Artem Dzyuba erlebt einen Albtraum: Ein geleaktes Video zeigt Russlands WM-Helden beim, ähem, Masturbieren. Doch statt vor Scham im Boden zu versinken, geht Dzyuba gekonnt in die Offensive.
Natürlich musste das Ganze ein Nachspiel haben: Und so wurde Artem Dzyuba (47 A‑Länderspiele, 26 Treffer) nachträglich aus dem aktuellen Nations-League-Kader der russischen Nationalelf gestrichen. Außerdem nahm ihm sein Arbeitgeber, Wladimir Putins Lieblingsklub Zenit St. Petersburg, demonstrativ die Kapitänsbinde ab. Denn der 32-jährige Mittelstürmer hatte Schande über sein Land und über seinen Verein gebracht. Nun ja, eigentlich hatte Dzyuba nichts anderes getan, als in Frieden vor sich hin zu onanieren. Doch irgendwer hatte den Akt der Selbstbefriedigung mitgefilmt und, schlimmer noch, anschließend ins Netz gestellt.
Zwar mühten sich Artem Dzyuba und seine Rechtsvertreter, den kompromittierenden Clip wieder einzukassieren – doch der virale Erguss war natürlich nicht mehr zu stoppen. Jeder, wirklich jeder in Russland (und weit darüber hinaus), sah das Video oder hörte zumindest davon. Der Empörungsreflex reichte hinauf bis in die höchsten Kreise des nationalen Verbandes, der Kreml-Regierung und der russisch-orthodoxen Kirche. Selbst die Zenit-Ultragrupe „Landscrona“ verteufele den armen Sünder in aller Öffentlichkeit und warf ihm „Narzissmus“ vor.
Nun kann man – in Dzyubas Situation – zwei Dinge tun. Entweder man geht vor lauter Scham zugrunde, was wohl nicht wenige getan hätten. Oder man sucht sein Heil in der Offensive. Artem Dzyuba, der Vollblutstürmer, entschied sich für Möglichkeit Nummer zwei: Ganze drei Tage nach der Veröffentlichung des schlüpfrigen Filmchens schnürte er seine Stollenschuhe (Größe 48) und übernahm öffentlich Verantwortung. Nur leider ging auch der Elfmeter im Heimspiel gegen Krasnodar, dessen Ausführung Dzyuba kurz vor dem Halbzeitpfiff unbedingt selbst besorgen wollte, ziemlich in die Hose. Das immerhin teilvolle Zenit-Stadion buhte sich die Lungen aus den Hälsen.
Spätestens jetzt stand die Karriere des Artem Dzyuba am Scheideweg, zumal Titelanwärter Zenit zur Pause mit 0:1 hinten lag. Im Netz ergossen sich Hohn, Spott und regelrechter Hass über Dzyuba, diesen „Wichser“. Bis, ja bis zur 79. Minute: Da stand der Torjäger urplötzlich goldrichtig und traf aus kürzester Distanz. Ganz schön abgewichst, pflegen TV-Kommentatoren in solchen Szenen zu sagen. Und Dzyuba? Der rannte in Richtung Kurve und hielt sich demonstrativ die rechte Hand hinters Ohr. Als wollte er fragen: „Wie habt ihr mich genannt?!“ Anschließend, quasi als Angebot zur Versöhnung, warf Zenits Nummer 22 zahlreiche Kusshände ins Publikum.
Nach dem Schlusspfiff setzte Artem Dzyuba seine Charme-Offensive gekonnt fort: In einem selbst aufgenommenen Video, das ihn in blauer Trainingsjacke vor einem kleinen grünen Gummibaum zeigt, erklärt der (einstige) Nationalheld halb schelmisch, halb reumütig: „Es war nicht das einfachste Spiel für mich. Auf dem Weg nach Hause im Auto hatte ich große Schwierigkeiten, meine Emotionen zurückzuhalten.“ Und dann klang Dzyuba fast schon wie ein Staatsmann: „Ich möchte als nächstes sagen, dass ich nicht perfekt bin, genau wie jeder andere. Ich mache Fehler. Wir sind leider alle Sünder. Ich kann mir nur selbst die Schuld geben.“
Dzyuba, diese stattliche 1,97-Meter-Riese, wirkte plötzlich ziemlich kleinlaut und verletzlich: „In solchen Momenten, in denen dir praktisch jeder den Rücken zukehrt, bin ich den Menschen, die zu mir hielten und mir in einem schwierigen Moment Unterstützung entgegenbrachten (…) unglaublich dankbar. In solchen Momenten findest du heraus, wer deine Freunde sind. Vielen Dank an die Welt für diese Lektion, die für mich sehr schmerzhaft und hart war, aber ich bin selbst schuld daran. Ich werde mein Bestes geben, um nicht daran zu zerbrechen, obwohl es heute extrem schwierig ist. Alles Gute und auf Wiedersehen.“
Und ein Wiedersehen wird es wohl geben – auch in der russischen „Sbornaja“. Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow, einst Torwart bei Dynamo Dresden, beeilte sich zu erklären, dass der vorübergehende Ausschluss des dreimaligen Torschützen bei der Heim-WM 2018 vor allem zu dessen Schutz erfolgt sei: „Wir haben uns entschieden, Artem Dzyuba nicht einzuberufen, um sowohl das Team als auch ihn selbst vor exzessiver Negativität und Stress zu bewahren.“
Die vielleicht tröstlichsten Worte für Dzyuba fand dessen Vereinstrainer Sergej Semak, der gegenüber championat.com erklärte: „Für mich sind alle Fußballer wie Kinder. Ich denke, dass kein Elternteil sich von seinem Sohn abwendet. Ich tue von meiner Seite alles, um ihn zu unterstützen.“