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Am Ende standen nackte Zahlen – 3:6. Für den eng­li­schen Fuss­ball bedeu­teten diese weit mehr als nur die erste Heim­nie­der­lage gegen ein kon­ti­nen­tales Team. Die sieg­rei­chen Ungarn führten der Nation, die sich als Mut­ter­land dieses Sports ver­steht, schmerz­haft vor Augen, wie moderner Fuss­ball gespielt wird. Das Rück­spiel in Buda­pest geriet noch bit­terer: mit einem 1:7 im Gepäck trat die eng­li­sche Aus­wahl die Heim­reise an.


Der Nimbus der Unbe­sieg­bar­keit war dahin. Die Annahme, mit Kick & Rush“ ließe sich die Welt domieren, wurde zum Wahn­witz. Das Trauma saß ent­spre­chend tief, und der eng­li­sche Fuß­ball tat sich schwer, die rich­tigen Lehren daraus zu ziehen. Don Revie, Offen­siv­spieler bei Man­chester City, hin­gegen passte genau auf, stu­dierte die Rolle des unga­ri­schen Schlüs­sel­spie­lers Nandor Hidegkuti und ver­suchte, mit seinen Citi­zens“ ähn­lich auf­zu­treten.

Gut bezahlt, aber nicht glück­lich

Der so genannte Revie-Plan“ war geboren. Mit Erfolg, denn Man­chester City, zuvor meist im Tabel­len­keller behei­matet, schwang sich durch diese Adap­tion des unga­ri­schen Sys­tems zu einem der füh­renden eng­li­schen Teams der 50er Jahre auf. Revie selbst wurde 1955 zum Fuß­baller des Jahres“ gewählt und stand auf dem Höhe­punkt seiner Spie­ler­kar­riere. Für ihn der Anlass, den gebüh­renden Ruhm auch ver­sil­bern zu wollen. Revie lan­dete beim FC Sun­der­land, wurde gut bezahlt, aber nicht glück­lich. Zwei Jahre und einen Abstieg später heu­erte Revie bei Leeds United an – zwar eine graue Maus, aber immerhin erst­klassig. Die jungen Spieler, allen voran der am Anfang seiner groß­ar­tigen Kar­riere ste­hende Billy Bremner, schauten zu ihm auf und nahmen die Rat­schläge aus dem Munde des erfah­renen Stars begierig an.




Dieser fühlte sich wohl in den Mid­lands, hielt United auch nach dem Abstieg aus der First Divi­sion die Treue und begann, über die eigene Zukunft zu sin­nieren. Einen Job außer­halb des Fuß­balls konnte sich Revie kaum vor­stellen, und so reifte der Ent­schluss, Trainer zu werden.

Eine ent­spre­chende Chance bot sich ebenso plötz­lich wie unver­hofft – im Laufe der Saison 1960/61 musste Jack Taylor seinen Trai­ner­stuhl räumen, und der 33jährige Revie wurde zum Spie­ler­trainer beför­dert. Nicht viel mehr als eine Not­lö­sung, aber eine Not­lö­sung mit nach­hal­tiger Wir­kung. Mit viel Enthu­si­asmus stürzte sich Revie in die Her­aus­for­de­rung. Umge­hend nahm er Kon­takt zu Man­chester Uniteds Chef­coach Matt Busby auf, um mit ihm über dessen Phi­lo­so­phien, Visionen und Erfah­rungen zu spre­chen. Revie war unheim­lich beein­druckt von der nach der Flug­zeug­ka­ta­strophe von Mün­chen geleis­teten Auf­bau­ar­beit Busbys und nahm sich Man­Uni­teds Struktur zum Vor­bild für sein Wirken in Leeds. Ein umfang­rei­ches Sich­tungs­netz wurde auf­ge­baut, talen­tierte Nach­wuchs­spieler durch Revies Über­zeu­gungs­fä­hig­keit nach Leeds gelockt und ins kalte Wasser geworfen. Die Ambi­tion, an der Elland Road etwas ganz Großes auf­zu­bauen, unter­strich der junge Coach, indem er die tra­di­tio­nellen blau-gelben Tri­kots aus­mus­terte und sein Team in weißen (bewusst an Real Madrid erin­nernden) Shirts auf­laufen ließ.

Der Erfolg kam nicht sofort. Als er sich dann aber ein­stellte, wollte er gar nicht mehr gehen. Das in die jungen Spieler gelegte Ver­trauen zahlte sich aus, und auf dem Trans­fer­markt bewies Revie ein glück­li­ches Händ­chen. 1964 wurde Leeds United wieder erst­klassig, die Spiel­weise fand aller­dings wenig Freunde. Man warf den Whites“ Verrat vor: Verrat an der bri­ti­schen Fuß­ball­kultur und dem auf der Insel hei­ligen Fair Play“. Äußerst zynisch trat Revies Team auf, sehr defensiv und stets an der Grenze zum Uner­laubten. In erster Linie galt es, den Gegner ein­zu­schüch­tern. Von allen Seiten, sowohl von Medien als auch Kol­legen, hagelte es ange­wi­dert Kritik ob der destruk­tiven und teil­weise über­harten Gangart, die Revie seiner Mann­schaft ver­ord­nete und so gar nichts vom Glanz des Tri­kot­paten aus Madrid hatte. United wurde als ein Haufen wild um sich tre­tender Pro­vinz­ki­cker ver­spottet.

Von wel­cher Inten­sität und Pro­fes­sio­na­lität Revies Arbeits­weise gekenn­zeichnet war, fand nur wenig Beach­tung. Mit hohem Auf­wand wurden Dos­siers über Gegner erar­beitet, Schwach­punkte iden­ti­fi­ziert und der Zufall mini­miert. Revies Rau­beine waren die fit­testen Spieler der First Divi­sion, unter­warfen sich einem Ernäh­rungs­plan und wuchsen unter ihrem Patri­ar­chen zu einer ver­schwo­renen Gemein­schaft heran. Zur ein­schüch­ternden Kampf­kraft gesellte sich eine tech­ni­sche Ver­siert­heit, die kein anderes eng­li­sches Team dieser Zeit bieten konnte.

War Revie mit seinem Latein am Ende, half ihm der über­große Hang zum Aber­glauben. Der Coach ver­ab­scheute Vögel, da diese für schlechtes Karma ver­ant­wort­lich seien und nur Unglück brächten. Angeb­lich sorgte er sogar dafür, dass die Eule, die eine Zeit lang das Klub­wappen zierte, von dort ver­schwinden musste. Als Talisman führte Revie stets eine Hasen­pfote bei sich.

Furunkel am Hin­tern des Insel­fuß­balls

Es lag es aber sicher nicht an dieser, dass Leeds United für eine Dekade zum Domi­nator des eng­li­schen Fuß­balls wurde. Zum tra­gi­schen Domi­nator. Zwar mussten zwei Meis­ter­schaften, zwei Mes­se­cups, ein FA-Cup sowie ein Ligacup in der Ver­eins­vi­trine unter­ge­bracht werden, viel öfter schei­terte Leeds aber auf der Ziel­ge­raden. Bei­nahe jedes Jahr hatte United die Hand an min­des­tens einer Tro­phäe, zugreifen durften aber meist andere. Noch heute wird dahinter sys­te­ma­ti­scher Betrug gewit­tert und mit angeb­li­chen Fehl­ent­schei­dungen von Schieds­rich­tern argu­men­tiert. Schließ­lich galt Leeds als das Furunkel am Hin­tern des Insel­fuß­balls, und jede Nie­der­lage Uniteds wurde zu einem Sieg eng­li­scher Werte ver­klärt. Liebe blieb United außer­halb Leeds‘ stets ver­sagt, die Erfolge der Pea­cocks“ wurden auf ihre grenz­wer­tige Spiel­weise redu­ziert und Revie gera­dezu ver­achtet. Auf die Aner­ken­nung, die ähn­lich erfolg­reiche Kol­legen wie Shankly oder Busby genossen, musste er ver­zichten. Statt­dessen galt Revie als der­je­nige, der dem bri­ti­schen Fuß­ball die Unschuld raubte, den Zweck über die Mittel und den Erfolg über die Moral stellte.

Trotz dieses Rufs waren seine Dienste begehrt; Man­chester United, der AC Turin, Bir­mingham City, die Inter­es­senten standen Schlange. Ein Angebot des FC Everton ließ Revie 1973 bei­nahe schwach werden. Aber nur bei­nahe. Er blieb und führte sein alterndes Team zu einem letzten großen Tri­umph – der eng­li­schen Meis­ter­schaft 1974. Ein Neu­aufbau war aber unum­gäng­lich. Die Stützen der Ver­gan­gen­heit, prä­gende Per­sön­lich­keiten wie Billy Bremner, Norman Hunter oder Jack Charlton, hatten ihren Zenit über­schritten, und die Mann­schaft schrie nach Ver­jün­gung. Eine enorme Her­aus­for­de­rung für Revie, für den Leeds viel mehr Familie als Zweck­ge­mein­schaft war. Einem Neu­aufbau seines Lebens­werkes ver­wei­gerte sich der Erfolgs­coach, von der fäl­ligen Rasur alt­ge­dienter Recken fühlte sich Revie emo­tional über­for­dert.

Dies geschah in einer Zeit, in der die eng­li­sche Aus­wahl in einer tiefen Krise steckte. Die Welt­meis­ter­schaft in Deutsch­land wurde ver­passt, und die inter­na­tio­nale Kon­kur­renz­fä­hig­keit stand in Frage. Sir Alf Ramsey, 1966 mit Eng­land noch Welt­meister, musste gehen, und die Suche nach einem Nach­folger begann. Zwangs­läufig führte diese Suche zum erfolg­rei­chen Revie. Seine Bilanz sprach für sich, und der Unwille, den Umbruch in Leeds zu voll­ziehen, war dem Ver­band bekannt. Revie nahm die Her­aus­for­de­rung an und wurde Trainer der eng­li­schen Natio­nal­mann­schaft. Es gelang ihm, großen Opti­mismus zu ver­breiten, womit er Fans und Medien für sich gewinnen konnte.

Eine Stim­mung, die nicht lang anhielt. Es war offen­sicht­lich, dass die Methoden, mit denen Revie junge Spieler in Leeds über­zeugt hatte, nicht geeignet waren, abge­zockte Natio­nal­spieler zu betreuen. Coa­chende Vater­fi­guren waren nicht mehr gefragt, und Revie wurde nicht allzu ernst genommen– der sport­liche Erfolg war ent­spre­chend. Der End­runde zur Euro­pa­meis­ter­schaft 1976 wurde ver­fehlt, die Qua­li­fi­ka­tion zur WM in Argen­ti­nien stand auf der Kippe. Die Tage als Natio­nal­trainer waren gezählt, aller­dings wollte sich Revie die Demü­ti­gung einer Ent­las­sung ersparen und den Zeit­punkt seiner Demis­sion selbst bestimmen. Er ging den popu­lis­ti­schen Weg und infor­mierte die Nation durch die Zei­tung Daily Mail“ über seinen Rück­tritt. Sein Arbeit­geber, die eng­li­sche FA, war fas­sungslos, da auch sie von Revies Rück­tritt erst auf diesem Wege erfuhr. Zeit­gleich lag ihm ein höchst lukra­tives Angebot vor, die Aus­wahl der Ver­ei­nigten Ara­bi­schen Emi­rate zu trai­nieren. Revies Repu­ta­tion in Eng­land war damit völlig ram­po­niert, da ihm all­seits unter­stellt wurde, sein Rück­tritt hätte in erster Linie finan­zi­elle Motive. Der Groll der FA ging so weit, dass Revie für eine Dauer von 10 Jahren für jeg­liche Tätig­keit im eng­li­schen Fuß­ball gesperrt wurde. Auch wenn ein Gericht diesen Bann in der Folge kas­sierte, war Revie in Eng­land dis­kre­di­tiert. Seine Kar­riere setzte er des­wegen in Ara­bien fort.

1987 wurde bei Revie Amyo­trophe Late­ral­skle­rose dia­gnos­ti­ziert, eine unheil­bare Erkran­kung des moto­ri­schen Ner­ven­sys­tems. Mit 61 Jahren ver­starb Revie 1989. Auf der Trai­ner­bank eines eng­li­schen Ver­eins hatte man ihn nie wieder gesehen.