Giganten auf der Gerade ihren Blick auf das Spiel – und nahmen auch Mar­gi­na­lien abseits des Rasens zum Anlass, um ein Feel-good-Erlebnis daraus zu machen.

Kon­spi­ra­tives Klin­geln und ein Herz für Ersatz­spieler

Ersatz­spie­lern wurde beim Warm­laufen mit Sprech­chören gehul­digt („Gatti, Gatti, Gatti“, Otti, Otti, Otti“). Vorm Eck­stoß holten die Anhänger ihre Schlüssel aus der Tasche und ein kon­spi­ra­tives Klin­geln brei­tete sich im Sta­dion aus. Leo, Leo“-Rufe beglei­teten die Ein­wechs­lungen des chro­nisch erfolg­losen Bra­si­lia­ners Leo­nardo Manzi, der selbst dann noch auf Händen getragen wurde, wenn er in den ihm ver­blei­benden Spiel­mi­nuten nicht ein ein­ziges Mal den Ball berührte.

Der Hafen­stadt­teil war noch kein Ort, an dem Reiche ver­suchten, in licht­durch­flu­teten Alt­bau­woh­nungen ihrer ver­snobten Exis­tenz eine Prise Cool­ness zu ver­leihen, son­dern ein sozialer Brenn­punkt. Seine Bewohner hatten gelernt, mit dem Defizit und stetem Schiff­bruch zu leben. Und diese posi­tive Grund­ein­stel­lung schlug sich in einem erfri­schenden Fan-Sup­port nieder.