Erik Meijer war holländischer Nationalspieler und Publikumsliebling in der Bundesliga. Hier spricht er über den Umbruch in beiden Ländern, Löws unerwartete Frische und alte Rivalitäten.
Erik Meijer, das Hinspiel in der EM-Qualifikation Niederlande gegen Deutschland war ein echtes Spektakel. Dürfen wir uns heute wieder auf einen Fußball-Leckerbissen freuen?
Ich hoffe es – und ich rechne auch damit. Denn beide Teams haben viel Offensivqualität und verteidigen nicht gerne, sie spielen lieber nach vorne.
Beide Mannschaften sind im Umbruch. Bis zur Partie im März schien es, als wäre Ronald Koeman beim Umbau deutlich weiter als Jogi Löw. War die 2:3‑Niederlage gegen Deutschland ein herber Rückschlag?
Nein, das würde ich nicht sagen, vor allem wenn man gesehen hat, wie Koemans Mannschaft in der zweiten Halbzeit gespielt hat und nach einem 0:2 zurückgekommen ist. Aber die Partie hat gezeigt, dass es nicht nur darum geht, schönen Fußball zu spielen, sondern auch ums Ergebnis. Und man hat gesehen, dass Deutschland in der Breite des Kaders einfach besser besetzt ist. Da sitzen Marco Reus und Ilkay Gündogan auf der Ersatzbank, kommen rein und bereiten den Siegtreffer großartig vor. Das hat sehr, sehr weh getan. Trotzdem habe ich applaudiert, weil der Treffer überragend herausgespielt war.
Der Sieg gegen die Niederlande war das erste Ausrufezeichen der deutschen Mannschaft nach dem WM-Debakel und der verkorksten UEFA-Nations-League-Gruppenphase. Hätten Sie gedacht, dass Löw das Ruder noch einmal herum reißen kann?
Nein, das hat mich wirklich überrascht. Ich hatte den Eindruck, dass Löw seine Wirkung verloren hat. Ich war 18 Jahre im Profigeschäft. Ich habe dabei immer wieder Situationen erlebt, wo man als Spieler gemerkt hat, dass der Trainer bei der Mannschaft nicht mehr so gut ankommt. Bei Löw dachte ich auch, dass seine Zeit als Nationaltrainer vorbei ist. Er hat dann alles auf eine Karte gesetzt. Ich war regelrecht schockiert, wie er mehrere ältere Spieler aus der Mannschaft geworfen hat. Aber Löw musste was tun. Und er hat die richtigen Entscheidungen getroffen. Jetzt strahlte er wieder Frische aus.
Was sind in Ihren Augen die Stärken des deutschen Teams?
Wie bereits angesprochen: Die Breite des Kaders, die ist sehr gut. Grundlage dafür war und ist die gute Nachwuchsarbeit, die in den letzten zehn bis 15 Jahren geleistet worden ist. Da hat Deutschland viel dazu gelernt – vor allem von Frankreich und den Niederlanden. Das hat sich positiv auch auf die Spielweise ausgewirkt. Sie zeichnet sich vor allem durch eine hohe Passquote und Kreativität aus.
Wo sehen Sie die Schwachstellen?
Im Sturmzentrum. Werner macht das wirklich sehr gut. Aber wenn der mal länger verletzt ist, bekommt Löw Probleme. Deutschland hat einfach keinen anderen Mittelstürmer auf ähnlich hohem Niveau.
Die niederländische Nationalmannschaft hat noch schlechtere Zeiten hinter sich: zuerst die EM und dann auch auch noch die WM verpasst. Unter Ronald Koeman scheint es jetzt endlich bergauf zu gehen. Unter anderem stand sein Team im UEFA-Nations-League-Finale. Was macht Koeman besser als seine Vorgänger?
Koeman hat geschaut, was für Ingredienzen ihm zur Verfügung stehen und hat ein herrliches Süppchen daraus gekocht. Soll heißen: Er hat das Spielsystem an die vorhanden Spieler angepasst. Anders als die Leute vor ihm, die haben die Spieler in ein System rein gepresst. Zum Beispiel Memphis Depay, der braucht einfach Freiräume, um seine Stärken ausspielen zu können. Bei Koeman bekommt er sie. Koeman gibt den Spielern insgesamt mehr Freiheiten und hat es damit geschafft, wieder mehr Kreativität reinzubringen. Er legt großen Wert auf eine gute Atmosphäre im Team und will, dass seine Spieler Spaß auf dem Trainingsplatz haben. Was der Mannschaft noch fehlt, ist dieser Killerinstinkt, wenn man in Führung ist, noch ein oder zwei Tore zu schießen, damit die Sache erledigt ist.
Es heißt, den hochbegabten niederländischen Spielern würde es mitunter an der Siegermentalität fehlen…
Das ist Blödsinn. Wenn du nicht die Siegermentalität hast, dann kommst du nie so weit, dann wirst du nicht Fußballprofi. Die Siegermentalität musst du schon in der E‑Jugend haben.
Angesichts der verpassten EM- und WM-Qualifikation dachte man schon, die so hoch gelobte niederländische Nachwuchsarbeit könne keine großen Talente mehr produzieren…
Es gibt sehr gute Jahrgänge und dann auch mal wieder etwas schlechtere. Aber vielleicht waren wir tatsächlich auch ein bisschen arrogant, waren zufrieden mit den Strukturen, die wir aufgebaut haben und haben nicht geschaut, was man noch besser machen können. Aber jetzt haben wir gelernt und verstanden, dass Fußball mehr als nur Taktik und Technik ist. Dass es auch darum, wie gut man trainiert, wie belastbar man ist, dass Fußball ein Beruf ist und bei allem Spaß auch Ernsthaftigkeit sehr wichtig ist.
Unterscheiden sich die deutsche und die niederländische Fußball-Mentalität?
Das glaube ich nicht. Der Fußball wird immer internationaler und multikulti – und das ist doch sehr schön. Die krassen Unterschiede wie zum Beispiel 1974 gibt es nicht mehr. Die Welt ist kleiner geworden. Was die Spielweise angeht, gehen die Niederlande und Deutschland in die gleiche Richtung. Beide Mannschaften bewegen sich auf einem sehr hohen Niveau.
Die deutsch-niederländischen Fußballduelle sind auch nicht mehr so emotionsgeladen wie in früheren Jahren.
Die Kriegserinnerungen unserer unsere Großeltern und Eltern haben diese Rivalität gefüttert. Aber das Kriegsende ist jetzt bald 75 Jahre her. Das Verhältnis hat sich geändert. Aber wir wollen im Fußball gegen Deutschland immer noch unbedingt gewinnen, weil Deutschland der große Nachbar ist, der in der Vergangenheit so erfolgreich war. Glauben Sie mir, gegen Deutschland zu verlieren, tut immer noch sehr, sehr weh.