Die Rückkehr ins Stadion bedeutet die Rückkehr der Gänsehaut. Aber wieso stellen sich unsere Haare eigentlich auf, wenn wir gemeinsam mit tausenden anderen Menschen unsere Lieblingsmannschaft anfeuern? Eine wissenschaftliche Spurensuche.
Endlich wieder Stadion. Die Ränge füllen sich, man hebt den Schal hoch, und aus Tausenden von Kehlen erschallt „Wir gehööör’n zusammen, ihr seid cool und wir sind heiß!“ Dann ist sie bei vielen Stadionbesucher:innen da: die Gänsehaut. Die muss nicht zwingend mit der Vereinshymne von Werder Bremen verbunden sein, sie kann auch bei anderen Fangesängen entstehen oder vor dem Fernseher daheim. Manchmal sogar bei der Nationalhymne, auch wenn man eigentlich komplett antipatriotisch eingestellt ist. Sie entsteht unwillkürlich, unterdrücken kann man sie nicht. Viele werden gespürt haben, wie sich ihre Haare aufstellten, wie sich Gänsehaut über den gesamten Körper zog, als der dänische Spieler Christian Eriksen am zweiten EM-Spieltag am Boden lag und sich seine Mitspieler um ihn stellten, sichtlich fassungslos. Und das, obwohl die meisten diese Situation nur von daheim, vom Sofa aus, beobachteten.
Warum bekommen wir in solchen Momenten Gänsehaut? Was passiert in unserem Körper? Und hat Gänsehaut eigentlich eine Funktion?
Es gibt mindestens zwei Arten von Gänsehaut: die emotionale Gänsehaut und die Kälte-Gänsehaut. Die haben unterschiedliche Funktionen, entstehen aber durch den selben physiologischen Vorgang. Der ist relativ schnell erklärt. Unter der Haut befinden sich viele kleine Follikel, Drüsen quasi, in denen Härchen verankert sind. An diesen Drüsen hängen Muskeln. Kontrahiert der an den Drüsen hängende Muskel, stellt sich das Haar auf und es entsteht der kleine Hügel, den man gemeinhin als „goose bump“ (Gänsebeule) kennt. Dieser Mechanismus soll eigentlich gegen Kälte schützen. Wenn die Haare sich aufstellen, bilden sie ein isolierendes Luftpolster und eine Schicht warmer Luft kann um den Körper festgehalten werden. In diesem Sinne ist die Gänsehaut ein eher mickriges Überbleibsel der Evolution, da uns unsere Menge an Haaren nicht mehr wirklich vor vor Kälte schützt.
Auch wenn wir uns fürchten, wenn wir das Kratzen der Kreide auf einer Schultafel hören oder das eines Bleistiftes auf einem Blatt Papier, kann sich unsere Haut mit Gänsehaut überziehen. Wir aber wollen uns der Gänsehaut zuwenden, die wir erleben, wenn wir ergriffen sind. Aber warum bekommen wir Gänsehaut, wenn wir gemeinsam Hymnen singen, wenn Bukayo Saka zum entscheidenden Elfmeter anläuft, oder wenn wir im Fernseher Eriksens Zusammenbruch beobachten? Das hat wenig mit Kälte zu tun und viel mit Gefühlen.
„Es war bisher völlig unterforscht“, sagte Dr. Eugen Wassiliwizky dem Spiegel im Dezember 2020. Der Neurowissenschaftler hat sich der emotionalen Gänsehaut angenommen. Er erforscht mithilfe einer „Goosecam“, einer selbstgebauten Kamera, wann sich unsere Haare aufstellen und konzentriert sich dabei vor allem auf Filmszenen, Musik und Gedichte. Die Erkenntnisse lassen sich aber auch auf die Welt des Fußballs übertragen.
Herausgefunden hat Herr Dr. Wassiliwizky, dass Gänsehaut entsteht, wenn wir eine Mischung aus negativen und positiven Emotionen empfinden. Ein bestimmter Muskel im Gesicht kontrahiert. Es ist der sogenannte Korrugatormuskel zwischen den Augenbrauen, der für diese gemeine Falte über der Nase sorgt und der eindeutig negative Emotionen anzeigt. Aus der Neurowissenschaft weiß man, dass gleichzeitig das Belohnungssystem im Gehirn aktiviert wird. Diese Kombination kann laut der bisherigen Forschungen ein Grund sein, weshalb sich unsere Haare aufstellen.