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Die tür­ki­sche Wirt­schaft befindet sich im Sink­flug. Wäh­rend die Infla­tion bei­nahe täg­lich neue Höchst­stände erreicht, scheint Ankara bis­lang zu keinen Maß­nahmen bereit, um effektiv gegen­zu­steuern. Diese Woche über­raschte Berat Albayrak, Erdogan-Schwie­ger­sohn und Finanz­mi­nister in Per­so­nal­union, mit der Aus­sage, die tür­ki­sche Wirt­schaft sei stabil und er sehe kein Risiko für die hei­mi­sche Wirt­schaft und die Finanz­märkte in 2019.

Für den Finanz­mi­nister eines Landes, dessen Wäh­rung seit Jah­res­be­ginn mehr als 40% an Wert gegen­über dem US-Dollar ver­loren hat, ist das eine äußerst mutige Aus­sage. Doch welche Aus­wir­kungen hat das für den tür­ki­schen Fuß­ball? Wel­chen Pro­blemen stehen die Ver­eine jetzt gegen­über?

Weniger Ein­nahmen für tür­ki­sche Klubs

Murat Aydogdu, glü­hender Gala­ta­saray-Fan und in Bonn lebender Türke, findet die Ent­wick­lungen, die vor sich gehen, vor allem eines: Gru­selig. Rück­bli­ckend könnte man glauben, es war der Plan, die Türkei zu rui­nieren.“ Die nega­tiven wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lungen werden auch vor dem Fuß­ball nicht halt­ma­chen, glaubt er. Davon ist aus­zu­gehen.

Wenn die Infla­tion stark steigt, haben die Ver­brau­cher real weniger Geld in der Tasche. Preise für Güter des täg­li­chen Bedarfs und für Kon­sum­güter können schneller ange­passt werden, als die Gehälter. Damit hat jeder tür­ki­sche Arbeit­nehmer weniger Kauf­kraft und wird zual­ler­erst dort ver­zichten, wo es ihm am leich­testen fällt. Es ist also davon aus­zu­gehen, dass die tür­ki­schen Ver­eine mit weniger Ein­nahmen aus dem Ticke­ting und Mer­chan­dise rechnen müssen.

Zurück­hal­tende Trans­fer­po­litik

Zudem müssen die Klubs viele ihrer Aus­gaben (z.B. Gehälter) in Euro oder Dollar bezahlen, was zu großen Pro­blemen führen kann, wenn alle Ein­nahmen in tür­ki­scher Lira ein­ge­nommen werden, deren Wert gegen­über den beiden anderen Wäh­rungen immer weiter nach­gibt. Ein ekla­tanter Vor­teil ergibt sich dadurch für Gala­ta­saray, die durch die Qua­li­fi­ka­tion zur Cham­pions League Grup­pen­phase mit garan­tierten Ein­nahmen in Euro rechnen können. 

Auch die Akti­vi­täten der tür­ki­schen Klubs in der aktu­ellen Trans­fer­pe­riode sind äußerst zurück­hal­tend. Die größten Namen auf Seiten der Neu­zu­gänge, wie Andre Ayew, Islam Sli­mani (beide Fener­bahce) und Loris Karius (Bes­iktas) wurden alle­samt aus­ge­liehen. 

Zudem wurden teure Spieler abge­geben, wie bei­spiels­weise die beiden Bra­si­lianer Gui­liano und Josef (Fener­bahce), die Istanbul in Rich­tung Saudi-Ara­bien ver­ließen. Auch Bafe­timbi Gomis kehrte der Süper Lig den Rücken und wech­selte von Gala­ta­saray eben­falls auf die ara­bi­sche Halb­insel. 

Auch die ganz großen Namen gehören in der Türkei wei­test­ge­hend der Ver­gan­gen­heit an. Wäh­rend vor einigen Jahren noch ehe­ma­lige Top­stars wie Wesley Sneijder, Didier Drogba, Robin van Persie oder Lukas Podolski im Spät­sommer ihrer Kar­riere noch ordent­lich abkas­sieren konnten, sind als richtig große Namen nur noch die Abriss­birne Pepe und der mensch­ge­wor­dene Außen­rist Ricardo Qua­resma bei Bes­iktas ver­treten. 

Wie geht es jetzt weiter?

Aydogdu sieht die gegen­wär­tige, schwie­rige Lage der Türkei als Chance, sowohl für den Fuß­ball als auch für das ganze Land: Es kommt zwar jetzt eine Rie­sen­scheiße auf die Türkei und somit auch auf den tür­ki­schen Fuß­ball zu, aber es gibt nach wie vor viele Türken, die gegen Erdogan sind und auf eine Chance lauern ihn und sein System ins Wanken zu bringen.

Das Poten­tial neuer Pro­teste steigt

Die Ver­eine werden mehr denn je gezwungen auf junge tür­ki­sche Spieler zu setzen und somit kann es dem tür­ki­schen Fuß­ball auf lange Sicht sogar helfen.“ Hoff­nung setzt Aydogdu auch auf die Ultras der drei großen Istan­buler Ver­eine, die sich bereits bei den soge­nannten Gezi-Pro­testen 2013 gegen die tür­ki­sche Regie­rung ver­ei­nigten und die vielen kri­ti­schen Stimmen bün­delten. Ins­be­son­dere von Çarşı (wich­tigste Fan­grup­pie­rung von Bes­iktas) und dem neuen Prä­si­denten von Fener­bahce, Ali Koc, der die Gezi Pro­teste unter­stützt hatte, können der­ar­tige Impulse aus­gehen.“

Es bleibt abzu­warten wie sich die Situa­tion in der Türkei ent­wi­ckelt. So lange sich die Wirt­schaft nicht aus ihrer Abwärts­spi­rale befreien kann, wird es auch den tür­ki­schen Ver­einen immer schlechter gehen und das Poten­tial neuer Pro­teste steigen. Erdogan ver­sucht immer wieder zu sug­ge­rieren, dass alle Türken in einem Boot sitzen. Es werden aber immer mehr Men­schen merken, dass er ein noto­ri­scher Lügner ist und der Auf­schwung nicht nach­haltig war,“ sagt Aydogdu abschlie­ßend.

Wie die Regie­rung in dieser heiklen Gemenge­lage, die abso­lute Kon­trolle über die Situa­tion wahrt, ist schwer abzu­schätzen und eine span­nende Frage. Denn die Wirt­schaft und der Fuß­ball sind eng mit­ein­ander ver­woben und der Fuß­ball ist ein wich­tiger Faktor in der öffent­li­chen Mei­nung. Berat Albayrak sollte den Fuß­ball und die Fans als Risi­ko­faktor für die Regie­rung nicht unter­schätzen.