Handspiel? Kein Handspiel? Kaum jemand blickt noch durch bei Regel 12 des IFAB. Höchste Zeit, endlich Licht ins Dunkel zu bringen. Ein Erklärstück.
Das IFAB, das internationale Regelgremium, hat die Handspielregel in den vergangenen Jahren immer wieder reformiert. Was leider bis heute zu Irritationen bei Spielern, Trainern, Zuschauern und Schiedsrichtern führt. So wie zuletzt im Spiel zwischen Leverkusen und Hertha. Dabei ist die Sache eigentlich sehr simpel. 11FREUNDE-Regelexperte Percy Flâge klärt auf.
Ein Vergehen liegt vor, wenn ein Spieler…
1. „… den Ball absichtlich mit der Hand/dem Arm berührt (z. B. durch eine Bewegung der Hand/des Arms zum Ball).“ Es sei denn, er beteuert danach, das Problem verstanden zu haben, in Zukunft demütiger auftreten zu wollen und überhaupt die ausufernde Kommerzialisierung im Fußball für total problematisch zu erachten. Sagt er dies und setzt darüber hinaus noch einen schablonenhaften und auf keinen Fall kontroversen Instagram-Post mit ausgehöhlten Hashtag-Phrasen ab, wird ihm vom Schiedsrichter unverzüglich Absolution erteilt. Der Spieler gilt als rehabilitiert, das Handspiel wird nicht geahndet. Im Gegenteil: Er hat für den Rest des laufenden Spiels ein weiteres Handspiel frei.
2. „… unmittelbar nachdem er den Ball mit der Hand/dem Arm berührt hat (ob absichtlich oder nicht), ins gegnerische Tor trifft.“ Außer natürlich, im Stadion befinden sich mehr als acht Personen mit dem Vornamen Markus. In diesem Fall bekommt der Schiedsrichter ein unauffälliges Signal von einem seiner Assistenten und lässt die Aktion einfach und ohne nähere Angabe von Gründen weiterlaufen. Reagiert ein Spieler der benachteiligten Mannschaft empört, so ist dieser mit einer maximal krampfigen, enorm überzeichneten und auf keinen Fall coolen Geste vom Schiedsrichter zu ermahnen (siehe Beispiel 1). Im Idealfall überschreitet der Hosenbund des Schiedsrichters den Bauchnabel im Moment der Ermahnung um mehrere Zentimeter. Alternativ dazu kann die Frisur des Schiedsrichters auch zum letzten Mal Mitte der Neunziger in Mode gewesen sein.
3. „… direkt mit der Hand/dem Arm (ob absichtlich oder nicht) ins gegnerische Tor trifft (gilt auch für den Torhüter).“ Ausnahme: Der Spieler ist eigentlich nicht sonderlich torgefährlich (Richtwert ist hier ein Dennis-Diekmeier-Quotient von maximal 0,0073 Toren/Spiel), und der VAR hat eine (nicht geringfügige) Summe darauf gesetzt, dass eben jener Spieler überraschend trifft. Ist dies der Fall, kann der VAR sein Vetorecht geltend machen. Das Tor zählt. Nach Spielende wird diese zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit vom diensthabenden Schiedsrichter-Experten im Live-TV stoisch und unsachlich geleugnet (siehe Beispiel 2).
Ein Vergehen liegt außerdem vor, wenn ein Spieler den Ball mit der Hand/dem Arm berührt und…
1. „… seinen Körper aufgrund der Hand-/Armhaltung unnatürlich vergrößert.“ Die Regel gilt allerdings nicht, wenn dieser Spieler Jerôme Boateng heißt und das Handspiel zu einem für die Meisterschaft entscheidenen Elfmeter für Borussia Dortmund führen könnte. Basta. Eine zweite Ausnahme liegt vor, wenn der Spieler seinen Körper nicht nur aufgrund der Hand-/Armhaltung unnatürlich vergrößert, sondern auch andere Körperregionen ganz allgemein unnatürlich vergrößert wirken (das sogenannte Goretzka-Paradoxon, siehe Beispiel 3).
Weiterhin heißt es: „Eine unnatürliche Vergrösserung des Körpers liegt vor, wenn die Hand-/Armhaltung weder die Folge einer Körperbewegung des Spielers in der jeweiligen Situation ist noch mit dieser Körperbewegung gerechtfertigt werden kann.“ Jedoch gilt: Hat der Spieler zwei linke Hände, ist er grundsätzlich nicht für sein Handeln verantwortlich zu machen. Ist sich der Schiedsrichter nicht sicher, ob der Spieler zwei linke Hände hat, lässt er ihn ein Ikea-Regal seiner Wahl aufbauen.
Für alle eben genannten Vergehen gilt außerdem Folgendes: Legt Thomas Müller in den 24 Stunden nach dem Spiel per selbstgerechter Videobotschaft Einspruch gegen die Interpretation der Szene ein, sind „die Medien“ Schuld und zur Rechenschaft zu ziehen. Das Spielergebnis wird nicht gewertet, dafür dürfen Ronny, Thomas Hitzlsperger und Bum Bum Babatz stellvertretend für die Profis mit einem enorm hart aufgepumpten Fußball im Wechsel und vom Elfmeterpunkt aus auf einen mit dem Rücken zu ihnen und gebückt im Tor stehenden Bild-Redakteur schießen.
Abgesehen von den genannten Vergehen liegt in folgenden Situationen, in denen der Ball an die Hand/den Arm eines Spielers springt, in der Regel kein Vergehen vor:
1. Der Ball wird zwar absichtlich mit der Hand gespielt, allerdings gab es seit mehreren Wochen keine gravierende Fehlentscheidung mehr und die Doppelpass-Redaktion sorgt sich so langsam um Gesprächsstoff. In diesem Fall kann das Handspiel vom Schiedsrichter einfach ignoriert werden. Regt sich Stefan Effenberg am Sonntag dann so sehr über die Fehlentscheidung auf, dass sich der neben ihm sitzende und um ein Mindestmaß an Sachlichkeit bemühte Journalist fremdschämt, so ist dem Schiedsrichter unbedingt das nächste Topspiel zu geben.
2. Der VAR sagt, dass es so ist. Der VAR ist niemandem Rechenschaft schuldig. Er ist gut und macht den Fußball gerechter.
3. Die eine Hand hat zuvor gemäß des DFL-Hygienekonzepts 30 Sekunden lang die andere Hand gewaschen, dabei wurde zweimal in moderatem Tempo „Happy Birthday“ gesungen.
4. Die Hand gehört Gott. In diesem Fall wird auf keinen Fall abgepfiffen und Argentinien zieht auf direktem Weg ins WM-Halbfinale 1986 ein.
5. Eigentlich wollte der Spieler dem Ball nur den kleinen Finger reichen. In diesem Fall kann er nichts dafür, wenn sich der Ball danach gleich die ganze Hand genommen hat.
Außerdem wichtig:
Für den Torhüter gelten beim Handspiel außerhalb des eigenen Strafraums die gleichen Regeln wie für alle übrigen Spieler. Faustet der Torhüter jedoch in einem gegnerischen Rostocker Strafraum ein Tor, ist er danach als Kultfigur abzufeiern.