Charlie Lyon hat den wohl skurrilsten Job im Welt-Fußball: Der 28-Jährige ist „Pool-Keeper“ der US-Profiliga MLS. Das heißt: Charlie trainiert und spielt immer dort, wo gerade die größte Personalnot herrscht.
Neben Charlie Lyon befinden sich aktuell auch seine Landsleute Caleb Patterson-Sewell (33) und Billy Heavner (26) im Pool – allerdings nur auf Abruf. Dass eine solche Kette von Vorsichtsmaßnahmen keinesfalls übertrieben ist, zeigt das Beispiel Vancouver: Die Whitecaps waren mit drei Keepern ins Finalturnier gestartet. Doch vor dem ersten Vorrundenspiel gegen San José (3:4) musste Reservist Bryan Meredith abreisen – wegen des plötzlichen Todes seiner Mutter. Dann, im zweiten Match gegen Seattle (0:3), verletzte sich auch noch Stammkraft Maxime Crepeau. Ein Fall für Charlie? Nein, denn Vancouver ist ein kanadisches Team und Transfers „über die Landesgrenze“ bedürfen besonderer Formalitäten, was in der Kürze der Zeit nicht möglich war. Die Whitecaps mussten ihr letztes Spiel gegen Chicago (2:0) ohne einen gelernten Torwart auf der Bank bestreiten.
Natürlich wirft das System mit den Pool-Keepern auch Fragen nach der Integrität des Wettbewerbs auf: Im (fiktiven) Extremfall könnte Charlie Lyon im Viertelfinale für den FC Toronto spielen und dort gegen seinen Trainingsklub FC New York verlieren. Das sähe natürlich nicht gut aus. Doch Bedenken wie diese sind derzeit eher nebensächlich: Die Major League Soccer, wie so viele andere (Fußball-)Ligen auch, will einfach ihre Saison durchpeitschen. Den ungleich prominenteren Kollegen von der National Basketball Association (NBA) geht es da nicht anders: Auch sie tragen ab 30. Juli ein Geister-Finalturnier in Orlando aus.
Immerhin: Der befürchtete Corona-Outbreak innerhalb der Blase von Florida blieb bislang aus. Vor einer Woche hatte die MLS bekanntgegeben, dass zuletzt alle 346 Spieler und insgesamt über 1.000 getestete Personen (Coaches, Staff, Hotelangestellte, Greenkeeper, Shuttlefahrer) negativ waren. Kurz vor dem Turnier hatte es weniger gute Nachrichten gegeben: Der FC Dallas und der SC Nashville wiesen so viele Corona-Fälle auf, dass beide Klubs vom Turnier ausgeschlossen wurden.
Ansonsten verfährt die MLS nach der ur-amerikanischen Devise „The show must go on“. Denn nur eine spielende Liga kann laufende TV- und Sponsorenverträge erfüllen. Auch Charlie Lyon profitiert natürlich von der Saisonfortführung: Für seine Standby-Dienste während des Turniers kassiert er rund 25.000 Dollar. Und, wer weiß, vielleicht darf er sich am Ende sogar MLS-Champion nennen. Das Versprechen der Disney World an ihre Besucher lautet schließlich: „Where dreams come true“.