Am Samstag stand Nürnbergs Christian Mathenia bis zum Abpfiff im Tor. Trotz eines schmerzhaften Zusammenpralls. Denn in der Bundesliga werden Kopfverletzungen noch immer verharmlost. Warum sich das ändern muss.
In der Nacht von Sonntag auf Montag gewannen Quarterback-Superstar Tom Brady und sein Coach Bill Belichick mit den New England Patriots ihren sechsten Super Bowl. Viele sagen, niemand hätte American Football im vergangenen Jahrzehnt stärker beeinflusst als diese beiden. Gut möglich. Vielleicht ist es aber auch ein zwei Mal drei Meter großes Zelt, welches den Lieblingssport der Amerikaner in den letzten Jahren am stärksten verändert hat.
Stabile Seitenlage und blutige Zunge
Ob Christian Mathenia, Nürnbergs Torwart, den Super Bowl in der Nacht gesehen haben wird? Nicht ausgeschlossen. Möglicherweise hatte der Keeper aber auch noch einen derart schmerzenden Brummschädel, dass er sich lieber frühzeitig ins Bett gelegt hatte. Denn eine Ruhepause gab es für ihn am Samstag gegen Werder Bremen nicht. Dabei gestand der Torwart nach Spielschluss: „Mir tut alles weh.“ Mathenia war in der 60. Minute mit Bremens Theo Gebre Selassie zusammengerasselt und bewusstlos auf dem Rasen liegen geblieben. Seine Zunge, auf die er sich gebissen hatte, blutete. Mitspieler brachten ihn in die stabile Seitenlage, der Ersatzkeeper machte sich schonmal warm.
Doch nach wenigen Minuten und einer kurzen Behandlungspause an Ort und Stelle spielte Mathenia weiter.
Vier schwere Kopfverletzungen
Nürnbergs Trainer Michael Köllner nutzte das als Beleg, um nach dem 1:1 gegen den Favoriten aus Bremen einen „Riesenzusammenhalt“ beim abstiegsbedrohten Club zu loben. Schließlich hatte schon Nürnbergs Tim Leibold nach einem Zusammenstoß ausgewechselt werden müssen. Auch er hatte zunächst weitergespielt, ehe ihn die Verantwortlichen in der Halbzeit und mit Sehproblemen aus dem Spiel nahmen.
Aber damit nicht genug: Auch Dortmunds Achraf Hakimi verließ im Spiel bei Eintracht Frankfurt den Platz zur Halbzeitpause mit einer scheinbar schweren Kopfverletzung, nur um nach der Pause völlig überraschend zurückzukehren und bis zum Ende zu spielen. Einzig Mainz’ Danny Latza wurde nach einem Zusammenstoß in Augsburg von den Mannschaftsärzten sofort aus dem Spiel genommen.
Die Fälle zeigen dass dem Fußball – ganz besonders in der Bundesliga – die Sensibilität für Kopfverletzungen und deren Folgen fehlen. Dabei sind diese für Mediziner längst ersichtlich: „Die Geschwindigkeiten werden im Sport immer höher – aber der Kopf muss da rausgehalten werden. Ansonsten drohen dramatische Gesundheitsschäden“, forderte Hirnexperte Florian Heinen von der LMU München vor zwei Jahren gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Schließlich würden sich die Schäden am Kopf eines Sportlers im Laufe der Karriere aufsummieren und dann „wird man den Schaden nicht mehr los“. Die Folgen: Depressionen, Demenz, Aggressivität, Suizid – eine chronisch-traumatische Enzephalopathie (CTE).
Die NFL hat reagiert
Ein Schaden, der in der Kontaktsportart Football längst zum Alltag gehört, nachdem ehemalige Stars wie Aaron Hernandez oder Lawrence Philipp an CTE erkrankten und darauf Mord und Selbstmord begingen. Weshalb die National Football League – nicht ohne sich erst aus der Verantwortung ziehen zu wollen – reagierte. Und mittlerweile drastische Sanktionen gegen überharten Kopfeinsatz ausspricht und einen strikten Ablaufplan nach Kopfverletzungen einführte. Das sogenannte „Concussion Protocoll“. Darin enthalten: Ein blaues Zelt, das im Notfall sekundenschnell aufgespannt wird, und in dem sich verletzte Spieler von Teamärzten und unabhängigen Medizinern untersuchen lassen müssen. Erst nach einer erneuten Freigabe dürfen sie das Spielfeld wieder betreten.
Und der Fußball? Hat sich ebenfalls verändert. Nachdem Christoph Kramer im WM-Finale mit einer Gehirnerschütterung auf dem Rasen liegen geblieben war und eine Studie auf 72 Schädel-Kollisionen beim Turnier 2014 aufmerksam gemacht hatte, führte die Uefa eine neue Regelung ein. Demnach soll es nach Kopfverletzungen eine bis zu drei Minuten dauernde Unterbrechung geben. Erst nach der Freigabe des Mannschaftsarztes soll der Spieler wieder mitwirken dürfen.
Unabhängige Diagnosen
Aber ist die Untersuchung durch den eigenen Arzt genug, wenn nach Abpfiff Trainer den Zusammenhalt der Mannschaft loben und um jeden Preis eine verletzungsbedingte Auswechslung vermeiden wollen? Wenn es nach den 72 Kollisionen bei der WM nur in zehn Fällen zu kurzen Behandlungen kam? Oder braucht es mehr? Braucht die Liga einen bewussteren Umgang im Kopfverletzung und ein klares „Concussion Protocoll“ nach US-Vorbild mit unabhängigen Diagnosen – bevor noch etwas passiert.