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Mario Gomez, von Ihnen ist zu hören, dass Sie wäh­rend der WM 2014 ein großer Fan der deut­schen Mann­schaft gewesen sind. Wie können wir uns das vor­stellen?
Ich habe mir die Spiele ange­schaut, gestaunt, teil­weise habe ich auch mit­ge­fie­bert, wie gegen Alge­rien. Und dann saß ich wieder vor dem Fern­seher und konnte nicht fassen, was ich sah: Das Spiel gegen Bra­si­lien…

…das sagen­hafte 7:1 im Halb­fi­nale. Sie wären ver­mut­lich gern dabei gewesen, waren aber gar nicht erst nomi­niert worden. Und Sie jubelten trotzdem?
Ich hatte ja ein Weil­chen, um das zu ver­dauen. Sehen Sie, mit meinem Wechsel damals vom FC Bayern nach Flo­renz waren andere Wün­sche und Vor­stel­lungen ver­knüpft. Daraus ist leider nichts geworden. In der Saison vor der WM war ich sieben von neun Monaten ver­letzt. Mir war also klar, dass es für mich nicht rei­chen würde für Bra­si­lien. Des­wegen konnte ich mich schon eine Weile darauf vor­be­reiten. Also war es wäh­rend des Tur­niers nicht mehr ganz so hart.

Das glauben wir Ihnen nicht.
Wenn man sieht, wie erfolg­reich die Mann­schaft spielt, wenn man die Stim­mung mit­be­kommt, dann fühlt man auch Schmerz. Aber letzt­lich war es genau so, wie ich es gesagt habe. Viele Spiele haben begeis­tert, und ich saß da und habe mich für die Jungs gefreut. Für den Philipp Lahm, für den Bas­tian Schwein­steiger, also spe­ziell für die, die lange dabei sind und all die Jahre hören mussten, dass sie nie etwas holen würden, dass es nie für den letzten Schritt reicht. Dieses Gerede war völlig absurd. Die Spieler waren noch jung. Und jetzt nehmen Sie nur den Toni Kroos, er ist der ein­zige deut­sche Spieler, der mit zwei ver­schie­denen Ver­einen die Cham­pions League gewonnen hat. Und dieser Gene­ra­tion soll der letzte Schritt gefehlt haben? Ich weiß nicht.

Auch Sie standen oft im Zen­trum der Kritik.
Ja, und es reichte eine ver­ge­bene Groß­chance…

… im letzten Grup­pen­spiel der EM 2008 gegen Öster­reich.
Das war schwer zu ver­ar­beiten für mich damals mit Anfang 20. Ich glaube sogar, dass mich dieses Miss­ge­schick eine gute Zeit in der Natio­nal­mann­schaft gekostet hat.

Lange her und vorbei!
So denke ich heute. Damals hatte ich das Gefühl, dass die Dis­kus­sion vom feh­lenden Schritt so unge­recht war wie die um ein­zelne Per­sonen wie mich. Wissen Sie, wie schön es war, dass diese Jungs so eine WM wie in Bra­si­lien gespielt haben? Des­wegen war und bin ich Fan.

Jetzt sind Sie wieder dabei. Offenbar haben Sie in Ihrem Denken eine neue Distanz zu dieser Dis­kus­sion her­ge­stellt. Wann hat es bei Ihnen klick gemacht?
Ich glaube, das ist keine Sache von Momenten, son­dern von Alter und Erfah­rungen. Gerade meine Erfah­rungen in Flo­renz waren nicht die posi­tivsten. Die nega­tiven Erfah­rungen rücken den Stel­len­wert dann wieder ins rich­tige Licht.

Wel­chen Stel­len­wert?
Den des Fuß­balls, also was der Fuß­ball für einen per­sön­lich bedeutet. Irgend­wann war ich in der Lage, die Dinge besser ein­zu­schätzen und damit auch wieder zu genießen. Ich war irgend­wann in einer Situa­tion, in der ich mir gesagt habe: Okay, die letzten beiden Jahre waren sport­lich so schwer für mich, ich muss da gedank­lich raus.

Sie wech­selten vor einem Jahr zu Bes­iktas Istanbul und hielten den Fuß­ball gedank­lich und emo­tional auf Abstand. Ver­stehen wir Sie richtig?
Ja, das kommt dem nahe. Ich bin nach Istanbul gewech­selt mit der Absicht, einen anderen Anlauf zu unter­nehmen, auch ganz klar mit dem Ziel, mich wieder in Form zu bringen und bei die EM 2016 zu spielen. Jetzt, wo es wieder läuft, wo ich wieder das Gefühl, die Power und das Ver­trauen bekommen habe, kann ich den Fuß­ball genießen. Ich genieße den Fuß­ball wie noch nie in meiner Kar­riere. Gerade weil ich eben weiß, wie es ist, wenn man keinen Erfolg hat, wenn einen das Gefühl ver­lässt, das Ver­trauen und die Power.

Und die Locker­heit…
Locker­heit kommt immer dann, wenn du erfolg­reich bist. Wenn’s läuft, wenn deine Mann­schaft gewinnt, wenn du eine gute Zeit hast, dann kannst du frei auf­spielen. In dieser Saison konnte ich das, weil ich relativ früh gespürt habe, so im Sep­tember, es geht wieder in die rich­tige Rich­tung. Ich spürte, ich komme wieder dahin, die Bälle kommen wieder zu mir. Also ich bin wieder da, wo der Ball hin­geht.

Ein schönes Bild.
Ja. Und dann kommt die Power. Ich habe mehr Power, die ich davor lange nicht hatte. Das gibt einem dann das gute Gefühl.

Und mit den Bällen kam auch die Natio­nalelf wieder auf Sie zu.
Vor allem freut mich, dass ich mein mir selbst abge­ge­benes Ver­spre­chen gehalten habe. Im Juli ver­gan­genen Jahres habe ich für mich das Ziel for­mu­liert, jetzt hier bei der EM dabei zu sein und mit dieser Mann­schaft Euro­pa­meister zu werden. Und des­wegen ist für mich die Saison noch nicht beendet. Ich sehe das Ganze und möchte die Spiel­zeit mit maxi­malem Erfolg abschließen. Das heißt: Euro­pa­meister.

Es wird ein paar Mann­schaften geben, die etwas dagegen haben.
Gerade Frank­reich ist stark. Und Spa­nien. Oder nehmen Sie Bel­gien. Wenn man allein die Namen ihrer ersten Elf liest, dann sagt man: Wow. Oder Ita­lien, die keiner auf der Rech­nung hat – und dann werden sie wieder ewig dabei bleiben. Also, es gibt schon ein paar Mann­schaften, die ver­dammt schwer zu schlagen sind. Und wie immer wird ein Außen­seiter dabei sein. Aber ich habe auch das Gefühl, dass der Hunger bei uns extrem aus­ge­prägt ist.

Dabei sagten Sie vorige Woche im Trai­nings­lager noch, Sie ver­suchten, ein biss­chen plan­loser zu werden. Wie meinten Sie das?
Planlos zu sein, ist toll. Weil man mal nicht so über­legt, was kommt, positiv wie negativ. Man sagt das immer so daher, weil es schwierig ist, das jemanden zu erklären. Ich meine, dass kommt ja schnell so yogi-yoga-mäßig rüber. Aber es ist schon so, dass ich in diesem Jahr noch nicht einmal daran gedacht habe, was nächstes Jahr wird.

Ist Ihnen das pas­siert, oder haben Sie sich diese Hal­tung auf­er­legt?
Nein, nicht auf­er­legt. Selbst jetzt, wo es Wech­sel­ge­rüchte gibt, weiß ich noch nicht, wie es wei­ter­geht in der nächsten Saison. Ich will es im Moment auch wirk­lich nicht wissen, es inter­es­siert mich nicht. Ist das zu ver­stehen?

Sie sind Tor­schüt­zen­könig der Türkei. Sie ver­lassen sich auf Ihre Tore?
Mich inter­es­siert jetzt nur die EM. Die Optionen werden dann eh da sein.

Kann es sein, dass Sie das Thema Natio­nal­mann­schaft nicht mehr so per­sön­lich nehmen? Die Ver­let­zungen, das Aus­ge­pfif­fen­werden, das Über­gan­gen­werden?
Wie meinen Sie das?

Bei der EM 2012 haben Sie in der Vor­runde ein Tor gegen Por­tugal und zwei gegen Hol­land geschossen. Anschlie­ßend nahm der Bun­des­trainer Sie aus der Startelf. Sie wirkten ver­gnatzt.
Stimmt, man baut sich so ein Haus um sich selbst herum, man ver­sucht sich selber zu schützen. Damals dachte ich: Ich muss doch spielen! Für mich ging es schon bei der EM 2008 schwierig los, da wurde ein Mega-Hype um mich gemacht. Die Erwar­tungen waren riesig. Dann dieser Fehl­schuss. 2010, nach meinem ersten Jahr bei den Bayern, da hatte ich bei der WM gar kein Spiel und war trotzdem das große Thema. Und 2012, Sie sagen es, war ich nach einer Wahn­sinns-Vor­runde trotzdem der Buh­mann. Ich weiß noch, wie Bas­tian Schwein­steiger und ich nach dem Halb­fi­nalaus gegen Ita­lien nie­der­ge­macht wurden. Klar, ich weiß auch, dass das zu unserem Sport dazu­ge­hört. Und ich weiß auch, dass es immer davon abhängt, wie man per­formt. Aber manchmal sieht man sich selber ein biss­chen unge­recht behan­delt.

Ihre Erkenntnis daraus?
Ich weiß heute, 2016, besser als 2014, wie ich das ein­zu­ordnen habe. Ich habe über­haupt nicht mehr das Gefühl, dass mich alle Fans und alle Jour­na­listen mögen müssen. Ich weiß nicht, warum das so ist. Viel­leicht habe ich dieses Gefühl irgend­wann mal auf der Straße liegen gelassen. Es ist weg. Das mag daran liegen, dass es für meine Kar­riere auf die Ziel­ge­rade geht.

Sie sehen das Ende kommen?
Was heißt Ende? Ich mache mir keinen Druck mehr. Es können noch zwei Jahre werden, es können noch fünf Jahre werden. Und wenn es in einem Jahr vorbei ist, dann ist es in einem Jahr vorbei. Ich habe mich davon gelöst.

Wie balan­cieren Sie diese Ansicht mit Ihrem Ehr­geiz aus?
Ich kann es nicht beschreiben. Ich habe nichts bewusst dafür getan. Ich habe nicht mein Leben auf den Kopf gestellt. Ich glaube, dass ist ein­fach ein Mix aus Reife, Erlebtem und Gelas­sen­heit. All das in Kom­bi­na­tion mit den letzten beiden Jahren, in denen ich weg vom Fenster war, wo keiner auf mich gewartet oder nach mir gerufen hat, all das hat mich wohl so werden lassen.

Sind Sie froh, dass Sie über­haupt noch zu dieser Erkenntnis gekommen sind, oder über­wiegt viel­leicht die Trauer dar­über, dass es so lange gedauert hat?
Ich per­sön­lich glaube nicht, dass ich früher dazu hätte finden können. Bei meinen ersten Tur­nieren war ich 22, 24, 26. Ich will damit sagen: Wenn du jung bist, willst du eine maximal-posi­tive Kar­riere starten. Du hast alles vor dir. Du weißt nicht, was alles auf dich zukommt. Du ahnst nur, wenn du gut spielst, kannst du viel­leicht zu Real Madrid, zu Bar­ce­lona oder Bayern Mün­chen gehen. Wenn du in der deut­schen Natio­nal­mann­schaft spielst, hast du Qua­lität. So, und dann stellst du Über­le­gungen an. Hast Träume. Es gibt so viele Gedanken, die du hast, wenn du ein junger Spieler bist, der vor einer viel­leicht großen Kar­riere steht. Diese Gedanken habe ich auch alle irgendwie gelebt. Ich bin zu Bayern Mün­chen gegangen, war im Aus­land, ich habe das jetzt so alles erfahren, was ich mir mit 20 vor­ge­stellt habe. Und dann ist mir eine schwie­rige Zeit in Ita­lien dazwi­schen­ge­kommen, wo ich auf Grund vieler Ver­let­zungen nicht auf die Beine gekommen bin. All das hat mich dazu gebracht, so zu denken. Und jetzt ist es mir egal, was kommt.

Das sollen wir Ihnen abnehmen?
Ja, denn ich weiß, wenn ich gesund bin, wird’s gut. Des­wegen mache ich mir vor dem Tur­nier keinen Stress, wo ich spiele, wann ich spiele und wie oft ich spiele. Die schlechte Phase hat mir doch gezeigt, was ist. Als ich jung war und es nicht lief, ver­suchte ich die nega­tiven Dinge zu ver­drängen, ich ver­suchte, alle wieder schnell von mir zu über­zeugen, alles Gute zu zeigen, mich zu recht­fer­tigen. Heute lasse ich auch nega­tive Dinge zu, ich lasse sie ran an mich. Ich weiß, ich bin nicht der erste Fuß­baller, der in seiner Kar­riere mal eine schwie­rige Phase durch­macht. Gefühlt war ich das früher aber immer.

Warum kommt man bei Ihnen zu dem Ein­druck, dass Sie mit einer geschmun­zelten Leich­tig­keit über diese Themen spre­chen?
Weil das für mich kein Kampf mehr ist, kein Krampf. Wir dürfen aber jetzt die Dinge nicht ver­drehen, weil ich gerade eine gute Saison gespielt habe und des­wegen gelas­sener bin. Das heißt ja nicht, dass ich in diesem Tur­nier jetzt 15 Tore schießen werde. Ich bin weit davon ent­fernt. Ich werde jede Ent­schei­dung des Trai­ners akzep­tieren. Und wenn es die ist, dass ich nur ein Spiel mache, dann mache ich nur eins. Wenn ich die Bilder von Rio sehe, dann gibt es nicht einen Spieler, der unhappy war. Da waren alle zufrieden, wie oft der Ein­zelne auch gespielt hat. Es hat gezeigt, dass der Fuß­ball sich ein biss­chen gewan­delt hat. Es gibt nicht nur diese drei, vier Leit­wölfe. Das sind alles gute Spieler und von denen sitzen dann eben auch mal sechs oder sieben auf der Bank. Das wird aber mitt­ler­weile viel eher und besser akzep­tiert. Des­wegen habe ich das Gefühl: Egal wie, wir müssen nur Euro­pa­meister werden.