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Komme ich raus oder bleibe ich lieber drin? Schieße ich links oder rechts? Ins Lauf­duell oder stellen? Kurz oder lang? Risiko oder Sicher­heit? In Bruch­teilen von Sekunden müssen Fuß­baller Ent­schei­dungen treffen, vieles geschieht instinktiv. Und die meisten Ent­schlüsse werden unbe­deu­tend, sobald sie getroffen wurden. Manche hin­gegen haften ein Leben lang an einem, sie bede­cken den Spieler wie einen Schleier. 

So wie bei Loris Karius.

Der hatte gerade das Cham­pions-League-Finale mit dem FC Liver­pool ver­loren, auch weil er zweimal gewaltig falsch in seinen Ent­schei­dungen lag und zwei Gegen­tore ver­schul­dete. Erst dicht bedrängt von Karim Ben­zema, als er den Ball zu einem Mit­spieler werfen wollte. Dabei aber arg sorglos war, sodass Ben­zemas Fuß­spitze auf 1:0 spit­zelte. Und später, als er einen unge­fähr­lich zen­tral gesetzten Fern­schuss von Gareth Bale durch die Finger flut­schen ließ, den er sogar mit seinem hippen Man Bun hin­ters Tor hätte nicken können. 

Aber weder in den Momenten unmit­telbar nach seinen Feh­lern, noch nach Abpfiff kam einer seiner Kol­legen auf die Idee, sich um den nie­der­ge­schla­genen Tor­wart zu küm­mern. Auch sein Trainer Jürgen Klopp stand bloß da und starrte in die Leere. Keiner beim FC Liver­pool scherte sich um den am Boden kau­ernden Karius, der ver­ge­bens ein Loch im Rasen von Kiew zu suchen schien. Einer der ersten, der an Karius dachte, war Gareth Bale, und der hatte ihm zuvor zwei Tore ein­ge­schenkt. Erst nach und nach rangen sich seine Mit­spieler durch, ihm, dem Sün­den­bock, bei­zu­stehen.

Klopp sagte später auf der Pres­se­kon­fe­renz, über die Fehler müsse nie­mand dis­ku­tieren, sie seien der­maßen offen­sicht­lich. Er lie­ferte nicht die typi­schen Klopp­schen Aus­reden nach Nie­der­lagen, um seinen Spieler zu schützen, son­dern gab ganz tro­cken zu Pro­to­koll, was sich in diesem Moment jeder dachte: Das wünscht man seinem schlimmsten Feind nicht.“ Noch tiefer ins Mark ging der Satz: Wir wollten alles und bekamen nichts“. Ein zyni­sches Danke, Loris schwang in seinen Worten mit.

Mit 16 zu Man­chester City

Für Loris Karius ging es bis zu diesem 26. Mai 2018 fast immer nur nach oben. Schneller, höher, weiter. In seiner Vor­stel­lung konnte es nie groß genug sein, der Weg nach oben nicht schnell genug gehen. Bei seiner ersten großen Sta­tion, dem VfB Stutt­gart, wollte man Karius langsam an die Pro­fi­mann­schaft her­an­führen, dem jungen Tor­wart aller­dings ging das zu zöger­lich. Und als Man­chester City 2009 anklopfte, wech­selte Karius mit 16 Jahren auf die Insel, wo er als­bald in der zweiten Mann­schaft zum Ein­satz kam. Mit dem Ein­stieg von Scheich Man­sour bin Zayed Al Nahyan wuchs Man­City auf einen Schlag zu einem euro­päi­schen Top-Klub heran. Karius sah seine Chancen auf Spiele in der Pro­fi­mann­schaft schwinden und ergriff 2011 das Angebot von Mainz 05. Unter Thomas Tuchel ent­wi­ckelte er sich zum Bun­des­li­ga­tor­wart, spielte ein paar Jahre lang auf kon­stantem Niveau, ehe der FC Liver­pool 2016 auf der Matte stand: Eng­land-Aben­teuer Nummer Zwei.

An der Mer­sey­side ange­kommen, brach sich Karius gleich zu Beginn die Hand und fiel zehn Wochen aus. Eigent­lich als Nummer Eins ver­pflichtet, musste er sich zunächst hinter Simon Mignolet ein­reihen. Und wenn er dann mal spielte, leis­tete sich Karius immer wieder Patzer, ver­ur­sachte regel­mäßig Gegen­tore, stand im Tor, musste wieder auf die Bank, durfte nochmal ran, dann wieder raus. Ich bin nicht immer an die 100 Pro­zent gekommen, auch vom Kopf her“, sagte Karius später im Pod­cast kicker meets DAZN über seine erste Saison in Liver­pool.

In der Rück­runde der Saison 2017/18 schaffte er es schließ­lich zum Stamm­keeper und der LFC spielte mit Karius im Tor in der Cham­pions League groß auf. Und dann kam Kiew.

Das kann eine Kar­riere zer­stören

Wie schreck­lich muss dieser Abend in der Ukraine vor zwei Jahren gewesen sein, wenn sogar Oliver Kahn per­plex war und mit der Fas­sung ringen musste: Mir fehlen da auch die Worte. Ich kann mich nicht erin­nern, aus Tor­wart­sicht etwas Bru­ta­leres gesehen zu haben.“ Kahn pro­phe­zeite nach Abpfiff erbar­mungslos, ein sol­cher Abend könne eine ganze Kar­riere zer­stören.

An Loris Karius haftet seither dieser Bock, wie an Roberto Baggio der ver­schos­sene Elf­meter von 1994 klebt und Zine­dine Zidane auf ewig an Marco Mate­razzi gekettet sein wird.

75 Mil­lionen Euro teure Ansage

Karius bekam beim FC Liver­pool nicht die Chance, es besser zu machen. Mit Ali­sson Becker kaufte Klopp den teu­ersten Tor­wart der Fuß­ball­ge­schichte – eine 75 Mil­lionen Euro teure Ansage an Karius, der umge­hend das Weite suchte. In 3500 Kilo­me­tern Ent­fer­nung am Bos­porus, mit neuer Liga, neuer Sprache, neuer Freundin und einer Erwar­tungs­hal­tung ohne Alt­lasten.

Ich kann mich nicht ver­ste­cken und nur in der Ver­gan­gen­heit ver­weilen“, sagte Karius zum Kampf bereit, als er in der Türkei ankam. Doch kaum stand er auf dem Platz, kam sie zurück – die Ver­gan­gen­heit. Karius patzte bereits in seinem ersten Spiel ent­schei­dend.

Seine schwa­chen Dar­bie­tungen setzten sich zunächst fort, dann stei­gerte er sich und zeigte mit­unter Top-Leis­tungen, die er aber immer wieder mit Feh­lern gar­nierte. Die kri­ti­schen Stimmen wurden lauter.