Stell dir vor, du träumst ein Leben lang davon, einmal deinem Helden gegenüber zu stehen. Und wenn es endlich passierst, kannst du nichts anderes sagen als: „Warum hast du zehn Kilo Stockfisch dabei?“
In all den Jahren, seit ich atme, denke, sehe und fühle, habe ich nur von einem Moment geträumt: einer Begegnung, einer Situation, die mich mit ihm verbindet, bei der wir uns ihn die Augen schauen und mir Mário in Gedanken sagt: „Danke, José, danke für alles. Ich weiß, du bist mein größter Fan, dir verdanke ich meine Karriere.“ Tausendmal bin ich dieses Treffen im Kopf durchgegangen. Viele mögliche Fragen und Antworten hatte ich mir überlegt. Pure Theorie, denn in der Praxis sollte alles anders kommen.
Plötzlich stand er da
Ich arbeite als Zollbeamter am Flughafen in Porto Alegre, bin die Wühlmaus der Finanzbehörde, kontrolliere Koffer und Taschen. Täglich bitte ich Passagiere, ihr Gepäck zu öffnen, viel Smalltalk eben, kein Problem für einen gesprächigen Kerl. Doch letzte Woche Dienstag verschlug es mir zum ersten Mal die Sprache. Plötzlich stand er da, Mário Jardel, der große Mário Jardel, M‑A-R-I‑O – von einer zehntägigen Geschäftsreise aus Portugal kommend.
Was tun? Was sagen? Wirkt er nervös? Wirke ich nervös? Verträumt wollte ich den Mund öffnen, aber da hatte meine Kollegin schon einen seiner Koffer geöffnet. Golduhren? Pralinen für die Gattin? Weit gefehlt. Ein beißender Fischgeruch drang in meine Nase und ich traute meinen Augen nicht: Kiloweise getrockneter Stockfisch, etliche Säcke Walnüsse, mindestens sechs Pfund Käse und zig Fischkonserven quollen hervor.
„Warum hast du zehn Kilo Stockfisch in deinem Gepäck?“
Mário, du bist mein Held, du bist der größte Torjäger in der Geschichte von Grêmio, des FC Porto, Sporting Lissabon und Galatasaray. Deine Treffer waren meine Treffer, während einem deiner Tore im grün-weißen Sporting-Dress habe ich meine Unschuld verloren. Alle sagen, du wärst ein korrupter Politiker, aber das glaube ich nicht. All das und noch vieles mehr wollte ich Mário Jardel eigentlich bei unserem ersten Aufeinandertreffen erzählen. Aber stattdessen hörte ich mich sagen:
„Mário, verdammte Scheiße, warum hast du zehn Kilo Stockfisch in deinem Gepäck?“
Morgen werden wieder alle über ihn lachen, weil er beteuerte, nicht die Einreisebestimmungen seines Landes gekannt zu haben. Und das als Lokalpolitiker. Mir alles egal, denn ich denke noch immer an die Antwort, die er mir kurz nach meiner Frage lächelnd gegeben hatte: „Weil mir Stockfisch eben schmeckt.“
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HINWEIS: Die Geschichte ist eine Fantasiereise. Unser Autor Sebastian Knoth stellte sich vor, dass der Zollbeamte, der Jardel am Flughafen abfing, sein größter Fan ist. Dass Jardel tatsächlich mit 10 Kilo Fisch aufgehalten wurde, entspricht allerdings der Wahrheit.