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Paulo Bento flos­kelte neu­lich auf einer Pres­se­kon­fe­renz, wie man so auf Pres­se­kon­fe­renzen flos­kelt. Er sagte: Wir sind ein Team.“ Und Cris­tiano Ronaldo, der neben ihm saß, ergänzte: Jeder ist für jeden da.“ Die Sel­ecao mehr als die Summe ihrer Teile? Mehr als Cris­tiano Ronaldo? Das klingt, als hätte Carlos Bilardo 1986 gesagt: Wir sind nicht von Diego Mara­dona abhängig.

Jogi Löw weiß das, und Hansi Flick weiß das auch. Sie kennen Ronaldos Antritt, seine Über­steiger, seine Schuss­kraft. Und sie wissen, wel­ches Pop­corn-Breit­wand-Spek­takel der Stürmer vor Frei­stößen ver­an­staltet. Er steht dann ein paar Meter weg vom Ball und für wenige Sekunden ist er ganz ruhig. Ein starrer, kon­zen­trierter Blick, die Beine weit aus­ein­ander gestellt, die Hände an den Seiten her­un­ter­hän­gend. Wie eine sym­me­tri­sche Figur, Mil­li­me­ter­ar­beit. Hundert‑, nein, tau­send­fach geübt.

Stahl­helm auf und groß machen!“

Ver­mut­lich wollte der deut­sche Co-Trainer des­wegen eine mäch­tige Ant­wort geben auf die Frage, wie sich die DFB-Defen­sive gegen diesen Mann wappnen wird. Flick sagte: Stahl­helm auf und groß machen!“ Nicht nur, weil die EM-Gast­ge­ber­länder Polen und Ukraine heißen, war das eine unglück­liche For­mu­lie­rung. Flick ent­schul­digte sich umge­hend.

Doch sub­tra­hiert man das mili­tä­ri­sche Voka­bular, so blieb unter dem Strich den­noch die These, über die man nicht dis­ku­tieren muss: Ein Schlüssel zum Erfolg gegen Por­tugal würde die deut­sche Defen­siv­ar­beit gegen Cris­tiano Ronaldo sein. Jerome Boatengs Defen­siv­ar­beit. 

Boatengs kleiner Tick

Die Spieler kennen sich. Sie haben erst kürz­lich im Cham­pions-League-Halb­fi­nale gegen­ein­ander gespielt. Am Sams­tag­abend, 21:45 Uhr Orts­zeit, steht der Deut­sche sehr früh auf dem Platz, er zieht sich die Stutzen hoch. Das wird er im Spiel noch häu­figer machen. Ein kleiner Tick zwi­schen den Spiel­ak­tionen. Eine Geste wie ein Füll­satz. Auch Ronaldo hat so einen Tick, er zieht sich manchmal das linke Hosen­bein hoch. Als müsse das Bein für seine natur­ge­wal­tigen Schüsse frei­ge­legt werden von aller Syn­thetik.

Zu Beginn der Partie hat er dafür sehr viel Zeit, denn er kommt in den ersten 17 Minuten nur zweimal an den Ball. Beim zweiten Mal wird es aller­dings schon brenzlig. Ronaldo gewinnt ein Lauf­duell gegen Boateng, der es mit Fest­halten ver­sucht. Als ver­stehe Ronaldo das nicht als nor­malen Zwei­kampf, son­dern als Pro­vo­ka­tion, ver­lang­samt er prompt. An der linken Straf­raum­kante hat er nun seine Lieb­lings­si­tua­tion: das Eins-gegen-eins, vor einer Wand von 5000 deut­schen Fans, die gel­lendes Pfeif­kon­zert starten.

Was folgt, ist bekannt: Über­steiger, noch ein Über­steiger, eine Hoch­ge­schwin­dig­keits­pa­rade von Über­stei­gern. Wer mit den Augen hier mit­kommt, der findet auch die Erbse bei den Hüt­chen­spieler auf Bar­ce­lonas Ram­blas. Boateng kommt nicht mit. Flach­schuss in die Mitte, Helder Pos­tiga ver­passt.

Durch­atmen. Boateng zieht Stutzen. Ronaldo dreht sich ab. Die neon­far­bene Kapi­täns­binde hängt nun ein biss­chen her­unter, das Hosen­bein ist eben­falls nicht mehr da, wo Ronaldo es mag. Nur die pinken Appli­ka­tionen an den Schuhen trotzen jedem Gras­halm. Sie kann man immer noch auf acht Kilo­meter Ent­fer­nung erkennen.

Boateng ist nicht immer Sieger, manchmal wirkt er lethar­gisch

In der 29. Minute gibt Ronaldo erst­mals seine Gockel­hal­tung auf. Er ist genervt, denn Fabio Coen­trao schlägt einen Steil­pass, Ronaldo erwartet aber ein kurzes Anspiel. Er blickt dem Ball nicht hin­terher, son­dern lässt die Arme bau­meln. Boateng joggt dem Ball hin­terher.

Und so geht es weiter. Ronaldo bekommt Anspiele, fuß­spitzt, sohlt oder über­steigt den Ball in Hoch­ge­schwind­keit. Boateng ist nicht immer Sieger, manchmal wirkt er lethar­gisch. Doch das wich­tigste Duell des Abends kann er für sich ent­scheiden. In der 63. Minute steht Ronaldo auf halb­links plötz­lich alleine vor Neuer, hat Boateng geschlafen? Viel­leicht, doch er ist recht­zeitig erwacht. Mit rie­sigen Schritten eilt er zurück, Ronaldo zim­mert den Ball in Rich­tung Tor. Malt man den Schuss weiter, sieht man einen dicken geraden Strich, 20-Grad-Winkel, Ein­schlag im oberen rechten Winkel. Doch Boateng flug­grätscht heran. Er bekommt den linken Außen­rist zwi­schen Ball und Tor. Denn Knall hört man durchs Sta­dion.

Boateng in Sergi-Bubka-Höhen

Groß machen muss sich Jerome Boateng im ganzen Spiel nur ein ein­ziges Mal. Nicht bei einem dieser High-Noon-Frei­stöße von der Straf­raum­grenze, denn Ronaldo schießt in diesem Spiel keinen ein­zigen. Er macht sich groß in einer ver­meint­lich banalen Situa­tion. Im Mit­tel­kreis. Der Ball ist lange in der Luft, ein Quer­schläger, Boateng hat seine Außen­bahn ver­lassen, er nimmt Anlauf. Auch Ronaldo geht zwei Schritte vor, dann aber bleibt er stehen. Er sieht, wie Boateng abhebt, ein, zwei, drei Sekunden. Sergei-Bubka-Höhen. Er schwebt. Er köpft er den Ball aus dem Mit­tel­kreis. Ronaldo staunt. Viel­leicht. Dann zieht er sich das linke Hosen­bein hoch, und trottet zurück auf die linke Außen­bahn.