Wochenlang wurde über die Sinnhaftigkeit und die Gefahren des Bundesliga-Restarts debattiert. Nach dem ersten Geisterspiel-Wochenende ist klar: Das Konzept zur Umsetzung funktioniert einigermaßen, der Unterhaltungswert aber ist katastrophal.
Spätestens beim Wechseln der Tonspur auf Sky wird einem bewusst, dass die Illusion nicht funktioniert. Der Bezahlsender bietet den Kunden für den Restart einen Audiokanal an, der die Geräuschkulisse eines vollbesetzten Stadions suggeriert. Während sich die Bayern auswärts in Berlin im Mittelfeld die Bälle zuschieben, erschallt aus der Konserve „Eisern Union! Eisern Union!“ Angesichts der leeren Ränge auf den Tribünen dahinter kommt einem dieser Move aber etwas gruselig vor und schnell schaltet man zurück in die triste Wirklichkeit mit ihren laut ploppenden Bällen beim Abspiel und den Rufen der Akteure, die im weiten Rund und aus den Tiefen der Traversen widerhallen.
An die Plastiklacher bei US-Sitcoms haben wir uns gewöhnt, schließlich ist jedem von uns bewusst, dass Al Bundy oder Charlie Harper nur Kopfgeburten von ein paar lustigen Autoren sind. Doch die Faszination des Fußballs besteht nun mal in seiner Echtheit, seiner allumfassenden Unberechenbarkeit, die sich nicht scripten lässt.
Nach dem ersten Geisterspiel-Wochenende in der Bundesliga hat nun aber auch der Letzte verstanden: Die Profifußball-Realität in Corona-Zeiten ist die pure Ödnis, die sich nicht durch Technikkniffe wie eine Stadionatmo-Tonspur kaschieren lässt. Es ist müßig darüber zu diskutieren, ob Schalke 04 sich beim Reviernachbarn derart hätte abfertigen lassen, wenn der königsblaue Anhang mitgereist wäre. Oder ob Borussia Mönchengladbach in Frankfurt drei Punkte abgeholt hätte, wenn Emotionen aus dem Rund auf den Rasen geschwappt wären: Dieser Spieltag hat bewiesen, dass die Bundesliga in leeren Stadien zu einer bloßen Kulisse erstarrt, die keine Projektionen mehr ermöglicht. Vor dem Fernseher hatte man zeitweise das mulmige Gefühl, das Truman Burbank alias Jim Carrey in dem Film „Truman Show“ beschleicht, wenn in der heilen Welt, durch die er tagtäglich flaniert, neben ihm plötzlich ein Scheinwerfer zu Boden fällt. Es war, als würde sich beim Blick auf die Mattscheibe eine Tür öffnen, man tritt hinaus und erkennt schlagartig: Ach, du liebe Zeit! Alles nur Quatsch! Fußball ist ja gar nicht so geil!
Eine wunderbare Illusion, die gänzlich ihrer Wirkung beraubt ist. Die rhetorischen Bilder von Wolff-Christoph Fuss, die auch im ausverkauften Champions-League-Halbfinale nicht immer ganz gerade sind, aber doch farbenfroh den feierlichen Anlass komplettieren, wirken jählings fehl am Platz, seine gepressten Tor-Schreie regelrecht aus der Zeit gefallen. Fuss‘ Kommentatoren-Kollegen teilen während ihrer Reportagen wiederholt mit, dass sie sich an die Stimmung auf einer Bezirkssportanlage erinnert fühlen, was besonders seltsam rüberkommt, wenn man die Stimmung aus der Konserve eingeschaltet hat. Wie aber soll das das Ganze auch funktionieren, wenn selbst ein Profi wie Thomas Müller, der im hohen Maße von seiner Intuition lebt, nach dem Auswärtssieg bei Union feststellt, es habe sich ein bisschen angefühlt, wie bei den „Alten Herren“?
Am Wochenende hat sich vor unser aller Augen die endgültige Ablösung des Profibereichs vom Volksport Fußball vollzogen. Die Bundesliga hat sich als Unterhaltungskonzern selbständig gemacht und präsentiert ihr Produkt bis auf weiteres in der klinischen Laborkulisse menschenleerer Arenen. Die Einkünfte der Klubs durch Fernsehgelder entsprechen rund zwei Dritteln der Gesamteinnahmen. Die Liga zeigt uns, dass sie nicht nur spielen muss, wenn sie ihr wirtschaftliches Niveau halten will, sondern auch ohne Stadionbesucher spielen kann, wenn es die Umstände erfordern. Nun liegt es an uns zu entscheiden, wie attraktiv wir diese neuartige Form der Bundesliga-Show finden und ob wir unter diesen Vorzeichen bereit sind, weiterhin unsere Freizeit, unser Geld und unsere Leidenschaft in dieses Entertainmentbetrieb zu investieren.
Trotz des katatrophalen Unterhaltungswerts darf nicht unerwähnt bleiben, dass sich zum jetzigen Stand zumindest das Hygienekonzept der DFL als tragfähig erwiesen hat. Abgesehen von ein paar heißblütigen Hertha-Akteuren, die sich – offenbar überrascht von der Leichtigkeit ihrer Torerfolge in Sinsheim – um den Hals fielen, waren sich die Profis ihrer Vorbildfunktion bewusst. Und nach den Pannen im Vorfeld mit dem Kalou-Video und Heiko Herrlichs Ausflug in den Supermarkt bedarf zumindest auf medizinischer Ebene die Wiederaufnahme des Spielbetriebs keiner tiefgreifenden Beanstandung. Was ein gutes Signal auch für andere Sport- und Kulturveranstaltungen ist. Zumal auch die von einigen Politikern befürchteten Fanansammlungen im Umfeld der Spielorte ausblieben – sieht man von zwei, drei Union-Anhängern in wogenden Baumwipfeln hinter der Alten Försterei einmal ab.
Mit anderen Worten: Hygienekonzept gelungen, Patient nicht tot, aber doch recht leblos. Das ist die schöne neue Fußball-Welt. Und es bleibt nur die Binse, mir der wir uns in diesen Zeiten über so vieles Unerfreuliches hinwegretten:
Da müssen wir jetzt durch.