Nicht nur in Kleinstaaten hat die Nations League einen besonderen Stellenwert, in England sangen sie nach der Qualifikation für das Halbfinale gar „Football’s coming home“. Doch in Deutschland interessiert sich niemand so wirklich für den Wettbewerb. Aber warum?
Im Juni 2018 sorgten Young-Gwon Kim und Heung-Min Son für das wohl peinlichste WM-Aus in der Geschichte des deutschen Fußballs. In der Folge kämpfte der DFB um sein Image und dann stand da auch noch dieser neue Wettbewerb an, der seit 2014 hauptsächlich für negative Schlagzeilen sorgte und moderiert werden musste. Zumindest in Deutschland.
„Man hat am Ende das Gefühl, die Uefa muss nochmal Geld erwirtschaften und macht deshalb den Wettbewerb. Irgendwann knallt es dann mal“, sagte Oliver Bierhoff. „Wir sind sehr überrascht, dass dieses Thema in Astana ohne Vorankündigung auf die Tagesordnung gekommen ist und ein so weitreichender Beschluss getroffen wurde“, so Reinhard Rauball. Übersetzt: Warum hat eigentlich niemand nach unserer Meinung gefragt?
Die Nations League, so die einhellige Meinung, führe zu noch mehr Belastung für die ohnehin schon genug geschundenen Spieler, zudem würde es keine Tests mehr gegen Länder aus anderen Kontinenten geben und überhaupt sei der Wettbewerb schrecklich unbedeutend. Das war vor fünf Jahren, als Deutschland immerhin amtierender Weltmeister war. Aber die negative Resonanz von damals hielt an. Dabei hätte man mit der Nations League die Schmach von Russland vergessen machen können.
Der Weltmeister zu Gast
Gleich am ersten Spieltag kam der amtierende Weltmeister Frankreich in die ausverkaufte Allianz Arena. Auf eine lahme erste Halbzeit folgte eine bessere zweite, am Ende stand es trotzdem 0:0. Dann eine 0:3 Klatsche in den Niederlanden, eine 1:2 Niederlage in Frankreich. Deutschland war abgestiegen, aber für Unruhe sorgte das bei keinem der Verantwortlichen. Es sei kein Weltuntergang, sagte Bundestrainer Jogi Löw. Im letzten, für die DFB-Elf völlig unbedeutenden Spiel gegen die Niederlande, könne man ja noch was gut machen. Man hatte das Gefühl, so richtig wurde dieser Abstieg nicht wahrgenommen.
Aber wie sahen das die anderen Länder?
„Das hättest du nie gedacht, dass du so etwas mal erlebst: Deutschland steigt ab!“ (Marca, Spanien)
„Großes Fiasko in Deutschland!“ (Ekstrabladet, Dänemark)
„Weinen müssen die Deutschen, die zum Abstieg gezwungen werden. Für den deutschen Fußball schlägt die Stunde null.“ (Gazetta dello Sport, Italien)
Die widersprüchliche Wahrnehmung über das deutsche Abschneiden wird verständlicher wenn man sieht, welchen Stellenwert sie in anderen Ländern besitzt. So pilgerten am letzten Spieltag 80.000 Fans ins Wembley-Stadium, es stand die entscheidende Partie der Three-Lions gegen Kroatien an. Sollte England verlieren, würden sie absteigen, sollten sie gewinnen, wären sie als Gruppenerster in den Playoffs. Und in England wollte man diesen ersten Platz unbedingt. Immerhin, das darf man nicht vergessen, gab es einen Titel zu gewinnen. In der 57. Minute ließ Andrej Kramaric das Wembley aber vorerst verstummen.
Doch Jesse Lingard und Harry Kane drehten das Spiel und ließen Wembley beben – eine Atmosphäre, die bei einem Freundschaftsspiel undenkbar gewesen wäre. Ein Thriller, den es bei einem Freundschaftsspiel niemals gegeben hätte. „So habe ich Wembley im England-Trikot noch nie erlebt“, sagte Siegtorschütze Kane nach dem Spiel. Und dann spielten sie im Stadion „It’s Coming home“.
„I like this Nations League. I like this England team. I like this England manager. I like our young England players. I like the look of England’s future“ twitterte Gary Lineker.
Und in Deutschland? „Wenn es keine Nations League geben würde, dann würde sie wohl auch niemand vermissen“, so Karl-Heinz Rummenigge.
Doch diese Aussage des Bayern-Bosses widerlegte man nicht nur in England, sondern auch in der Schweiz. Die Elf um Xherdan Shaqiri hatte die große Chance, nach langer Durststrecke noch mal ein Erfolgserlebnis zu feiern: Nach 0:2 Rückstand gegen die Belgier ließen Ricardo Rodriguez, Nico Elvedi und der dreifache Haris Seferovic alle Schweizer von einem Titel träumen. Die Eidgenossen gewannen 5:2 und treffen heute im Halbfinale auf die Portugiesen.
Es war also doch möglich, durch eine erfolgreiche Nations-League-Kampagne einen Schulterschluss mit den Fans zu vollbringen. Und darüber hinaus, ließ die Nations League so manche Nationen träumen.
Luxemburg mit realistischer Chance auf die EM 2020
Ein hohes Ansehen hatte der Wettbewerb vor allem bei kleineren Ländern. Plötzlich hatten Mannschaften wie die aus Luxemburg die realistische Perspektive, sich für eine Europameisterschaft zu qualifizieren.
Mit einem Sieg am 15.November 2018 gegen Weißrussland hatten die Kicker aus dem Großherzogtum bereits vorzeitig die Chance, den Gruppensieg klarzumachen. Sie würden in Liga C aufsteigen und die Playoffs erreichen, bei denen sie nur noch zwei Siege von der EM-Endrunde entfernt wären. „Spielt um euer Leben“ titelte das luxemburgische „Tageblatt“, die nationale Presse rief es zum wichtigsten Spiel in der Historie des Landes auf.
Der ehemalige luxemburgische Tennisspieler Gilles Muller, der Basketballnationaltrainer, die Tischtennis-Nationalmannschaft, alle posierten sie vor der Kamera im roten Nationaltrikot und sandten ihre Botschaften an die Mannschaft.
Aber nicht nur in Luxemburg, auch in Weißrussland wollte man unbedingt die Playoffs erreichen. Ein Zeichen dafür war die Reaktivierung von Aleksandr Hleb, der seit November 2016 keine Rolle mehr in der weißrussischen Mannschaft spielte. Dennoch kam er für dieses Spiel zurück, zog sich seine Nummer zehn über und spielte von Anfang an.
Die luxemburgischen Fans veranstalteten einen Fanmarsch von der Innenstadt zum Stadion, im Stade Josy-Barthel gab sich Premierminister Xavier Bettel persönlich die Ehre das Spiel zu verfolgen. 4533 Zuschauer, Wechselgesänge auf den Tribünen, enthusiastische luxemburgische Supporter – Szenen die man so nicht mal gegen die großen Nationen im Stade Josy Barthel sehen konnte. Am Ende verlor Luxemburg gegen das Team um Aleksandr Hleb 0:2. Doch was der Verband, die Spieler, die Fans aus diesem Spiel mitnahmen, war beeindruckend. Im Internet entstand der Hashtag #deJosyhuetgebrannt, Nationaltrainer Luc Holtz war stolz auf sein Land und die Capos der Ultras schrieben einen offenen Brief, in dem sie sich bei allen für diesen Abend bedankten.
„Merci M‑Block,
Merci Nationaléquipe,
Merci Tridefa,
Merci Lëtzebuerg“
Auch in Georgien hat sich dank der Nations League eine neue Fußball-Euphorie entfacht. Mit fünf Siegen und einem Unentschieden marschierten die Georgier quasi durch die Gruppe. Levan Kobiashvili, aktueller Präsident des georgischen Fußball-Verbandes, zeigte sich mehr als erfreut: „Was die Nations League gebracht hat? Wir haben unser Selbstbewusstsein gestärkt, wir sind positiver und haben für eine verbesserte Stimmung bei Fans und Menschen im Land gesorgt. Das Wichtigste aber ist, dass wir bewiesen haben, dass es Fußball gab, gibt und weiterhin geben wird“. Und der Trend in Georgien ist deutlich. Die letzten beiden Pflichtspiele wurden von 52.000 bzw. 54.000 Zuschauern besucht. Ein Durchschnitt, auf den manch eine Weltmeister-Nation neidisch blickt.
Von den vier Teams, die es in Liga D auf Platz Eins geschafft haben, werden es zwei zur EM 2020 schaffen. Denn auch im Kosovo träumen sie von der Europameisterschaft 2020. In den entscheidenden Spielen hat sich die Zuschauerzahl mehr als verdoppelt. Statt 5.000 Zuschauern füllten 12.500 das Stadium Fadil Vokkri, um ihre Mannschaft gegen Aserbaidschan zum Sieg zu brüllen. „Road to History“ heißt es im Kosovo. Und wer sich das Spiel anschaute, wer die frenetischen Fans beobachtete und wer den überaus emotionalen Kommentator bei jedem der vier kosovarischen Tore schreien hörte, der wusste: Die Nations League hat ihren Platz gefunden.