Jahrelang hat der Fehlschuss bei der EM 2008 gegen Österreich an Mario Gomez genagt. Ein Gespräch über die Angst vor dem Tor, schmerzhafte Pfiffe und Planlosigkeit.
Wie balancieren Sie diese Ansicht mit Ihrem Ehrgeiz aus?
Ich kann es nicht beschreiben. Ich habe nichts bewusst dafür getan. Ich habe nicht mein Leben auf den Kopf gestellt. Ich glaube, dass ist einfach ein Mix aus Reife, Erlebtem und Gelassenheit. All das in Kombination mit den letzten beiden Jahren, in denen ich weg vom Fenster war, wo keiner auf mich gewartet oder nach mir gerufen hat, all das hat mich wohl so werden lassen.
Sind Sie froh, dass Sie überhaupt noch zu dieser Erkenntnis gekommen sind, oder überwiegt vielleicht die Trauer darüber, dass es so lange gedauert hat?
Ich persönlich glaube nicht, dass ich früher dazu hätte finden können. Bei meinen ersten Turnieren war ich 22, 24, 26. Ich will damit sagen: Wenn du jung bist, willst du eine maximal-positive Karriere starten. Du hast alles vor dir. Du weißt nicht, was alles auf dich zukommt. Du ahnst nur, wenn du gut spielst, kannst du vielleicht zu Real Madrid, zu Barcelona oder Bayern München gehen. Wenn du in der deutschen Nationalmannschaft spielst, hast du Qualität. So, und dann stellst du Überlegungen an. Hast Träume. Es gibt so viele Gedanken, die du hast, wenn du ein junger Spieler bist, der vor einer vielleicht großen Karriere steht. Diese Gedanken habe ich auch alle irgendwie gelebt. Ich bin zu Bayern München gegangen, war im Ausland, ich habe das jetzt so alles erfahren, was ich mir mit 20 vorgestellt habe. Und dann ist mir eine schwierige Zeit in Italien dazwischengekommen, wo ich auf Grund vieler Verletzungen nicht auf die Beine gekommen bin. All das hat mich dazu gebracht, so zu denken. Und jetzt ist es mir egal, was kommt.
Das sollen wir Ihnen abnehmen?
Ja, denn ich weiß, wenn ich gesund bin, wird’s gut. Deswegen mache ich mir vor dem Turnier keinen Stress, wo ich spiele, wann ich spiele und wie oft ich spiele. Die schlechte Phase hat mir doch gezeigt, was ist. Als ich jung war und es nicht lief, versuchte ich die negativen Dinge zu verdrängen, ich versuchte, alle wieder schnell von mir zu überzeugen, alles Gute zu zeigen, mich zu rechtfertigen. Heute lasse ich auch negative Dinge zu, ich lasse sie ran an mich. Ich weiß, ich bin nicht der erste Fußballer, der in seiner Karriere mal eine schwierige Phase durchmacht. Gefühlt war ich das früher aber immer.
Warum kommt man bei Ihnen zu dem Eindruck, dass Sie mit einer geschmunzelten Leichtigkeit über diese Themen sprechen?
Weil das für mich kein Kampf mehr ist, kein Krampf. Wir dürfen aber jetzt die Dinge nicht verdrehen, weil ich gerade eine gute Saison gespielt habe und deswegen gelassener bin. Das heißt ja nicht, dass ich in diesem Turnier jetzt 15 Tore schießen werde. Ich bin weit davon entfernt. Ich werde jede Entscheidung des Trainers akzeptieren. Und wenn es die ist, dass ich nur ein Spiel mache, dann mache ich nur eins. Wenn ich die Bilder von Rio sehe, dann gibt es nicht einen Spieler, der unhappy war. Da waren alle zufrieden, wie oft der Einzelne auch gespielt hat. Es hat gezeigt, dass der Fußball sich ein bisschen gewandelt hat. Es gibt nicht nur diese drei, vier Leitwölfe. Das sind alles gute Spieler und von denen sitzen dann eben auch mal sechs oder sieben auf der Bank. Das wird aber mittlerweile viel eher und besser akzeptiert. Deswegen habe ich das Gefühl: Egal wie, wir müssen nur Europameister werden.